Leben/Gehen

„Nein, Carlo. Wir gehen nicht noch einmal zu den Panzern.“

Ich ging zuerst im Fasanviertel, Wien 3, verloren, dann kletterte ich auf einer Fußgängerbrücke über die Schnellbahntrasse und schlug auf der Adolf-Blamauer-Gasse den Weg Richtung Gürtel ein. Dort sah ich ein vogelwildes Gebäude aus dem Straßenlärm wachsen, das in den Siebzigern jeder Ostblockstadt zwischen Riga und Weißrussland alle Ehre gemacht hätte, sich aber bei näherer Betrachtung als „Sozialversicherungsanstalt der Bauern“ entpuppte.

Ich ging der Ghegastraße entlang weiter, bis sich das Arsenal vor mir aufbaute. Auch dessen Anlage verströmt etwas Gigantisches, Einschüchterndes. Kunststück, das Arsenal hatte schließlich nach den Revolutionsjahren 1848/49 die Aufgabe, Heißköpfen und Möchtegern-Revolutionären den Schneid abzukaufen, indem die Staatsmacht martialisch vor ihren Augen Gestalt annimmt.

Das „k. k. Artillerie-Arsenal“ besteht aus 31 Objekten, wurde 1849 vom gerade inthronisierten, 19-jährigen Kaiser Franz Joseph in Auftrag gegeben. Es diente als Kadettenschule, Waffenfabrik und Waffendepot. Im Dritten Reich richtete die Waffen-SS Reparaturwerkstätten für Panzer ein. Bei der „Schlacht um Wien“ im April 1945 war das Arsenal ein Brennpunkt der Kämpfe. Inzwischen ist es zu einem Stadtteil geworden, in dem mehr als 2.000 Menschen leben, lieben und arbeiten.

In einer Wiese neben Objekt 3 sammelten zwei Asiaten in der Wiese Kräuter. Ich fragte sie, was sie da in ihre Tornister packen, aber sie lachten mich nur freundlich an. Telefonierende Jogger kamen mir entgegen. Junge Männer mit Kopfhörern im Ohr schoben schicke Kinderwägen. Ein kleiner Bub quengelte seine Mutter an, bis sie ihm unwirsch mitteilte: „Nein, Carlo. Wir gehen nicht noch einmal zu den Panzern.“ Darauf brach Carlo leider sirenenlaut in Tränen aus, worauf seine Mutter seufzend nachgab und umdrehte. Ich den beiden natürlich hinterher.

Obwohl ich kein Waffenexperte bin, kann ich Carlos Begeisterung ein bisschen nachvollziehen. Auf der Hinterseite des Heeresgeschichtlichen Museums standen gleich ein paar Tanks in Reih und Glied, wahrscheinlich Oldtimer und längst ausgemustert. Ihre Wirkung verfehlten sie nicht. Ich zog den Kopf zwischen die Schultern und trollte mich, zutiefst glücklich, dass ich keines dieser Kolosse jemals im Einsatz habe sehen müssen.

Ich sah interessante architektonische Ergänzungen des historistischen Ensembles, als ich an den Probebühnen und Kulissenherstellungen von Oper und Bundestheatern vorbeischlenderte, bewunderte den Richtfunkturm der Telekom, der 1975 wie ein Alien im Arsenal gelandet ist (und übrigens auf den Namen „Alfred“ hört, falls ihm irgendwer eine Postkarte schreiben möchte), dann kehrte ich doch wieder zum Museum zurück, vor dem neben unzähligen Mörsern und Kanonenrohren zwei Draken-Flieger geparkt sind – für die Eurofighter ist übrigens noch jede Menge Platz.

Die Arsenalstuben rochen nach Schnitzel, also ging ich weiter in den Schweizergarten, wo ich in einem Biergarten namens „Klein Steiermark“ mein Glück fand, einen gespritzten Apfelsaft lang.