Leben/Gesellschaft

Hält Musik unsere Gesellschaft zusammen?

Der Entwicklung von Sprache und Musik sind Forscher um Tecumseh Fitch von der Uni Wien auf der Spur. Im Fachblatt "Behavioral and Brain Sciences" vertraten sie kürzlich die Ansicht, dass Musik ursprünglich vor allem als sozialer Kitt eingesetzt wurde. Dabei handle es sich um die "einleuchtendste Theorie" zur biologischen und kulturellen Basis des weltumspannenden Phänomens, schreiben sie in der Arbeit. Ihre Meinung stößt im Rahmen einer Artikelserie aber auch auf Widerspruch.

Das internationale Team rund um den Professor für Kognitionsbiologie an der Universität Wien begreift Musik als eine Art universelles Werkzeug für soziale Bindungen, heißt es in einer Aussendung der Uni am Freitag. Das leiten die Forscher aus Befunden aus der Archäologie, Anthropologie, Biologie, den Musikwissenschaften, der Psychologie und den Neurowissenschaften ab. All diese Hinweise aus Studien aus aller Welt goss das Team nun in ein Konzept, das dem Ansatz, der in den vergangenen Jahren weniger Beachtung fand, neuen Auftrieb verleihen soll.

Musik als entscheidende Schlüsselinnovation

"Unser Forschungsansatz geht von der Idee aus, dass die Musik unseren Vorfahren ein mächtiges Werkzeug an die Hand gab, um dauerhafte soziale Bindungen zu knüpfen", so Fitch, der einräumt, dass frühere Gedankengebäude dazu eher unvollständig geblieben sind und daher in Fachkreisen vielfach abgelehnt wurden. "Wir versuchen, die intuitive Idee zu retten, dass das gemeinsame Musizieren - wie es die Menschen wahrscheinlich seit etwa einer Million Jahren tun - neuronale Schaltkreise aktiviert, die positive Gefühle der Nähe und des Vertrauens zu anderen erzeugen. Als sich der Mensch weiterentwickelte und immer stärker davon abhängig wurde, dass Gruppen gut zusammenarbeiten, war die Musik eine entscheidende Schlüsselinnovation", meint der Wissenschafter.

So habe Musik unseren Vorfahren dabei geholfen, in und zwischen Gruppen Beziehungen aufzubauen. Letztlich könne sie als einer der Schlüssel zum Aufbau komplexer Gesellschaften gesehen werden.

Umstrittene These

Dieser Ansicht widersprechen andere Forschergruppen: In einem zweiten Beitrag von Samuel Mehr von der Harvard University (USA) in dem Fachmagazin wird davon ausgegangen, dass sich Musik in bestimmten Zusammenhängen als sehr nützlich erwiesen hat. So etwa, wenn es darum ging, durch koordinierte rhythmische Aktivitäten Zusammenhalt und die Stärke von Gruppen zu signalisieren. Zudem sehen Mehr und Kollegen die Entwicklung des Singens vor allem im Kontext der Kinderbetreuung als wichtig an.

Dem hält wiederum Fitch entgegen, dass in der Theorie der allgemeinen sozialen Bindungsfunktion der Musik die anderen diskutierten Begründungen für das Entstehen des Phänomens mit abgedeckt wären. Für die Forscher könnte gemeinsames, synchrones Singen und andere Vorformen des Musizierens im Gehirn tief gehende Prozesse ausgelöst haben, die sich im Fortgang der Evolution als wichtig erwiesen, und so auch Eingang in die genetische Entwicklung gefunden haben. Die Musik habe auch den Zusammenhalt zwischen größeren Gruppen besser fördern können, als das mit der etwa unter Affen weitverbreitete Körperpflege in der Gruppe ("Grooming") erreicht werden konnte.