Christian Seilers Gehen: Spaziergang mit Pater Georg Sporschill
Von Christian Seiler
Diesmal bin ich auf einem anderen Spaziergang als sonst, durch eine Landschaft, die neblig und verhangen, aber auf raue Weise eindrucksvoll ist. Der Boden schwer und schwarz, meine Blundstones sehen ungefähr aus wie die Füße von Max und Moritz, wenn sie durch den Teig des Bäckermeisters waten. Wir steigen einen Hügel hinauf. In unregelmäßigen Abständen stehen Weißdornbüsche, und die beiden Hunde Bully und Simsa rasen über die Wiesen, die kein Bauer bewirtschaftet. Sie wittern Hasen oder Erdhörnchen, graben wie besessen, laufen weiter, der nächsten Spur nach, zum nächsten vielversprechenden Erdloch.
„Normalerweise siehst du von diesem Punkt aus die Karpaten“, sagt mir Pater Georg Sporschill, den ich hier in Marpod, Siebenbürgen, besuche, wo er mit dem von Ruth Zenkert und ihm gegründeten Projekt „Elijah“ versucht, das strukturelle Elend zu mildern, in dem viele Menschen, vor allem rumänische Roma, leben. Der Ort Marpod, wo Sporschill und sein Team Quartier genommen haben, sieht aus, wie ein Straßendorf im Weinviertel vor siebzig, achtzig Jahren ausgesehen haben mag.
Für die Seitengasse, wo die Roma leben, fällt mir allerdings kein Vergleich ein. Dieser Grad an Verwahrlosung ist mir neu. Was ich sehe, erschüttert mich tief – so wie es mich anrührt zu sehen, wie kraftvoll und engagiert die 80 Elijah-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zupacken und helfen: mit Kindergärten, Musikschulen, Werkstätten. Sie helfen allen, die sich und ihre Kinder ausbilden lassen. Bildung ist die Tauschware für Unterkünfte, Einrichtung, Verpflegung, weil nur Bildung die Menschen befähigt, sich eines Tages selbst aus dem Elend zu befreien, in das sie hineingeboren wurden. Es ist eine Sisyphusarbeit, reich an Rückschlägen, aber auch an unwahrscheinlichen Lichtblicken.
Wir gehen durch den Gatsch. Sporschill, den hier alle „Pater Georg“ nennen, lacht. Er liebt diesen Spaziergang. Er geht mit schnellen, kraftvollen Schritten, die sein Alter – 74 – federleicht aussehen lassen, und erzählt dabei von den Kindern, die er „seine“ nennt, liebevoll und abgeklärt. Man braucht, das lerne ich hier im schneidenden Winterwind, eine dicke Haut, um immer wieder damit zu beginnen, den Stein den Berg hinaufzurollen.
Ich staune über diese Landschaft Siebenbürgens, reizvoll, weit und großzügig. Plötzlich zieht Pater Georg seinen Gürtel aus den Jeans und ruft Simsa, den jüngeren und wilderen seiner beiden Hunde. Er erwischt ihn, gerade als Simsa Witterung aufnimmt und auf der anderen Seite des Hügels eine riesige Schafherde entdeckt. Der Pater nimmt Simsa an die Leine – den Gürtel. Der Hirte, der ein paar hundert Schafe dirigiert, treibt die Tiere weg vom Weg, damit es keine unerwünschten Begegnungen zwischen seinen und unseren Hunden gibt.
Georg zeigt mir den winzigen Unterstand mitten in der Landschaft, wo der Hirte auch bei Minusgraden die Nacht verbringt. Man könnte sofort in Tränen ausbrechen. Aber man kann auch heiter seinen Teil dazu beitragen, dass es besser wird. Das ist die Lektion dieser unvergesslichen, windigen Runde.
christian.seiler@kurier.at