Trend Skandinavien: Vergessen Sie Kötbullar und Lachs
Von Ingrid Teufl
Wenn das kein Ritterschlag in Sachen Kulinarik ist: Sogar die kosmopolitischen New Yorker sind jetzt auf den aktuellen skandinavischen Foodtrend aufgesprungen. Auf dem New Yorker Hauptbahnhof Central Station in Manhattan stehen sie seit August in der neuen "Great Northern Food Hall" geduldig Schlange für die skandinavischen Schmankerln, die Küchenchef Gunnar Gislason, Gründer des Restaurants Dill in Reykjavik (Island), auf den Tisch bringt.
Längst sind die Zeiten vorbei, da sich die Küche aus dem hohen Norden in Mitteleuropa lediglich mit Köttbullar aus dem schwedischen Möbelhaus oder schlichtem Knäckebrot bemerkbar machte. Schon im Jahr 2004 haben einige skandinavische Spitzenköche das "Manifest der neuen nordischen Küche" verfasst. Damit wollten sie klarmachen, dass sie sich selbstbewusst auf ihre eigenen Stärken konzentrieren.
Blumen in einer Kruste aus getrocknetem Schweineblut
Fäviken-Gründer Magnus Nilsson gilt als einer dieser besonders radikalen Nordmänner, die ihre Zutaten strikt aus der direkten Umgebung beziehen. So serviert er auch Baumrinde und Birkenblätter, oder Blumen in einer Kruste aus getrocknetem Schweineblut.
Vielleicht ist diese Kompromisslosigkeit der Grund, warum der 32-Jährige den Küchentraditionen des Nordens nachspüren wollte und sie in einem Kochbuch zusammenfasste.
Magnus Nilsson:Die meisten definieren nordische Küche über die geografische Region, also Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark, Färöer-Inseln, Island und Grönland. Offensichtlich wird alles, was in diesem definierten Raum gegessen wird, als Nordic Cuisine betrachtet. Aber die nordische Region ist größer als der ganze Kontinent Europa. Man kann keine homogene nordische Esskultur definieren. Zu sagen, der nordische Geschmack wäre so oder so, wäre, als ob ich von einem "europäischen" Geschmack spräche.
Wie überall versuchen auch nordische Fine-Dining-Restaurants einen ambitionierten Eindruck einer bestimmten Esskultur zu geben, auch wenn Elemente der Alltagsküche enthalten sind. Das Problem ist, dass es zum Beispiel über die italienische Alltagsküche sehr viel Information gibt. Sogar sehr ambitionierte italienische Lokale ermöglichen da Einblicke. In der nordischen Küche ist das nicht der Fall. Das war für mich einer der Gründe für das Buch. Es gibt viel Information über Restaurants wie das Noma oder das Fäviken. Dann gibt es noch Informationen über typische nordische Gerichte wie Hering oder Graved Lachs usw. Aber das war es dann. Ich hoffe, dass das Buch diese Lücke füllt.
Wenn man von der "neuen nordischen Küche" spricht, ist das also immer eine Interpretation der Arbeit eines bestimmten Kochs?
Ich glaube, eines der Probleme ist, dass unsere Esskultur missverstanden wird. Man wird kein einziges Restaurant in der ganzen Nordregion finden, das von sich behauptet, neue nordische Küche zu kochen. Ich befürchte, das ist ein Begriff, den ausländische Journalisten benutzen.
Alle Dinge, die wir erstmals erfahren, wirken exotisch – je weiter weg sie von unserer eigenen Esskultur sind. Menschen essen aber immer Dinge, die Sinn machen, hier wie dort. Bei meiner Arbeit für das Buch war vieles dabei, was ich vorher noch nie probiert hatte, aber ich fand es nicht exotisch. Die Speisen waren nur anders, als ich es gewohnt war. Es ist kein Buch über sensationelle Dinge. Ich habe es gemacht, um zu dokumentieren, was da ist und was die Menschen wirklich zu Hause essen. Das sind alles Grundlagen, die wichtig waren, damit die Menschen an diesen Orten ihre Traditionen entwickelten. Das war für mich einer der interessantesten Aspekte: Was wir essen, ist immer das Resultat der Umstände, wo wir kochen und wo wir leben.
Was ist zum Beispiel für die doch ziemlich entlegenen Färöer-Inseln typisch?
Die Färöer-Inseln sind interessant, weil sie erst seit etwa 100 Jahren modernen Handel betreiben. Daher waren Dinge wie Salz, die in Europa und in den meisten Gegenden von Skandinavien selbstverständlich waren, dort lange Zeit sehr teuer. Fleisch mit viel Salz einzupökeln, ist aber in Europa und den meisten Gegenden Skandinaviens eine traditionelle Art zur Haltbarmachung. Auf den Färöer-Inseln konnte man Salz nicht verschwenden, aber sie haben salzfreie Konservierungsmethoden, etwa "raest". Hammelfleisch oder Fisch reift da im Freien und fermentiert, aber eben ganz ohne Salz.
Sie schreiben auch über die Gemeinsamkeiten, die Sie in der nordischen Ess-Kultur fanden.
Der Sinn des Buches ist, zu erklären, warum diese Länder sich voneinander unterscheiden – aber auch, wo die Gemeinsamkeiten liegen. Es gibt kein Gericht, das in der gesamtes Region das gleiche wäre, dazu ist sie zu groß. Manche Gerichte existieren aber in verschiedenen Versionen. Nehmen Sie als Beispiel Fleischbällchen. Man würde meinen, dass sie grundsätzlich überall gleich sind, sie sind es aber nicht. Vielleicht könnte man aber sagen: Wo Fleischbällchen gegessen werden, ist ihr Konzept überall ziemlich gleich. Aber woraus sie gemacht und wie sie serviert werden, das variiert sehr stark. Und das sagt wiederum viel über die jeweilige Region aus.
Können Sie Beispiele nennen?
In Dänemark werden die Fleischbällchen häufig aus Schweinefleisch gemacht. Dänemark ist historisch gesehen eine landwirtschaftlich reiche Region mit Schweinezucht. Etwas nördlicher, in Schweden, war immer schon stark Milchproduktion vertreten, weshalb es hier viel Rindfleisch gibt. Im nördlichen Teil von Schweden, wo ich herkomme, essen wir Elchfleisch. Das kommt auch in die Fleischbällchen, aber man nimmt auch ein bisschen Schwein dazu, damit die Masse feuchter wird.
Wie haben Sie die Rezepte fürs Buch ausgewählt?
Das Buch handelt von der gesamten Esskultur und den Menschen der Nordregion. Sicher 100 der 700 Rezepte kann man nicht nachkochen, weil zum Teil die richtigen Ingredienzen fehlen. Sie sind aber trotzdem im Buch, weil sie eine wichtige Geschichte erzählen. Für die meisten Rezepte sind die richtigen Zutaten aber einfach zu finden und man kann gut mit diesen Angaben arbeiten.
Man darf die nordische Küche nicht zu einer einzigen machen. Was vielleicht typisch ist und sie von anderen europäischen Küchen unterscheidet: Sie wird hauptsächlich von den Menschen zu Hause getragen, nicht von Restaurants. In Spanien zum Beispiel werden Sie auch unter der Woche in den Restaurants Gerichte finden, die zu Hause üblich sind.
In Skandinavien ist das aber nicht möglich. Ein skandinavisches Alltagsgericht in einem Restaurant zu essen, das ist in Skandinavien eine relativ neue Sache. Das zu tun, hat sich erst in den vergangenen 15 bis 20 Jahren entwickelt. In Stockholm fällt etwa auf: Die meisten Restaurants, in denen Alltagsküche angeboten wird, kochen die Gerichte anderer Länder, zum Beispiel Pasta.
Traditionelles Essen, zum Beispiel schwedisches, ist hingegen am besten in Privathaushalten zu finden. Das sage ich als Schwede. Der beste Tipp, den ich geben kann, ist also: Besuchen Sie Einheimische, finden Sie jemanden, mit dem Sie zu Hause kochen und essen können. So lernen Sie wirklich das richtige, typische Essen einer Region kennen.