Leben

Neueste Erkenntnisse: So viel Freizeit tut uns gut

Endlich, Freizeit! Wie gut sich das anhört: Nach Genuss, nach Spaß, nach Freunde treffen, nach Flanieren über eine Frühlingswiese, nach einer Stunde vor dem Fotoalbum in schönen Erinnerungen zu versinken, nach einem aufregenden Abend im Theater, nach einer durchtanzten Nacht, nach Lieben, nach Leben, nach ... na, nach was noch alles?

Überlegen Sie einmal in Ruhe, welche drei Dinge Sie  an diesem Wochenende in Ihrer Freizeit machen wollen. Es gibt sicher das ein oder andere Freizeitvergnügen, das Sie schon lange machen wollten. Aber, Vorsicht, nicht zu viel, vor allem nicht zu lange. Denn glaubten wir bisher, dass ein Leben mit möglichst viel Tagesfreizeit erst so richtig glücklich macht, heißt es nun: Ab zwei Stunden Freizeit werden wir nicht glücklicher, als wir uns im Moment fühlen. Verhaltens- und Marketingforscher der University of Pennsylvania und der University of California haben nämlich untersucht, wie lange wir nach einem Arbeitstag brauchen, um in den Glücksmodus zu kommen. Grundlage dafür waren die Daten von rund 14.000 arbeitenden US-Amerikanern, die an einer Umfrage über Veränderungen in ihrem Arbeitsleben teilnahmen.

Die wichtigsten Ergebnisse: Die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben nimmt mit mehr Freizeit zunächst zu. Aber: Ab zwei Stunden Freiheit geht ein Plus an Freizeit nicht mehr mit der Zufriedenheit einher. Ab 3,42 Stunden Freizeit pro Tag empfanden die Befragten die Freizeit sogar als bedrückend. Es mache sich nämlich etwas bemerkbar, was uns nicht sofort bewusst wird: der Negativ-Effekt von „zu viel Freizeit“. Anders gesagt: Wesentlich mehr als zwei Stunden Freizeit machen sogar eine Spur unglücklicher.

AKTIV BLEIBEN

Bei Marcel Hirscher, der dem Weltcup vielleicht noch zumindest eine Saison erhalten bleibt, besteht da keine Gefahr. Sein Leben ist so minutiös getaktet, dass ihm kaum ein Tag mit mehr als zwei Stunden Freizeit zu Verfügung steht. Ob Rennwochenende oder nicht, über Wochen, ja, Monate steht Training total auf dem Terminkalender. Vom Bankdrücken zum CrossFit ist alles dabei, was den Körper fordert. Hirscher nimmt das locker, und man kann ihm das glauben, immerhin hat er heuer seinen achten Gesamtweltcupsieg heimgefahren. „Im Profisport lernst du anpassungsfähig zu sein und auch mit reduzierter Freizeit leistungsfähig zu bleiben“, sagt er gegenüber der . Ein Stundenmaß, wie viel er an Freizeit braucht, könne er beim besten Willen nicht nennen. Was er aber gut kann: „Auch einmal nichts tun.“

NICHTS TUN IST NICHT EINFACH

Das aber ist gar nicht so einfach. Denn es dauert ein paar Wochen über das Saisonfinale hinaus, so Hirscher, „bis auch bei mir Ruhe einkehrt. Es sind noch so einige Aufgaben zu erledigen, die Teil meines Jobs sind.“ Erst wenn keiner mehr Schnee und Skifahrer im Fernsehen sehen will, ist auch er  im Freizeit-Modus angekommen. Und was macht Marcel Hirscher dann? „Was andere auch machen. Zeit mit der Familie und Freunden verbringen, rausgehen, sich in der Natur bewegen, Motocross fahren, wandern, Skifahren, gut essen – entspannen.“

ENTSPANNEN

Gutes Stichwort. Die Seele baumeln lassen, einfach einmal nichts machen, in den Flugzeug-Modus gehen. Aber das wird immer schwieriger. Nicht nur, weil Smartphone und soziale Medien immer nach unserer Aufmerksamkeit gieren. Wir selber setzen uns oft unter Druck, überall dabei zu sein. Man will schließlich seinen Instagram-Account nicht vernachlässigen und auch Facebook mit ständig neuen Befindlichkeiten füttern.

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Zum Glück haben wir die Zeichen der Zeit erkannt. Manche früher, andere erst jetzt. In Klagenfurt etwa wurde im Jahr 1990, also  schon lange bevor bei uns „Slow Food“ und „Slow Life“ zum Trend erhoben wurden, ein Verein zur Verzögerung der Zeit gegründet. Mastermind war der Wiener Philosoph Peter Heintel. Seit ein paar Monaten erhält diese Bewegung unter anderem Namen neuen Auftrieb. „Fear of Missing Out“ (FOMO), die Angst etwas zu versäumen, war gestern. Jetzt ist JOMO angesagt – die „Joy of Missing Out“, also die Freude, etwas nicht unbedingt mitmachen zu müssen. Gut so. Denn wenn Sie bisher gemeint haben, Sie müssen auf drei Hochzeiten gleichzeitig tanzen, weil sie sonst das halbe Leben verpassen, dann können Sie es sich jetzt auf dem Sofa beruhigt gemütlich machen.

LEBEN IM RAMPENLICHT

So wie Hilde Dalik. Die Schauspielerin und ROMY-Preisträgerin ist es gewohnt, alles zu geben. Am Stück und ohne große Pausen. Und das als Ensemblemitglied am Theater in der Josefstadt und als „Vorstadtweib“ in der erfolgreichen ORF-Serie oder fürs Kino. Ein Nachtmensch aus Gewohnheit und Überzeugung. Wenn sie wollte, könnte sie etwas abgehoben leben. Tut sie aber nicht. Mit den Leuten aus ihrem Stammbeisl geht sie schon einmal ins nostalgische Bellaria-Kino, um gemeinsam über ihre Rolle als Groupie Gretchen in der Komödie „Hotel Rock 'n' Roll“ ihres Freundes Michael Ostrowski abzulachen. Und U-Bahn fährt sie auch.

Was noch zu ihrer Freizeit gehört: Mit ihrer Kollegin Susi Stach hat sie die  Theatergruppe Chong gegründet und gibt so Deutschnachhilfe für Flüchtlinge. Engagiert und unbezahlt, denn: „Menschen zu helfen, denen es nicht so gut geht wie mir, ist sowieso Pflicht.“ Was Hilde Dalik bei all dieser Hyperaktivität trotzdem gut kann: zwischendurch ein paar faule Tage einlegen. „Leider fehlt mir oft die Zeit dazu. Aber einmal nicht auf die Uhr schauen zu müssen, das hat etwas.“

DIE INNERE RUHE FINDEN

Yoga hilft dabei, mit Stress umgehen zu können. Und  auch, um gut in den Tag zu starten. Botenfahrerin Julias  Alltag sieht etwa so aus: Aufwachen, dann Sonnengruß oder ein paar andere Yoga-Übungen sowie – ganz wichtig – ausreichend frühstücken, denn ab mittags halb zwölf liefert sie Essen aus, bis halb elf am Abend. Mit einer Stunde Pause zwischendurch und immer mit dem Druck im Nacken, den Kunden rechtzeitig die hoffentlich noch warmen Speisen in die Hand drücken zu können. Stressig? Schon manchmal, aber Julia liebt ihren Job. Radfahren ebenso. Und zwar so sehr, dass sie an einem freien Tag auch gerne in die Pedale tritt und das Rad nicht in die Ecke stellt. „Ich bin einfach nicht fürs Büro geschaffen“, sagt das Outdoor-Girl, dem Regen und Kälte nichts anhaben können, und zählt die liebsten Freizeitbeschäftigungen auf. „Ich versinke gerne in die Fantasiewelt eines Buches, verbringe aber sonst die Zeit um liebsten in der Natur“. Mit Bergwandern oder eben Radfahren.

Die Erfahrung, dass sich ab mehr als zwei Stunden Freizeit ein Negativ-Effekt von „zu viel Freizeit“ bemerkbar mache, kann sie jedoch nicht nachvollziehen. „Wenn ich mich in der Steiermark, dort wo ich herkomme, aus Aflenz, zu einer Wanderung aufmache, dauert das ja auch mindestens dreieinhalb Stunden. Und ich genieße jede Minute davon.“

EINE FRAGE DER PRIORITÄTEN

Die Uhr tickt sowieso. Seit wir alle online sind, mehr denn je. Denn unser Alltag ist nun  von permanentem Zeitdruck geprägt. Wenn einem die Zeit heilig ist, kann sich das schon spießen.  „Die Nutzung der Zeit ist einer der Lebensbereiche, über den Menschen eine gewisse Kontrolle besitzen“, schreibt etwa der US-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman in seinem Weltbestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“, der  über weite Teile von unserem Wohlbefinden handelt. Und setzt nach: „Nur wenige Menschen können sich allein durch Willensentschluss ein sonnigeres Gemüt zulegen, aber einige können ihr Leben vielleicht so einrichten, dass sie weniger Zeit mit Pendeln und mehr Zeit damit verbringen, mit Menschen, die sie mögen, Dinge, zu tun, die ihnen Spaß machen.“ Dinge tun, die Spaß machen.

Wenn man sich Florian Gwschandtner ansieht, meint man, er kenne gar nichts anderes. Selbstbewusster Blick, durchtrainierter Body, ein Händedruck wie König Midas. Was er anfasst, wird zu Gold. Aber der technikaffine Bauernbub ackerte jahrelang, bis die Fitness-App Runtastic zum millionenschweren Erfolg wurde. Von früh bis spät, zumeist sechs Tage die Woche. Jetzt hat er sich eine monatelange Auszeit genommen. Wird der erfolgreiche Unternehmer  nun alles an Freizeit nachholen, was er ein Jahrzehnt lang vermisst hat? „Ich würde nicht meinen, dass ich alles nachhole“, klärt Gschwandtner auf, „aber ich versuche definitiv, ein paar neue Sachen zu sehen und zu lernen. Ich war jetzt fünf Wochen in den USA, drei davon auf Hawaii. Und dort ist alles zum ersten Mal etwas langsamer geworden und bei mir so richtig eine gemütliche Phase eingetreten.“

Auf  Hawaii hat sich der Workaholic damit angefreundet, ein bis zwei Stunden lang zu frühstücken „oder einfach nur auf das Meer schauen“.  Diese neue Erfahrung hat Gschwandtner gut gefallen „und es war eigentlich das erste Mal nach so einer langen Reise, dass ich gar nicht nach Hause wollte.“ 

Viele wiegen sich ja in dem Glauben, sie wären weniger gestresst, hätten sie einfach  mehr Freizeit zur Verfügung. Falsch. Häufig  ist nicht die reine Quantität der freien Erholungszeiten das Problem – sondern  die Qualität. Erholung im Internet zu suchen, sei jedenfalls nicht unbedingt die beste Art, seine Freizeit zu verbringen. Das verursache nämlich unter Umständen noch mehr Stress. Denn während man beim Fernsehen längst weiß, dass eine  Stunde zappen auch nicht zwingend einen besseren Film hervorzaubert, hegt man über den unendlichen Möglichkeiten des Internets nach wie vor diesbezügliche Hoffnungen.

Freizeitforscher Peter Zellmann hat  aus Umfragen schon herausgelesen, dass wir mittlerweile gleich viel Zeit mit oder vor dem Handy  verbringen als vor dem Fernseher. Teilweise gleichzeitig. Ein Trend, dessen Abklingen oder gar Ende noch lange nicht absehbar ist.

Allgemeinmediziner Dr. Roland Brandner von der Gemeinschaftspraxis Medizin am Küniglberg am Montecuccoliplatz in Wien beobachtet das mit Sorge. Nicht nur, weil das Smartphone die Körperhaltung von immer mehr Jugendlichen ruiniert.

Nicht falsch verstehen, auch für seine Profession bietet das Internet mit seinem lexikalischen Wissen eine willkommene Hilfestellung für die vielen täglichen Anforderungen. Brandner: „Es ist heute nicht mehr möglich, alle Medikamente im Kopf zu haben.“ Aber die viele Auswahl, die das World Wide Web bietet, erzeugt eben auch einen Effekt, der für die Erholung kontraproduktiv ist – Stress.    

TAGESFREIZEIT GESUCHT

Tagesfreizeit ist für den gebürtigen Kärntner jedenfalls ein Fremdwort. So wie Mittagessen. „Das habe ich schon lange nicht mehr  gehabt“, sagt er mit Blick auf das Wartezimmer. Heute war er schon vor sieben Uhr früh in der Ordination, bis dreizehn Uhr  kümmert er sich um seine Patienten – um deren kleine Wehwehchen genauso wie um die großen Probleme – „wir bieten auch Palliative Physiotherapie an“ – und dann stehen Hausbesuche auf dem Programm. Danach holt er das Kind vom Kindergarten ab, ein erstes Durchschnaufen  gibt es erst beim Abendessen mit der Familie. Für manche seiner Patienten steht der Arzt manchmal auch bis in die Nachtstunden auf Abruf  bereit.

„Ein paar Stunden Freizeit am Stück können daher nur am  Wochenende stattfinden“, befindet er mit einem lachenden Auge. Gut, manchmal schafft er es für eine Stunde zwischendurch ins Fitnesscenter. Auch er ist eher  der Outdoor-Typ, der sich lieber beim Skifahren oder Wandern erholt als vor einem Computer. In der Kärntner Bergwelt, dort, wo es schon schön sonnig ist, wenn in Wien noch Nebel oder Frieren angesagt ist. Und dann dürfen es ruhig auch einmal fünf Stunden Freizeit en suite sein, hinterfragt er das Ergebnis der angesprochenen US-amerikanischen Studie mit der gefühlten „Zu-viel-Freizeit“.
    
ARBEIT  = FREIZEIT UND FREIZEIT = ARBEIT
 
Dasselbe gilt für eine Künstlernatur wie Christian Ludwig Attersee. Der bald Achtzigjährige, dessen Frühwerk bis 18. August im Belvedere 21 in Wien als Einzelausstellung in den Fokus rückt, ist seit sechs Jahrzehnten als Maler, Musiker, Dichter und Bühnenbildner umtriebig. In seiner Jugend fuhr der am Attersee aufgewachsene Faun der heimischen Kunstszene auch zahlreiche internationale Regatten. Durchaus mit  Erfolg. In den Jahren  1957 bis 1962 war der Feingeist dreimal österreichischer Staatsmeister im Segeln. Und schon damals kannte er keine Grenze zwischen Beruf und Berufung, zwischen Arbeit und Freizeit. Christian Ludwig Attersee: „Ich habe schon zu dem Wort ,Freizeit’ keine Beziehung.“ Vielleicht, weil er sich nie eine nimmt. Denn Attersee empfindet sich als „Kunstmaschine“. Er arbeitet, wann immer er kann. Und er arbeitet gern.

So wie auch Freizeitforscher Zellmann. „Ich betreibe meine Studien mit Begeisterung und Leidenschaft. Und wenn man das so hält, empfindet man die Arbeit  in der Regel auch nicht als Belastung.“ Das geht sogar so weit, dass Zellmann den Laptop mit beruflichen Unterlagen gewohnheitsmäßig  im Urlaub  dabei hat. „Aber das ist natürlich selbstbestimmt,“ streicht er hervor. Positiv am mehrheitlich passiven österreichischen Freizeitverhalten sei jedenfalls, dass Wandern und Spazieren, also aktive Tätigkeiten, im Vergleich der Jahre von 2005 bis 2017 an Beliebtheit zulegen. So gesehen, herzlichen Dank, dass Sie sich in Ihrer Freizeit der Freizeit widmen.

Lesen Sie in der Bildergalerie: So verbringen österreichische Promis und Menschen in verschiedensten Berufen ihre Freizeit!

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