Sag's Multi: So lernen Kinder leichter eine (Mutter)Sprache
Muttersprache, Fremdsprache, Erstsprache, Zweitsprache – beim Spracherwerb von Kindern gibt es viele Begriffe, aber eine Aussage, weiß Sprachforscherin Carola Koblitz: „Wichtig ist, dass eine Sprache positiv besetzt ist, dann lernt ein Kind sie gerne.“
Die gebürtige Mexikanerin bearbeitet mit der Bilingual-Lehrerin Veronika Nagy das Thema Spracherwerb. Nagys Kinder sprechen drei Sprachen: „Wir leben hier, mein Mann ist Ungar und ich habe englischsprachige Halbschwestern. Entgegen der allgemeinen Meinung mischen wir die Sprachen, anstatt dass mein Mann und ich jeweils eine Sprache sprechen. Letztlich haben die Kinder sich für Englisch als Familiensprache entschieden, auch wegen Youtube und Minecraft.“
Effektiv kommunizieren
Oft antworten zweisprachige Kinder eher auf Deutsch – gibt es dafür eine Erklärung? Koblitz: „Nach dem ‚Blitz-Prinzip‘ ist es üblich, dass Kommunikation auf dem effektivsten Weg geschieht. Kinder sprechen also aktiv jene Sprache, die ihnen am leichtesten fällt – auch, wenn sie passiv alles verstehen. Aber das soll die Eltern nicht entmutigen. Wenn sich das Kind besser ausdrücken kann, ändert sich das wieder.“ Sie warnt jedenfalls davor, Druck auszuüben. Genau so, wie man Kindern nicht verbieten sollte, ihre Sprache zu sprechen – etwa in der Schule, „das kommt leider vor“. Der mehrsprachige Rede-Wettbewerb „Sag’s Multi“ zeigt jedes Jahr, wie gut sich Schüler in mehreren Sprachen ausdrücken können (siehe drei Porträts von Finalisten unten).
Nagy war im Familienalltag besonders kommunikativ, erzählt sie lachend: „Ich habe meinen Kindern alles in mehreren Sprachen gesagt.“ Wichtig sei die Authentizität: „Es macht wenig Sinn, dass man mit Kindern schlecht Deutsch spricht statt der Sprache seines Herzens, damit sie es besser lernen.“ Wenn Eltern sich eine neue Sprache erarbeiten, habe das aber auch Vorbildwirkung: „Kinder merken, dass man sich bemüht und es nicht gleich fehlerfrei sein muss.“
Koblitz lernt jetzt mit ihren Kindern eine neue Sprache: „Wir fahren im Sommer nach Griechenland und probieren, ob wir im Restaurant auf Griechisch bestellen können. Das ist für uns wie ein Spiel.“
„Auf meine Muttersprache wurde nicht nur positiv reagiert“
Esther Györi (17). Bis zu meinem dritten Lebensjahr konnte ich kein Wort Deutsch sprechen. Mittlerweile kann ich mich auf fünf Sprachen unterhalten: auf deutsch, ungarisch, hebräisch, englisch und französisch. Als jüdische Österreicherin mit ungarischen Wurzeln hatte ich lange das Gefühl, nirgends so richtig dazuzugehören. Auf meine ungarische Muttersprache wird nicht immer positiv reagiert und ich werde deswegen nicht als richtige Österreicherin angesehen.
Manchmal habe ich mir gewünscht, Deutsch wäre meine Muttersprache gewesen. Mittlerweile sehe ich das aber anders. Ich verstehe gar nicht, warum das Thema Mehrsprachigkeit so polarisiert und finde es schade, dass manche Sprachen abwertend betrachtet werden. Dabei hat Mehrsprachigkeit nur Vorteile: Sie verbindet Menschen. Ich kann mich mit Personen aus unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen unterhalten. Das ist eine Stärke.
„Ich bin durch Sprachen weltoffen geworden“
Mario Zurz (20). Ich bin froh darüber, dass ich bilingual aufgewachsen bin, mit Serbisch und Deutsch. Ich bin überzeugt, dass ich dadurch weltoffener geworden bin. Ich denke international, möchte im Ausland studieren und einmal woanders leben.
Ich habe das Gefühl, ein gewisses Sprachentalent geerbt zu haben. Jedenfalls spreche ich auch Russisch, lerne Arabisch und möchte auf jeden Fall noch weitere Sprachen lernen.
Es ist sehr schade, dass nicht alle Sprachen gleich bewertet werden. In meiner alten Schule gab es viele negative Bemerkungen zu meiner serbischen Muttersprache, während eine spanisch-sprechende Freundin für ihre Mehrsprachigkeit bewundert wurde. Mehrere Sprachen sprechen zu können, ist immer ein Vorteil. Ich wünsche mir, dass Sprachenvielfalt als ein solcher Vorteil ernstgenommen und gezielt gefördert wird, ohne dabei gewisse Sprachen zu benachteiligen. Und das an jeder Schule, in allen Schulstufen.
„Klassenkollegen kommenaus verschiedenen Nationen“
Melike Keskin (15). In meiner Klasse ist Mehrsprachigkeit normal. Meine Klassenkollegen sprechen alle unterschiedliche Sprachen, kommen aus verschiedenen Nationen. In der Schule sprechen wir Deutsch, zu Hause spricht jeder eine andere Sprache. Für mich war es als Kind nicht immer einfach, zweisprachig aufzuwachsen. Mit meinen Eltern spreche ich Türkisch, Deutsch kam erst im Kindergarten dazu. Es war eine Herausforderung, zu lernen, mich in beiden Sprachen gleich gut auszudrücken. Oft war ich verwirrt, weil mir ein Wort oder Ausdruck nur in einer Sprache eingefallen ist, aber nicht in der anderen. Trotzdem bin ich froh darüber, beides gelernt zu haben. Ich kann mich mit meinen türkischen Verwandten und Bekannten genau so gut unterhalten wie mit meinen Freunden und Mitschülern. Wenn ich einmal Kinder habe, möchte ich ihnen auf jeden Fall meine Muttersprache beibringen. Auch wenn es schwierig ist, lohnt es sich, wenn Kinder sich mit vielen Menschen unterhalten können.