Leben/Gesellschaft

Warum die Jungen jetzt so laut sind

„Ist das Mikrofon wirklich an?“ Nach drei Minuten unterbricht Greta Thunberg ihre Rede vor dem britischen Parlament, „können Sie mich hören? Ist mein Englisch okay?“. „Yes“ rufen die Abgeordneten, um zu zeigen, dass sie zuhören. Thunberg bleibt ernst: „Ich fange nämlich an, mich zu wundern.“

Das 16-jährige Mädchen kennt keine Demut. „Ihr belügt uns“, richtet sie ihren Gastgebern noch aus, „Ihr habt uns falsche Hoffnungen gemacht. Wir gehen nicht auf die Straße, damit ihr Selfies mit uns macht und uns sagt, wie sehr ihr uns bewundert. Wir Kinder tun das, um die Erwachsenen aufzuwecken.“

Nichts zu verlieren

Thunberg liefert keine neuen Fakten. Sie hat weder ein politisches Mandat noch einen Job, den sie verlieren könnte.  Es ist wahrscheinlich ihre radikale „Ich habe nichts zu verlieren“-Einstellung, die ihre politische Wirkung erklärt.

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Die Gesellschaft sehnt sich nach solchen Leuten, wenn der Befund des Wiener Rechtsphilosophen Clemens Jabloner, der vor Kurzem Vizekanzler wurde. Von denen, die sich bislang öffentlich geäußert haben, stehe jeder in „Verdacht“, dass er das nur tut, „weil er damit bestimmte Interessen verfolgt“. Etwa aus taktischen Überlegungen: Weil man als Partei  was dazu sagen muss. Weil man mit einer Präsidentschaftskandidatur sein Shopping-Center promoten will. Weil man Karriere machen will.

Die Jungen, die sich nicht daran halten, werden heroisiert und bewirken manchmal Ungewöhnliches. 2012 tritt der 28-jährige Raif Badawi auf seinem Blog für Religionsfreiheit im islamisch geführten Saudi-Arabien ein. Er tut dies im Wissen um die persönlichen Konsequenzen. Er wurde zu zehn Jahren Gefängnis und 1.000 Peitschenhieben verurteilt. „Weil ich sage, was ich denke“, nannte er sein Buch.

Über den Atlantik

Ein Jahr später, 2013, ist der 29-jährige Edward Snowden mit den Aktivitäten seines Arbeitgebers, NSA, nicht einverstanden und enthüllt die wohl größte Überwachungsaffäre unserer Zeit. Aus dem Exil schreibt er 2015 auf Twitter: „Gratuliere Max, du hast die Welt zum Besseren verändert.“ Angehängt ist ein Foto des 27-jährigen Datenschützers Max Schrems, der am Europäischen Gerichtshof mit einer Beschwerde Recht bekommen hat.

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Der Wiener Jurist, der sich noch vor seinem Studienabschluss mit  Facebook angelegt hat, brachte mit seiner Unnachgiebigkeit ein Abkommen zwischen den USA und der EU zu Fall.

„Es gibt halt wirklich Menschen, die einfach Sachen machen, weil sie dahinter stehen, unabhängig von den Nachteilen. Schockierend, ich weiß“, sagt der YouTuber Rezo zur Kritik, er hätte mit seinem Video bloß Geld verdienen wollen.

Seine 54 Minuten lange „Zerstörung der CDU“ verstörte nicht nur die Alten, sondern auch den CDU-Politiker Philipp Amthor, der auf das Video antworten wollte, aber aufgrund seines Verhaltens als ältester 26-Jähriger Deutschlands verspottet wird.

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Im direkten Vergleich zwischen Amthor und Rezo, die –  sowie der Autor dieses Textes – 26 Jahre alt sind, erkennt man, dass das Alter zwar eine gute, aber keine ausreichende Erklärung für Denkmuster darstellt.

Digital oder analog

„Wir denken nicht in Zielgruppen, sondern in  Denkweisen“, pflegt ein Wiener Werbeagenturchef zu sagen. Ein 14-Jähriger könne die gleichen Werte wie ein 40-Jähriger teilen, wenn sie ähnlich sozialisiert wurden. Vor allem das Internet (nicht) zu nutzen, prägt die eigene Kultur. Einige Forscher halten diese digitale Kluft zwischen Onlinern und Offlinern ähnlich relevant wie die Frage des  Alters oder der Bildung.

Der Unterschied wird schnell deutlich: Im Digitalen gab es vor allem anfangs keine Hierarchien, Eliten oder Vermächtnisse. Der  Einzelne konnte dadurch einfacher einen Unterschied machen. So wie  Wael Ghonim (29), der 2010 eine Facebook-Seite einrichtete, und damit  den „Arabischen Frühling“ einleitete.

Alleine könnten die Jungen aber nie die Lautstärke entwickeln, die sie derzeit haben. Es braucht auch Menschen, die zuhören wollen. „Ich hab mich einfach nur da hingesetzt“, sagte Greta Thunberg  übrigens auf die Frage, wie sie zur Stimme der globalen Klimaschutzbewegung Fridays for Future wurde, „und dann haben die Leute hingeschaut.“

Babyboomer: Die begriffliche Einteilung bestimmter Jahrgänge ist ein relativ neues Phänomen. Sie begann im 20. Jahrhundert mit den „Babyboomern“, die zwischen 1950 und 1965 geboren wurden. Der Name entsprang den steigenden Geburtenraten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Generation X: Der „Gen X“ werden die Geburtsjahre 1965 bis 1979 zugerechnet. Bekannt wurde der Ausdruck durch den 1991 erschienenen Roman „Generation X“ von Douglas Coupland. Nach dessen Einschätzung ist für die X-ler charakteristisch, dass sie erstmals ohne Kriegseinwirkung leben, sich aber mit weniger Wohlstand und ökonomischer Sicherheit begnügen müssen als die Elterngeneration.

Generation Y: Die Millennials wurden im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren. Sie gelten als prägende Generation für die Zukunft. Aber: Die „Krisen-Generation“ ist von Sorgen erfüllt: Man ist sich nicht sicher, ob es gelingen wird, den sozialen Status und den Lebensstandard der Eltern halten zu können.

Generation Z: Als Generation Z werden Menschen bezeichnet, die zwischen 1995 und 2012 zur Welt gekommen sind. In der Arbeitswelt orientieren sie sich neu. Beruf und Privates werden getrennt. Beim Smartphone ist bewusster Verzicht angesagt.