Leben/Reise

Graz, die heimliche Hipsterhauptstadt

Es ist immer unfair, jemanden um ein Porträt seiner Heimatstadt zu bitten. Vor allem dann, wenn man von dort gerne weggezogen ist. Was soll rauskommen? Eine fade Aufzählung von Sehenswürdigkeiten? Ein Reiseführertext? Ein hämischer Rückblick?

Nun ja: Hoffentlich nichts davon. Denn gut zehn Jahre, nachdem ich aus Graz endgültig weg bin, komme ich gern zurück. Dass ich das einmal sagen würde, ohne Ironie, ohne die schreckliche Überheblichkeit, mit der man als Weggezogene über das Nest spricht, aus dem man kommt, hätte ich mir auch nie gedacht.

P wie persönliche Empfehlung

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Endlich keine Haube mehr

Damals bin ich in die Stadt, in der man wirklich etwas erleben kann, dachte ich. Denn Graz war fad, zu klein, zu vertraut. Auf nach Berlin also, wo Menschen auf der Straße feiern, wo Ideen in leeren Gebäuden entstehen, wo auf Flohmärkten Musik gemacht wird und junge Designer Sachen verkaufen, denen man ansieht, dass sie aus Berlin kommen. Und wo eine Ausgelassenheit und Entspanntheit herrscht, die man anderswo vergeblich gesucht hat.

Die gibt es jetzt, muss ich nach dem Exil feststellen, auch in Graz. Freilich, der Berliner Chic ist mittlerweile Exportware geworden; den Abklatsch großstädtischer Coolness, also den Bio-Matcha-Vegan-Laden, findet man mittlerweile auch in Gigritzpatschen. Aber: Graz hat etwas, das besser ist als Berlin. Und davon soll dieser Text handeln.

Fangen wir beim Offensichtlichen an: dem Wetter. Wenn ich im Februar vor dem Tribeka sitze, einem hippen Café neben dem Kunsthaus, kann ich Graz nur lieben. Hier fängt der Frühling nämlich deutlich früher an als im Rest Österreichs. Zwanzig Grad, während Wien noch friert, sind im Süden keine Seltenheit. Und den Vergleich mit Berlin, der Hölle der Dunkelheit in den Wintermonaten, braucht man erst gar nicht ziehen: Dort trägt man noch im Mai Haube.

Ohnehin das Viertel, in dem das Tribeka ist: Seit 2003, dem Grazer Kulturhauptstadtjahr, ist Graz hier im Lendviertel so hip wie nirgendwo anders. Früher hieß es immer, das rechte Murufer sei das „schlechte“, weil hier mehr Migranten, mehr Kebabbuden, mehr Rotlichtlokale wären. Das ist auch jetzt noch so – aber das ist gut so: Das Kunsthaus, damals als „friendly alien“ betitelt (ein Name, den man jetzt nur mehr in Touristenprospekten liest), hat richtig gute zeitgenössische Ausstellungen; ein paar hundert Meter weiter kann man in einem lustigen Laden namens Kwirl Design kaufen, das man auch in Kopenhagen oder New York suchen könnte; daneben wiederum das tag.werk, ein Upcycling-Laden, mit dem die Caritas Jugendlichen hilft. Und daneben halt Dürüm und Damen, wenngleich die einschlägigen Lokale mittlerweile echt schwer zu finden sind.

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Fünf Sterne, adieu

Natürlich, diese Entwicklung kann man Gentrifizierung nennen. Die hat auch vor Graz nicht halt gemacht, wie an den steigenden Immobilienpreisen zu sehen ist. Aber von Absurditäten wie in Berlin oder London ist man hier weit entfernt. Das Wiesler etwa, früher das einzige Fünf-Sterne-Hotel der Stadt, hat vor Jahren seine teuren Sterne abgegeben, um ein urbanes, schickes, lässiges Hotel zu werden – zu leistbares Preisen. Da gibt es Zimmer mit wunderschönem Fischgrätparkett und mittendrin eine Dusche aus Glasziegeln (eine Kombi, die man auch gern zu Hause hätte, siehe links).

Das Wiesler und sein Schwesternhaus, das ebenso sehr hübsche Hotel Weitzer, sind mittlerweile selbst Exportgut geworden; in Wien betreibt man zwei Häuser. Das ist bei einigen Dingen so, die aus Graz kommen, nicht nur bei Lena Hoschek, die ja über die Grenzen hinaus als Modedesignerin bekannt ist, ihre Wurzeln aber in Graz hat. Auch Zerum, ein junges Grazer Modelabel, hat mittlerweile Dependancen in Salzburg, Linz und Wien; im Ursprungsshop in der Mariahilfer Straße (gleich neben dem Kunsthaus) gibt’s neben Kleidung im speziellen Zerum-Stil (dezente Siebdrucke, hippe Motive) etwa Holzbrillen oder -uhren und anders Lässig-Nachhaltiges.

Hoch hinaus mit der roten Bahn

Überhaupt, das mit dem „gleich neben“ ist auch so eine Sache, die Graz großartig macht. Eigentlich kommt man immer zu Fuß von A nach B: Vom Lendviertel zur Amsel etwa ist man vielleicht zehn Minuten unterwegs. Wirtin Barbara Musek serviert dort Dinge wie pochierte Nockerl vom Ausseerland-Saibling oder karamellisiertem Chicorée – und ja, die Haube ist verdient. Und nur ein paar Meter weiter kommt man zum Schlossberg, wo man mit der roten Standseilbahn mit viel 1950er-Jahre-Gefühl hinauffahren kann. Dort sollte man – ein Hochgefühl, um ein Wortspiel zu bemühen – einen Kaffee im Starckehaus trinken. Am besten an jenen paar Plätzen direkt an der Hauswand, wo der Schlossberg unter den Füßen des Besuchers steil abfällt. Dieser Blick! Etwas Besseres kann einem in Graz nicht passieren.

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Was zum Glück noch fehlt, nun ja, ist die Party. Die gibt’s in Berlin immer und überall, auch wenn man sie gar nicht will.

In Graz ist das anders, da ist’s etwas gesitteter. Aber das ist schon in Ordnung: Party machen können die Grazer nämlich auch, auf der Straße genauso wie an wirklich lässigen Orten (beim Lendwirbel etwa wird Anfang Mai auf den Straßen getanzt und diskutiert; beim Springfestival im Juni bespielen Elektronik-Acts fast alle Kulturstätten der Stadt, darunter so großartige Locations wie den Dom im Berg, einem in den Schlossberg gegrabenen, elf Meter hohen Luftschutzstollen). Entspannt ist es auch an der Mur, beim Citybeach etwa, dem Stadtstrand direkt unter der Hauptbrücke.

So. Und was ist daran jetzt besser als an Berlin?

Eigentlich alles. In Graz hat man keine Wochenend-Touristen, die Bewohner mit ihren Rollkoffern zur Verzweiflung treiben. In Graz gibt’s (glaub’ ich) keine Kellner, die nur Englisch können, weil man eh nur mehr Englisch redet. Dort gibt’s breites Steirisch, das versteht man zwar auch nicht immer, aber das ist ehrlich. Graz ist also kleiner, fader und vertrauter. Und das ist gut so!

Anreise
Mit dem Zug kommt man aus Wien vom Hauptbahnhof bzw. aus Meidling binnen zweieinhalb Stunden nach Graz, das  Ticket kostet ohne Vorteilscard 41 Euro. oebb.at Alternativ kann man den Flixbus nehmen, der vom Westbahnhof abfährt, flixbus.at
Die Zugstrecke nach Graz hat’s aber in sich: Man fährt über den Semmering, der nicht nur landschaftlich wunderschön ist, sondern auch UNESCO-Weltkulturerbe

Unterkunft
Die Zahl der Hotels in Graz ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Empfehlenswert:
– das Lendhotel, das erst kürzlich eröffnet und neben reduzierten, ansprechenden Zimmern eine Dachterrasse hat, von der man über ganz Graz sieht. lendhotel.at
– Günstig und hübsch ist das Daniel am Bahnhof, ein altes 1950er-Jahre-Haus, das vor einigen Jahren aufwendig umgebaut worden ist. Dort kann man sich stilecht einen Roller mieten und durch Graz düsen, nachdem man das gute Frühstück genossen hat. hoteldaniel.com
– Wer es etwas schick mag, ist im Aiola Living richtig. Freistehende Badewannen, Samtoptik, Blumentapeten: Das Hotel in der Landhaus- gasse ist für alle Altersklassen etwas. aiolaliving.com

Auskunft
graztourismus.at