Leben/Family

Schulangst: "Nicht Leistung, sondern Anstrengung belohnen"

Die Bildungspsychologin Julia Holzer von der  Universität Wien forscht zum Thema „Wohlbefinden in der Schule“. 

KURIER: Wird die Angst vor der Schule größer?

Holzer: Schulangst als Diagnose existiert als solche nicht. Der Begriff umfasst verschiedene Ängste, die mit dem Schulbesuch in Verbindung stehen. So zum Beispiel Angst vor Beurteilung oder vor einer Prüfung, Angst vor sozialen Herausforderungen oder Bedrohungen wie zum Beispiel Mobbing. Auch die Angst vor der Trennung von den Eltern kann dahinter stecken. Bei der Diagnostik ist es wichtig, hier zu unterscheiden und die zugrundeliegende Ursache herauszufinden.

Wir sehen, dass gewisse Störungen bei Kindern im Steigen sind. Während körperlich chronische Krankheiten wie Diabetes abzunehmen scheinen, gibt es eine Zunahme an psychischen Störungen und Entwicklungsauffälligkeiten. Man nennt das auch moderne Morbidität.

Was sind die Ursachen?

Schulische Überforderung kann ein Grund sein. Allerdings hat diese Entwicklung auch damit zu tun, dass sich die Welt im Wandel befindet, allen voran durch die Digitalisierung. Es werden heute viel mehr Kompetenzen gefordert, auch von Kindern. 

Stehen Kinder heute unter mehr Druck?

Zumindest ist die Anforderungsvielfalt eine andere und sie sind mehr Reizen ausgesetzt.  Das kann ebenfalls zu einer Überforderung führen, die sich auf die schulische Leistung auswirken kann. 

Wie äußert sich Angst vor der Schule?

Zum Beispiel durch schulverweigerndes Verhalten. Ängste können auch dazu führen, dass das Kind beginnt die Schule abzuwerten und so tut, als wäre ihm die Schule egal, um so der Angst Herr zu werden. Insbesondere bei jüngeren Kindern zeigt sich die Schulangst auch in somatischen Beschwerden wie Kopf- oder Bauschmerzen, Nägelkauen oder Durchfall. In so einem Fall ist es wichtig, dass abgeklärt wird, ob es körperliche Ursachen für die Beschwerden gibt oder ob sie unmittelbar mit der Schule im Zusammenhang stehen.

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Wie kann man dem entgegenwirken?

Statt auf die Menge des Lernstoffs Wert zu legen, ist es notwendig, die lebenslange Lernfreude aufrechtzuerhalten. Wichtig wäre auch, nicht die Leistung zu belohnen, sondern die Anstrengung, die erbracht wurde. Kinder sollten in der Schule einen Ort vorfinden, an dem sie ihre Stärken kennenlernen und sich ausprobieren dürfen, möglichst ohne Angst vor Fehlern, weil das eine Schulangst ebenfalls verstärken kann.

Wichtig ist auch, dass ein Kind bedingungslos Wertschätzung erfährt, nicht nur wenn es sich verbessert hat. Wenn es darum geht, Kindern zu vermitteln, dass Lernen keine Bedrohung ist, sondern etwas Wichtiges, das man braucht, gilt es, nicht die tatsächliche Leistung, sondern die Anstrengung, die erbracht wurde, zu belohnen.

Ein Widerspruch zum gesellschaftlichen Leistungsgedanken?

In der Schule geht es nicht darum, ein Kind ab dem sechsten Lebensjahr auf das Berufsleben vorzubereiten, sondern ihm zunächst möglichst gute Entwicklungschancen zu bieten. Man muss dem Kind die Möglichkeit geben, zu erforschen, was die eigenen Interessen, Stärken und Neigungen sind. Und ihm auch im Umgang mit Fehlern eine gewisse Resilienz mitgeben, dass ein Fehler oder ein Misserfolg nicht den Weltuntergang bedeuten. Dann können Kinder später besser damit umgehen, wenn sie neue Anforderungen haben werden, auf die man sie in der Schule noch gar nicht vorbereiten kann, weil man noch gar nicht weiß, wie die Arbeitswelt in zehn oder zwanzig Jahren aussehen wird.