Ein Stern für Gemüse
Von Anita Kattinger
Weltweit gibt es nur vier vegetarische Restaurants im Michelin-Sterneclub – das vegetarische Restaurant Tian mit Küchenchef Paul Ivic gehört seit wenigen Wochen dazu. Auch Konstantin Filippou, Philipp Vogel (Edvard im Hotel Kempinski) und Alexander Mayer (Vincent) bekamen im Michelin-Guide "Main Cities of Europe" ebenso einen Stern verliehen. In Summe darf Wien über zwei Zweisterner und sieben Einsterner jubeln. Der KURIER sprach mit Tian-Küchenchef Paul Ivic über seine Liebe zur Artischocke, selbst eingelegtes Sauerkraut und über die Kaste der Esskritiker.
KURIER: Wie wichtig sind Ihnen gute Kritiken und Bewertungen?
Paul Ivic: Im Internet lese ich mir durchaus die Bewertungen durch, aber ich kann differenzieren. Ich arbeite sehr viel für meinen Job, daher bin ich bestrebt, dass meine Gäste das Lokal zufrieden verlassen.
Essen ist subjektiv, fair bewerten geht nicht. Es ist unmöglich, nach einem bestimmten Schema zu bewerten. Es ist so wie in der Automobil-Branche: Ob er Audi oder Mercedes – jeder hat seine Vorlieben. So ist es auch beim Essen. Mittlerweile darf sich jeder Foodkritiker nennen, es gibt tausende Food-Blogger, deren Blogs ich aber nicht lese. Es ist deren Meinung, ändern kann ich sie sowieso nicht, man muss von sich überzeugt sein und selbstkritisch sein. In Erinnerungen bleiben unberechtigte Kritiken: Jene für das Tian habe ich in der ersten Woche komplett abblocken müssen.
Aber wieso haben Restaurants in den ersten Wochen so große Anlaufschwierigkeiten? Wieso lässt sich das nicht besser planen?
Wer mit seinem alten Team in ein neues Restaurant wechselt, schafft einen reibungslosen Ablauf ab dem zweiten Tag, aber unmöglich am ersten Tag. Wer mit einem komplett neuen Team beginnt, braucht Zeit: Die Küchenmitarbeiter müssen sich auf den Küchenchef einstellen, Serviceleute auf die Küchenmitarbeiter und die Gäste, das ist ein langer Prozess. Man muss einem neuen Restaurant vier Monate Zeit geben. Nur, weil man das Alphabet beherrscht, kann man noch keinen fehlerfreien Aufsatz schreiben.
Meine Teller schauen definitiv anders aus. Ich hätte nicht die jetzige Linie von Anfang an fahren können: Nicht nur die Gäste, auch meine Mitarbeiter wären überfordert gewesen. Wir hatten anfangs drei Konzepte in einem Restaurant und haben als Bistro begonnen. "Gourmet-Restaurant" ist so ein unattraktiver Begriff, mir gefällt Fine-Dining-Restaurant viel besser. Hätten wir Fleisch und Fisch serviert, wäre der Anfang leichter gewesen, weil wir 30 Jahre Erfahrung mitgebracht hätten. Aber im vegetarischen Bereich gab es keine vergleichbare Erfahrung. Ich koche sehr intuitiv – was mir gefällt, setze ich am Teller um. Die Facetten im Bereich der Aromen ist das Um und Auf.
Haben Sie ein Lieblingsgemüse?
Das ganze Jahr über die Artischocke. Derzeit sicher Spargel. Im Sommer Paradeiser. Zu lernen, die Paradeiser nicht das ganze Jahr über einzusetzen, war ein verdammt schwerer Lernprozess. Auch die Avocado ist ein tolles Gemüse, aber hier schränke ich mich ein.
Wenn ich gute Exoten bekomme, verwende ich sie schon. Im Frühjahr gibt es bereits großartige Paradeiser aus Sizilien, natürlich muss man hier abwägen, ob man das Gemüse bestellt. Es stimmt, das Wintergemüse kann einem schnell zum Hals raus hängen, aber meine Ansprüche will ich nicht herunter schrauben. In Wien ist permanent Nebel, hier leidet dann die Kreativität. Ab dem Zeitpunkt, wo die Sonne herauskommt, geht es uns allen besser. Wir wollen ein Lager für den Winter anlegen: Amalfi-Zitronen haben wir in Salz eingelegt und an schwarzen Nüssen haben wir uns auch schon probiert. Wir versuchen auch Gemüse selbst einzulegen, allerdings gestaltet sich das Fermentieren als sehr schwierig. Sauerkraut und Rotkraut ist einfach, aber das Fermentieren von anderem Gemüse braucht Genauigkeit.
Wofür braucht man hier Genauigkeit?
Für die Temperatur, bei der sich die Bakterien wohl fühlen. Im Haushalt ist das einfach, aber bei Gästen muss man vorsichtig sein.
Nein, das ist ein No-Go. Wir wollen unsere eingelegten Produkte ausbauen, leider noch nicht in der Masse, die wir uns wünschen würden. Wir haben auch noch nicht den Platz, den wir für ein großes Lager benötigen würden.
Würden Sie mir zustimmen, dass man relativ schnell das Koch-Handwerk beherrscht, aber der Kampf um die besten Produkte in den nächsten Jahren immer härter wird?
Ich hoffe, dass das Bewusstsein extremer wird. Wir werden uns sicher nicht matchen müssen: Wenn die Nachfrage nach guten Produkten größer wird, werden die Produzenten umdenken müssen und ihr Sortiment den Wünschen anpassen müssen. Es wäre schön, wenn wir das erreichen würden.
Zucchiniblüten vom "Michlbauer", dem Michael Bauer; Paradeiser von Naturfair; Heinrich Zehentner bringt tolle Öle aus Kroatien, Erwin Gegenbauer großartigen Essig. Mit solchen Produkten habe ich eine riesige Freude! Auch die Zusammenarbeit mit unseren Wildsammlern erfreut: Unlängst habe ich steirische Morchelbecher bekommen, die ich vorher nicht gekannt habe. Diese haben ein wunderbares Aroma, das Kilo kostet 30 Euro.
Sie sind Tiroler – bleiben Sie dem Tiroler Speck trotz Michelin-Stern für Ihre vegetarische Küche treu?
Ja, auch wenn ich ihn nicht mehr ganz so oft esse! Ich freue mich immer, wenn ich einen guten Speck aus Tirol bekomme. Ich werde nie auf etwas verzichten, zu Hause koche ich zwar kein Fleisch oder Fisch, aber wenn ich Gusto habe, esse ich gerne Speck! Mein Bewusstsein hat sich verändert: Ein Steak würde ich mir nicht mehr als schnelles Gericht abbraten. Reiner Vegetarier möchte ich allerdings auch nicht werden.
Was essen Sie, wenn Sie Heißhunger haben?
Erdäpfel mit einem Avocado-Aufstrich oder Erdäpfel mit ein bisschen Parmesan.