Indian Summer: Wenn's die Blätter bunt treiben
Von Bernhard Praschl
So schnell kann es gehen. Gestern noch in sattes Grün gehüllt, entflammen die Laubwälder nach und nach in knalligem Orange, Purpur oder Zinnoberrot. Ja, der Herbst ist da. Man braucht nicht genau hinzusehen, um das zu erkennen. Manche hören es sogar.
„Wenn es nachts schon friert und die Sonne durch Frühnebel bricht, dann schreien Zuckerahorn und Roteiche in einer wahnsinnigen, verzückten Leuchtkraft“, empfand etwa Carl Zuckmayer, weltbekannter Autor des Hauptmann von Köpenick und Des Teufels General, als er in den 1930er-Jahren im Exil erstmals mit der Exotik der Laubwälder in Übersee konfrontiert wurde.
"Als wär's ein Stück von mir"
„Wir erlebten den ersten Herbst in Vermont, der die ,Grünen Berge’ in ein flammendes Feuermeer verwandelt. Noch nie, in keinem der Laubwälder Europas, hatte ich solche Herbstfarben gesehen“, notierte der Schriftsteller darüber hinaus in seinen Erinnerungen, „als wär’s ein Stück von mir“.
Bis heute hat sich daran nichts geändert. Nicht zufällig reklamiert der kleine Nachbarstaat des US-Ostküsten-Triumvirats Maine, Massachusetts und New Hampshire für sich, „den besten Indian Summer der Welt“ zu haben. So lautet zumindest Vermonts unbescheidener Werbeslogan.
Gib Zucker, Ahorn
Und wirklich, der Waldanteil ist mit mehr als 70 Prozent an der Gesamtfläche des US-Bundesstaates auffällig hoch. Aber nicht nur das. Vermont erfreut sich zudem über den landesweit höchsten Prozentsatz an Ahornbäumen, genauer gesagt: Zuckerahorn.
Dessen Blätter verfärben sich im Herbst besonders intensiv. So sehr, dass seit zwei, drei Wochen sogenannte leaf peeper, also „Blatt-Beobachter“, quer durch Vermont unterwegs sind, ständig Kameras und Handys zücken und die Bilder haufenweise ins Internet stellen und in sozialen Medien posten.
Zusätzlich sammelt ein Leaf Squad (frei übersetzt: ein „Blatt-Kommando“) alle kursierenden Informationen darüber, wo sich dem Betrachter jetzt gerade ein besonders schöner, sprich idyllischer Indian Summer-Anblick eröffnet. Man darf sich dabei freilich keine hektisch übers Land fahrenden Tornado-Jäger oder selbst ernannten Storm-Chaser vorstellen. Man schaltet in den Hügeln und Wäldern von Vermont grundsätzlich einen Gang zurück. Wenn ein rot gefärbtes Blatt sachte auf den Boden schwebt, gilt das hier als aufregend genug.
Das Laub & die Leiche
Filmfreunden fällt dazu vielleicht Alfred Hitchcocks makabre Komödie „Immer Ärger mit Harry“ ein, in der eine von herbstlichem Laub bedeckte Leiche eine tragende Rolle spielt. Viele Szenen davon wurden in Vermont gedreht, in Morrisville und in der kuscheligen Gemeinde Craftsbury.
Am Waldesrand liegende Farmen prägen das lokale Landschaftsbild genauso wie charmante Bed-and-Breakfast-Pensionen. Chillen statt Action ist angesagt. Dementsprechend lange dauert es in besagtem Krimi, bis die Protagonisten von der letal am Boden liegenden Person Notiz nehmen.
Der Hitchcock-Klassiker stammt aus dem Jahr 1955. Seither hat sich die Zahl der Farmen beträchtlich verringert. Touristen hingegen gibt es wesentlich mehr als Kühe. Auch wegen der konsequenten Vermarktungsstrategie Vermonts, seine Rolle als eigentliches Zentrum des Indian Summer wahrzunehmen.
Maple Leaf Flag
Dabei rücken längst andere Regionen sowie Begriffe dem ursprünglich rein US-amerikanischen Indian Summer zu Leibe. Ganz Kanada zum Beispiel. Nicht nur, dass das rote Ahornblatt markantes Element der Nationalflagge ist, der Maple Leaf Flag („Ahornblatt-Flagge“). Das exquisite Naturschauspiel gilt besonders an der Ostküste, in den Provinzen Ontario sowie Québec als Highlight unter den herbstlichen Besuchern.
Selbst an der Westküste in den Wäldern um Vancouver finden „Indian Summer Festivals“ statt. Mit nahtlosem Übergang in die Kürbisfest- und Halloween-Saison.
Kreativ in den Nachsommer
Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass man auch in den Wäldern des Wald- und Weinviertels sowie im steirischen Nationalpark Gesäuse dem Indian Summer frönt. Dabei waren wir in dieser Angelegenheit auch nie unkreativ.
Von Altweibersommer über Allerheiligensommer bis zu Nachsommer reichen die Bezeichnungen für eine herbstliche Schönwetterperiode. Und die ist mittlerweile auch hierzulande gut dokumentiert. Nicht nur von amtlicher Seite. Seit März des Vorjahres sammelt die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) via App Naturbeobachtungen. Ob bei einem Spaziergang, einer ausgedehnten Wanderung oder beim Garteln zwischendurch: Interessierte werden dazu animiert, ihre Beobachtungen über den Wechsel der Jahreszeiten mitzuteilen – auch im Dienst der Wissenschaft.
Natur auf der App
Seit dem Start der App sind jedenfalls schon mehr als 35.000 Naturbeobachtungen eingetrudelt, so Helfried Scheifinger von der Zentralanstalt. Mit Nachschub wird laufend gerechnet. „Aktuell erwarten wir die Laubfärbung und den Blattfall zum Beispiel bei Rotbuche, Süßkirsche und Apfel.“
Willkommen im Blätterwald
Mittlerweile haben bei den heimischen Laubbäumen die Verfärbung und der Blattfall eingesetzt. Der Klimawandel spiegelt sich allerdings nur schwach in den langjährigen Beobachtungsreihen dieser Herbstphasen. Scheifinger erklärt warum: „Die phänologischen Herbstphasen wie Laubverfärbung oder Laubwurf reagieren nicht eindeutig auf die steigenden Temperaturen der letzten Jahrzehnte. Die Umweltfaktoren, welche den Beginn der phänologischen Herbstphasen auslösen, sind noch wenig bekannt.“
Wenig bekannt ist auch, dass in Asien diesbezüglich beinahe schon ein Kampf der Kulturen ausgetragen wird. Amerikanischer Ahorn gegen Japanische Zierkirsche, „Indian Summer“ gegen Kirschblütenfest im Frühjahr.
Simmering gegen Kapfenberg
Nicht, dass diese Konkurrenz schon derartige Züge aufweist wie weiland der Fight zwischen Simmering und Kapfenberg. Aber rein gefühlsmäßig dürfte bei näherer Betrachtung der Momiji (dt. Ahornbaum) im Moment vorne liegen. Seit man nämlich erkannt hat, dass die ausgeprägte rötliche Laubfärbung die Laune der Menschen nachhaltig hebt, gelten diese Tage in Japan als perfekter Zeitpunkt, der Herbstdepression zu entkommen.
So gesehen befinden sich die Norweger ebenso auf einem Erfolgskurs. Sie werden gleich von zwei Seiten mit kräftigen Farben beschert: Die Wälder leuchten mit Bäumen in strahlendem Gold während die Heide in tiefen Rottönen leuchtet.
Diese Zweifärbigkeit bildet vor dem Hintergrund hoher schneebedeckter Bergkämme einen beeindruckenden Kontrast. Und liefert zudem einen schönen Beweis: Wenn man die Natur lässt, bastelt sie sich selbst die großartigste Kulisse.