Leben/Essen & Trinken

Ein Mann für 500 Restaurants

Heute Abend blicken tausende Gourmets nach London. Das britische Restaurant-Magazin verleiht die "The World's 50 Best Restaurants"-Awards. 2012 ergatterte das dänische Restaurant "Noma" zum dritten Mal in Folge den Titel des „Besten Restaurants der Welt“. Weltweit gibt es 936 Stimmberechtigte. Im Interview mit dem KURIER spricht Jury-Leiter Hannes Konzett über mögliche Einflussnahmen durch Sponsoren und über seine 500 Restaurant-Besuche im Jahr.

KURIER: Die letzten Jahre ist die neue skandinavische Küche im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Derzeit blicken alle nach Südamerika. Sind diese Hypes gerechtfertigt?

Hannes Konzett: Der skandinavischen Spitzengastronomie gilt nach wie vor die Hauptaufmerksamkeit der europäischen Gourmet-Branche. Diese sogenannte ‚Nordic Cuisine‘, erstmals erfolgreich propagiert vom Dänen René Redzepi, Küchenchef im Restaurant "Noma" in Kopenhagen, ist in Sachen kulinarischer Authentizität, Innovationsgrad und Originalität in der Präsentation das aktuelle Innovationsmaß der Spitzenküche. Einen allfälligen Hype um die süd- und mittelamerikanischen Küche sehe ich, wenn überhaupt, am ehesten in den USA. Dort rollt seit geraumer Zeit die ‚Mexiko-Welle‘ durch viele Szenerestaurants der Metropolen. Und der beste Koch Südamerikas, Alex Atala vom Restaurant D.O.M. in São Paulo, bewirbt auch außerhalb Brasiliens sehr erfolgreiche die ‚Amazonas-Terroir-Küche‘. Dschungel-Küche, statt Dschungel-Camp.

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Verstehen Sie die Ratlosigkeit eines durchschnittlichen Restaurant-Besuchers, wenn er Wurzeln und Rinden serviert bekommt?

Delikatessen unterhalb der Erdoberfläche sind doch in Österreich seit jeher beliebt, beispielsweise Krenwurzeln in allen Zubereitungsvarianten. Sensationell auch das Gericht des Ischgler Top-Kochs Benjamin Parth, Saibling mit Kartoffelpüree und einer Sauce mit Enzianwurzelschnaps. Baumrinden können ebenso bekömmlich sein wie Kartoffelrinden bzw. Kartoffelschalen. Ein Teil der Leute isst eben Kartoffeln mit Schale, der andere ohne. Japaner verwenden ausgesuchte Rinden auch für die Teezubereitung. Das Mehl von Haselnussstauden-Rinden als Mehlersatz, eignet sich hervorragend für Desserts. Einige beliebte Schokoriegel-Marken basieren auf der Basis von Weizenschrot, also Weizenkorn-Rinden. Viele durchschnittliche Restaurant-Besucher mögen auch kein Sushi und keine Innereien. Gut zubereitet hat aber jede Zutat seine Berechtigung.

Sie bescheinigen der österreichischen Küche einen hohen Stellenwert - immerhin ist Wien die einzige Stadt weltweit, deren Küche einen eigenen Namen hat. Warum spricht man weltweit nicht über die österreichische Küche?

Die österreichische Küche hat allenfalls bei den Touristen in Österreich einen hohen Stellenwert. Österreich schlägt sich hier leider unter Wert. International bedeutsam ist lediglich die Wiener Süßspeisenküche. Das Genussland Österreich betreibt international schlicht zu wenig Werbung in eigener Sache. Man erntet, was man sät. Mit Heinz Reitbauer vom Restaurant Steirereck in Wien – Nummer 11 weltweit im Jahr 2012 – haben wir einen der besten und interessantesten Köche der Welt im eigenen Land, immerhin. Er ist international hoch angesehen und vertritt Österreich bei den wichtigsten Kulinarik-Symposien. Neben ihm gibt es in Österreich noch vier, fünf weitere Köche mit internationalem Potential. Dazu gehört nun mal mehr als nur sehr gut kochen können. Es sollte ein eigener Stil erkennbar sein, um international reüssieren zu können.

Am 29. April wird der Titel des weltbesten Restaurants vergeben. Können Sie als Regional Chairman versprechen, dass Sponsoren die Wahl nicht beeinflussen?

Der Titel der inoffiziellen Weltrangliste lautet zwar „The World´s 50 Best Restaurants“, aber eigentlich werden die 50 interessantesten und innovativsten Gourmetadressen der Welt gewählt, ausdrücklich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Als für die Alpenregion verantwortlicher Juryleiter ist mir bisher keine einzige Einflussnahme durch Sponsoren, oder der Versuch dazu bekannt geworden. Im Gegenteil. Nicht wenige der seit Jahren sehr hoch bewerteten Restaurants führen die Sponsorenprodukte gar nicht in ihrem Programm.

Können Sie die Regeln für Ihre Region ein bisschen näher erklären?

Die kulinarische Welt wurde vom britischen Restaurant Magazin, dem Ausrichter der Wahl, in 26 Regionen aufgeteilt, die von ebenso vielen ‚Regional Chairs‘ geleitet werden. Diese suchen zusätzlich jeweils 35 Jurymitglieder je Region aus. Der Jury gehören Spitzenköche, Top-Gastronomen, Fachjournalisten, Kritiker und ausgesuchte Gourmets an. Jedes Jahr wird mindestens ein Drittel der Juroren ersetzt. In der Alpenregion werden die Jurymitglieder auf die Länder Schweiz und Österreich aufgeteilt und ‚neutral‘ aus Liechtenstein geleitet. Die weltweit 936 Stimmberechtigten müssen aus persönlichen Erfahrungen jeweils sieben nicht vorselektierte Restaurants in geheimer Internetwahl wählen, wovon maximal vier Restaurants aus der eigenen Region stammen dürfen. Insgesamt werden somit 6552 Stimmen abgegeben.

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Sie reisen als Chefredakteur des Genussziele Magazins sehr viel: Welcher kulinarischer Trend fasziniert Sie derzeit besonders?

Besonders gefällt mir der verstärkte Trend zur allgemeinen Lockerheit in Top-Lokalen. Die elitäre Steifheit in vielen Spitzenbetrieben ist ein Genusskiller. Weniger ist mehr, oder: „Genuss durch Verzicht.“ Es reichen beispielsweise drei bis fünf sehr gut zubereitete Komponenten auf dem Teller, statt bis zu 20. Man ist gut beraten, die Gäste nicht mit einer Material-Orgie aus der Küche und beim Getränke- bzw. Weinservice zu überfordern. Die entscheidende Frage für mich lautet: Würde ich das Gericht am nächsten Tag gleich noch einmal essen wollen? Und würde ich das Restaurant kurzfristig gerne nochmals besuchen? Der Wohlfühlfaktor der Gäste wird für den wirtschaftlichen Erfolg der Spitzenrestaurants noch wichtiger. Eigentlich braucht kein Gast 12 Besteckteile und vier Gläser auf dem Tisch, ebenso wenig wie 400-Euro-Teller.

Wie viele Restaurants testen Sie persönlich im Monat?

Durchschnittlich besuche ich mehr als 500 Restaurants pro Jahr und ‚verzehre‘ dabei hunderte Michelin-Sterne bzw. Gault Millau-Hauben.