Leben

Großmannhof: ein beinahe utopischer Ort für kleine Leute

Von der Friedensbrücke wandere ich die Wallensteinstraße entlang, sehe den Wegweiser zum Hannovermarkt, biege in die Hannovergasse ein. Auf dem Markt buntes Treiben, Gemüse, Fleisch, Bosna, vor allem vor einer Pitabrotbäckerei hat sich eine lange Schlange gebildet. Menschen verschiedenster Herkunft warten auf frisches Brot. Wenn die zuständige Stadträtin in Wien einen internationalen Markt vermisst, soll sie sich vielleicht hier einmal in die Schlange stellen.

In einem türkischen Geschäft hole ich mir einen Becher Ayran. Ayran, aus Joghurt, Wasser und Salz zusammengemischt, ist eine der zahllosen Delikatessen der türkischen Küche, auf die ich nicht mehr verzichten möchte. Erfrischt gehe ich über den Brigittaplatz, wo ich die vom Architekten Friedrich Schmidt erbaute katholische Pfarrkirche in Augenschein nehme, eine weitere, neugotische Implantation aus dessen Planung – neben dem Rathaus, dem Akademischen Gymnasium und anderen Kirchen im dritten und 18. Bezirk.

Nur der Ort ist speziell: Die Brigittakirche steht auf dem Gelände jenes Neulands, das durch die Donauregulierung in den Jahren 1868 bis 1875 gewonnen wurde. Erst im Jahr 1900 trennte die Stadt die neue Brigittenau von dieser zwischenzeitlichen Großversion der Leopoldstadt. Die Verhandlungen zwischen Bürgermeister und Gemeinderat über den Status der Brigittenau als eigenständigen Gemeindebezirk fanden übrigens im Gasthaus Ockermüller statt, das zwar nicht mehr steht, an das aber ein Gedenkstein am Marktrand erinnert. Immerhin.

Über die Romanogasse, die Klosterneuburger Straße und die Pappenheimgasse verschlägt es mich in die Denisgasse, aber dort komme ich nicht weiter, weil mich dieses Haus, dieser Bau, festhalten, geradezu annageln.

Was hier steht, ist ein Gemeindebau, aber nicht irgendeiner: Der Großmannhof vermittelt durch die spektakulären, trapezförmigen Fenster im Erdgeschoß so etwas wie Humor, wie Gestaltungswillen, wie den augenzwinkernden Verstoß gegen die Regeln, dass ein Fenster vier Ecken haben muss und nicht etwa drei oder fünf.

 Ich betrachte lange diese außergewöhnliche Fassade, für die der Begriff „expressionistisch“ wie geschaffen scheint. Das fünfeckige Eingangstor inszeniert den Blick in die Tiefe. Die Obergeschoße treten hinter den Sockelbereich zurück, dreieckige Wohn- und Stiegenerker verleihen dem Haus aus den Jahren 1925/26 seinen eigenwilligen Rhythmus, der sozusagen zwischen einem 3/4- und einem 5/8-Takt abwechselt, zwischen dem sich die Architekten Anton Valentin, Viktor Reiter und Wilhelm Otto Rumler nicht entscheiden wollten.

Manche der eigenwilligen Hauseingänge sind inzwischen zum Magazin umfunktioniert worden und notdürftig verhängt. Manche sind von innen mit bunten Abziehbildern beklebt. Ich finde es jammerschade, dass dieser Prototyp einer utopischen Gemeinschaftsarchitektur nicht gepflegt, nicht wild gefeiert wird. Meine Anregung: In vier Jahren wird der Großmannhof hundert Jahre alt. Tut was. Inszeniert die Fenster. Haltet das Versprechen dieser Architektur.

Friedensbrücke – Wallensteinstrasse – Hannovergasse – Hannovermarkt – Brigittaplatz – Romanogasse – Pappenheimgasse – Denisgasse – Grossmannhof: 2.500 Schritte