Meditation: Die Heilkraft der inneren Ruhe
Von Annemarie Josef
Längst wissen wir, dass jeder Mensch Selbstheilungspotenzial in sich trägt, Denken und Fühlen die Gesundheit beeinflussen. So können Placebo-Pillen richtige Medikamente ersetzen, denn bereits der Glaube an einen positiven Krankheitsverlauf hat Wirkung. Solche kaum erklärbaren Phänomene sind natürlich auch ein bisschen unheimlich. Da ist es gut, wenn Fakten auf den Tisch kommen. Die können so manches, was Skeptiker gerne als überirdischen Unfug abtun, in ein neues Licht rücken. Meditation zum Beispiel.
Meditieren im Krankenhaus
In US-Amerika gilt Meditation derzeit als der am schnellsten wachsende Gesundheitstrend. Der Anstieg von 2012 bis 2017 ist beeindruckend: Von knapp über vier Prozent Menschen, die meditieren, auf über 14 Prozent. Das liegt wohl auch daran, dass in den USA mehr als 250 medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser für ihre Patienten Einführungskurse in Meditation anbieten. Als Begleitung zu Medikamenten oder psychiatrischer Therapie. Bei chronischen Schmerzen, Depressionen, Angst, Einsamkeit, Stress und Burnout. Das kommt nicht von ungefähr, denn zahlreiche Studien belegen die Wirkung, die nicht nur die Forschung fasziniert. Sondern alle gesunden wie kranken Menschen, die Wege suchen, sich und anderen zu helfen.
Gut fürs Gehirn
Allen voran etwa Jon Kabat-Zinn, emeritierter Professor an der University of Massachusetts Medical School in Worcester. Er entwickelte Ende der 1970er-Jahre die vom Buddhismus losgelöste nichtreligiöse Achtsamkeitsmeditation. Damals als Hippie belächelt, weiß man heute: Die Gehirne von Menschen, die jahrelang intensiv meditieren, unterscheiden sich von denen anderer Menschen. Die Großhirnrinde wird dicker, der Einfluss auf die Gedächtnisleistung ist erheblich, negativer Stress hingegen bewirkt das Gegenteil.
Jon Kabat-Zinn hat viele Jahre dafür gekämpft, sein „Mindfulness-Based Stress Reduction“-Programm (Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit) weltweit bekannt zu machen, das erwiesenermaßen gegen Stress und Angst hilft. Auch im Centre Hospitalier Sainte-Anne in Paris wird diese Form der Meditation klinisch genutzt – und seit knapp fünfzehn Jahren analysiert. Das Ergebnis: Menschen mit Depressionen, die meditieren lernten, hatten ein beträchtlich geringeres Rückfallrisiko. Die Wirkung war vergleichbar mit der von Antidepressiva.
Volkskrankheit Stress
„Es gibt niemanden, den man als ,Erfinder’ der Meditation namhaft machen könnte, vielmehr versinken Menschen seit Zehntausenden von Jahren überall auf der Welt regelmäßig in einen eigenartigen Zustand von Weltvergessenheit“, heißt es im Buch „Die Hirnforschung auf Buddhas Spuren.“ (Beltz 2018)
Und genau diese Weltvergessenheit ist es, die heute oft fehlt. Es ist nicht egal, wie der Mensch lebt, denkt und fühlt. Es ist nicht egal, ob wir permanent psychischem Druck ausgesetzt sind, uns negative Gedanken anhaften. Alles hat letztendlich Einfluss auf unsere Gesundheit. Dazu passt die Warnung der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Stress ist die Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts. Was gegen Stress hilft? Entspannung. Und hier gibt es zahlreiche wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Meditation es schafft, Gefühle wie Wut und Angst im Zaum zu halten. Nicht indem sie verdrängt werden. Sondern durch die meditative Selbstwahrnehmung, die letztlich dazu führt nicht auf jeden Impuls sofort zu reagieren. So lässt sich auch die krankmachende Wirkung des Stresshormons Cortisol austricksen.
Grenzen der Schulmedizin Medizin soll heilen und die tiefste Schicht der Heilung ist Meditation“, sagt die erfahrene Medizinerin Helga Kukla. Die Kärntnerin war 21 Jahre als Fachärztin tätig. Die Arbeit auf der Intensiv- und Palliativstation zeigte ihr, dass es noch mehr gibt, als bisher in der Medizin berücksichtigt wurde. „Die Schulmedizin macht nur einen Teil des gesamten großen Ganzen aus, wenn es um Heilung geht“, so Kukla, Und das medizinische System biete nicht genug, um allen Menschen ganzheitlich zu helfen.Deshalb hat Helga Kukla die Arbeit mit der Apparatemedizin hinter sich gelassen, ihre Privatpraxis eröffnet. Der Slogan auf ihrer Homepage zeigt die Richtung: „Medizin. Meditation. Menschsein.“
Mit Meditation beginnen
Was passiert, wenn Menschen sich in den Lotossitz begeben, die Augen schließen und versuchen an nichts zu denken? Geht es doch bei der Jahrtausende alten Meditationslehre auch um die Selbstwahrnehmung. Wie gesagt eine Haltung, die nicht nur buddhistische Wurzeln hat, sondern auch im Christen- und Judentum zu finden sind. Man denke an die Rosenkranzgebete, Atemübungen und Gesänge. Der Unterschied ist, dass sich die Buddhisten ihren Schatz bewahrt haben.
„Meditation beginnt mit der Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Wir nehmen uns als Körper wahr, doch sind wir nicht nur Körper“, sagt Medizinerin Helga Kukla. „Meditation ist die Wissenschaft des Geistes, die hilft das Geheimnis des Lebens zu lüften und deren Probleme zu lösen, indem man zuerst sein wahres Selbst erkennt.“ Einatmen, ausatmen, die Aufmerksamkeit nach innen zu lenken sind ein Anfang. Jeder, der das probiert, wird schnell merken, dass es schwierig ist, dabei zu bleiben, ohne dass Gedanken an unerledigte Dinge oder die juckende Nase aufkommen. Oder Bilder aus der Vergangenheit. Oder unangenehme Gefühle. Das passiert selbst jenen, die schon geübt sind. Es ist oft schwierig seine Gedanken loszulassen. Und es ist ungewohnt, nur dazusitzen, nichts zu tun und nichts zu erwarten. Aber genau darum geht es.
Meditation scheint zwar wie eine innere Apotheke zu wirken, doch Ziel ist, das Geheimnis des wahren Selbst zu erkennen. „Das beginnt mit bewussten Atemübungen, die mit regelmäßigem Üben ganz natürlich immer tiefer gehen“, sagt Medizinerin Kukla und erinnert auch daran, dass Meditation nicht vom Verstand erfasst werden könne, „man muss es erfahren“.
Wird Meditation das neue Yoga? Wird es die Menschen erreichen? Kukla: „Die Zeit ist reif, wir brauchen in unserer Welt Geistes- und Seelennahrung. Auch wenn unser System jetzt noch starr ist und es in Österreich noch dauern wird. Aber die Menschen werden es erkennen.“
MissverständnisseWenn ein Trend aufkommt, gibt es immer auch Missverständnisse. Auch bei der Meditation. Es ist verlockend, sie nur einzusetzen, um zwischen Digitalisierung, Multitasking und temporeichem Wandel zu funktionieren. Der Kongress „Meditation und Wissenschaft“ 2018 in Berlin reagierte darauf mit dem Titel „Meditation zwischen Abgrund und Nirvana. Selbst-Optimierung für eine neue Welt?“ Die Antwort könnte lauten: Nein, bitte nicht. Lieber etwas mehr Weltvergessenheit.
Erste Schritte in die Meditation
Meditation lernt man am besten in der geführten Gruppe. Wer sich herantasten möchte, kann Minuten der Einkehr halten. „Meditation ist das zwar noch keine, aber man kann probieren, ob es einen interessieren könnte“, so die Kärntner Medizinerin Helga Kukla. www.helga-kukla.com
Eine Anleitung fürs Üben zuhause:
Zeit nehmen: Vergewissern Sie sich, dass Sie zehn Minuten ungestört sind und wählen Sie eine bequeme Körperhaltung. Sie können Sich in den Lotos- oder Fersensitz begeben oder Sie nehmen auf einem Stuhl Platz. Die Wirbelsäule ist so aufrecht wie möglich, nicht anlehnen. Hände auf die Oberschenkel legen, locker lassen, Schultern ebenso, weg von den Ohren.
Sich einlassen: Schließen Sie die Augen und schenken Sie für sechs Atemzüge dem eigenen Atemrhythmus die ganze Aufmerksamkeit. Beim Einatmen den Körper wahrnehmen, die Atempause und das Ausatmen. Versuchen Sie sonst nichts zu denken, nur den Atem zu spüren. Gedanken, die aufkommen, lassen Sie weiterziehen.