Leben

Das Radio-Girl

Sie war das leicht bekleidete „Radio-Girl der 50er“ und vermittelte schon in den 1920er-Jahren einen Eindruck davon, wie das mit der spärlichen Bekleidung einmal werden würde. Zwei Ehen und ein Millionenerbe später wurde Dorothy Young zur großzügigen Kunst-Mäzenin, die der Drew University in Madison in ihrem Heimatstaat New Jersey ein Vermögen spendete und mit 13 Millionen Dollar die Errichtung des Art-Center ermöglichte.

Zurück in den Herbst 1925: Auf seiner, wie sich später herausstellte, letzten Tour (er starb ein Jahr darauf), beginnt Entfesselungskünstler und PR-Meister Harry Houdini seinen Show-Act mit einer riesigen Radio-Attrappe, die er zunächst öffnet, um zu zeigen, dass sie leer ist. Kaum hat er das Radio-Monster wieder verschlossen, kündigt eine Stimme an, dass nun Miss Dorothy Young erscheinen und Charleston tanzen werde. Das ist ihr Stichwort: Zuerst das eine, dann das andere Bein voran, erscheint Dorothy, das zauberhafte, 17-jährige Radio-Girl. Sie macht einen Knicks, Houdini hebt sie auf die Bühne herunter und dort tanzt sie weiter Charleston. Die Radio-Nummer wird zur Erfolgsnummer. (Nicht zuletzt wegen Dorothys Beinen, die mit jenen von Gloria Swanson verglichen wurden).

Danach kam dann der Trick mit der „Chinese Water Torture Cell“, also die Chinesische-Wasser-Folter-Nummer, bei der Houdini, mehrfach gefesselt, kopfüber in einen wassergefüllten Glastank gesperrt wurde. Dorothy kannte den Trick, aber sie verriet ihn nie. (Den Film, der 1953 mit Tony Curtis darüber gedreht wurde, „Houdini, der König des Varieté“, fand sie übrigens schrecklich, sagte sie in einem Interview: „Houdini hätte sich im Grab umgedreht“).

Die großen Geheimnisse des Meister Houdini: Dorothy Young schwieg darüber. Sie hatte eben feste Prinzipien. Das lag in der Familie. Der Vater war Methodisten-Priester und die Mutter Kirchenorganistin. Dorothy Young wurde am 3. Mai 1907 in Otisville, New York, geboren. Anders als ihre drei älteren Geschwister, die hehre Ämter in Bildung und Erziehung anstrebten, interessierte sie sich ausschließlich für „Glamour“, wie sie in einem Fernsehinterview anlässlich ihres hundertsten Geburtstages sagte. Sie war dem Ballett verfallen. Nachdem sie die Pavlova hatte tanzen sehen, stand Dorothys Berufswunsch fest: tanzen, um jeden Preis. Die klugen Eltern wussten, dass man Kindern, will man in gutem Einvernehmen mit ihnen bleiben, ihre Berufswünsche am besten nicht ausredet.

17-jährig stolperte Dorothy bei einem New-York-Besuch über eine Annonce der Bühnen-Zeitung Variety: Man suchte eine Vaudeville-Tänzerin für eine Broadway Show, die in eine Tour durch die Vereinigten Staaten münden sollte. Zu schüchtern, um sich in die erste Reihe zu stellen, blieb Dorothy im Hintergund. Doch Houdini entdeckte sie und bat sie, Charleston zu tanzen. Die Überzeugungskraft von Houdinis Frau Bess, die immer bei den Touren dabei war, führte dazu, dass Dorothys Eltern zustimmten und sie durfte ihren Vetrag unterschreiben – in dem sie schwören musste, über die Geheimnisse des großen Illusionisten zu schweigen.

Ob die Eltern zugestimmt hätten, wenn sie gewusst hätten, dass Dorothy unter anderem als „Sklavenmädchen“ auftreten musste, das „sehr böse war“? Immerhin: Houdinis Ehefrau war auch mit auf der Bühne und sie hatte zuvor versichert, dass sie gut auf das Mädchen aufpassen würde. Tatsächlich wurden die Frauen gute Freundinnen und stahlen sich während der Tour über die kanadische Grenze, um sich – ausschließlich für den Privatgebrauch – als Alkoholschmugglerinnen zu betätigen. Dorothy schwärmte bis zu ihrem Tod von der Zusammenarbeit mit dem als „schwierig“ bekannten Houdini und seiner Frau.

Nach Houdinis Tod und einer ehe- und schwangerschaftsbedingten Pause – sie hatte ihren ersten Mann Bob auf der Tournee kennengelernt – trat Dorothy wieder als Tänzerin auf: Ab 1927 performte sie mit Gilbert Kiamie, dem Sohn eines Seidenwäsche-Fabrikanten, als Duo „Dorothy and Gilbert“. Mit ihrer eigenen Latin-Tanz-Nummer, dem „Rumbalero“, gelangten sie zu bescheidener internationaler Prominenz. Infolge derer die beiden – nach dem Tod von Dorothys erstem Mann – heirateten. Sie tanzten sich durch die 1930er-Jahre auf Kreuzfahrtschiffen und in Nachtclubs, Dorothy arbeitete als Model (etwa als Double für Gloria Swansons Beine) und trat in Tanzfilmen, etwa im Astaire-Musical „Flying Down to Rio“ (1933), auf. Später veröffentlichte Dorothy ein Buch über die bescheidenen Künstlerjahre. Unter dem Titel „Dancing on a Dime“ wurde es 1940 verfilmt. Ein zweites Buch, 1953, war geprägt durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, an dem ihr Mann und ihr Sohn teilgenommen hatten – und durch eine spirituelle Kehrtwende: „Gott hat sich doch immer wieder in mein Leben eingemischt.“ Sie nahm fünfzehn Jahre lang Malstunden bei einer französischen Künstlerin und entwickelte beachtliches Talent. Tanz und bildender Kunst blieb sie treu: Nach dem Tod ihres zweiten Mannes vermachte sie der Drew-Universität in New Jersey, wo ihr Vater und ihr Bruder studiert hatten, einen Großteil ihres Vermögens und gründete das Dorothy Young Center for the Arts, um junge Mensche zu ermutigen, ihre Träume zu verfolgen. Dorothy hatte 103 Lebensjahre hinter sich, als sie im März 2011 starb.

Seiner letzten Assistentin Dorothy Young rutschte ihr Lebtag kein schlechtes Wort über ihren Mentor heraus: Sie bezeichnete Harry Houdini als „stets liebenswürdig“, er sei „wie ein Vater zu ihr“. Eine Meinung, die nicht alle Zeitgenossen des berühmten Entfesselungskünstlers und gewieften PR-Strategen teilten.

Harry Houdini wurde 1874 als Sohn eines Rabbiners geboren, sein Geburtsname war Erik Weisz. Als er vier Jahre alt war, zog seine Familie von Ungarn nach Appleton (Wisconsin) und später nach New York. Mit 17 begann er als Zauberkünstler und gab sich erstmals den Künstlernamen Harry Houdini – den Vornamen „Harry“ in Anlehnung an den berühmten Zauberkünstler Harry Kellar, den Nachnamen „Houdini“ als Hommage an sein Vorbild Jean Eugène Robert-Houdin, einen französischen Magier. 1893 heiratete er die deutschstämmige Varietétänzerin Wilhelmine Beatrice „Bess“ Rahner. Sie war viele Jahre seine Bühnenassistentin und wurde insbesondere für den rasanten Platztausch mit dem in einer Kiste gefesselt eingeschlossenen Houdini bekannt, auch heute im zum Standard-Repertoire der Großillusionisten.

Zunächst tourten die Houdinis in Wanderzirkussen und verkauften für einen falschen Doktor Wundertinkturen. Seinen ersten Durchbruch hatte Houdini 1895 mit einem von betrügerischen Spiritisten adaptierten Entfesselungstrick mit Handschellen, den er pressewirksam jeweils im Polizeipräsidium einer Kleinstadt zeigte. Er lobte öffentlich einen Preis für denjenigen aus, der ihm eine Fessel gebe, aus der er nicht entkommen könne. Mit geschickten PR-Maßnahmen gelang es Houdini, auch in Nordamerika ein Publikum zu begeistern. Später entdeckte er die Zwangsjacke, die noch dramatischere Entfesselungen zuließ, etwa kopfüber an Wolkenkratzern aufgehängt. Zu seinen berühmtesten Nummern gehörte die ursprünglich in Flüssen begonnene Unterwasserentfesselung, die Houdini auf der Bühne, in der legendären „Chinesischen Wasserfolterzelle“ zeigte. Berühmt wurde Houdini durch das Verschwindenlassen eines Elefanten auf dem Times Square, der in einer speziell konstruierten Kiste „unsichtbar“ wurde. Houdini rivalisierte mit Fakiren, die außerordentliche Körperbeherrschung zeigten und Todesgefahren widerstanden. Houdini kopierte die Show eines dieser Fakire und behauptete, dass er jeden von einem Mann geführten Schlag in den Unterleib durch Anspannung seiner Bauchmuskulatur unversehrt überstehen könne. Diese Tests waren nicht Bestandteil seiner Show, jedoch ließ er kaum eine Gelegenheit zum Beweis seines Könnens aus. Über seine Todesursache wird noch immer gerätselt: Ein Student suchte Houdini 1926 in Montreal in dessen Garderobe auf und soll ihm kräftige Hiebe in den Bauch versetzt haben. Angeblich hatte er Houdini nicht genug Zeit gelassen, sich auf die Schläge vorzubereiten. Wenig später starb der Illusionist. Ob an den Schlägen oder an einer Blinddarmentzündung, blieb ungeklärt.