Mutter geht undercover als Mädchen ins Netz – und ist schockiert
Das Internet ist voller Verrückter und oft gefährlich für Kinder und Jugendliche. Das sagen Experten immer und warnen auch Eltern. Aber selten wurde dies so eindrücklich vor Augen geführt wie bei dem Projekt, das jetzt in den USA durchgeführt und als Video dokumentiert wurde.
Internet-Spezialistin Sloan Ryan ist 37 Jahre alt und selbst Mutter. Gemeinsam mit ihrem Team wollte sie zeigen, wie gefährlich soziale Netzwerke für Kinder und Jugendliche sind, und ging mit einem Fake-Account als Jugendliche ins Netz. Etwa auf Instagram, Snapchat, TikTok und Kik.
Über das Ergebnis war sie selbst schockiert.
Fotos aus dem Kinderzimmer
Für das Experiment erstellte das Team ein falsches Profil. "Uns war klar, dass wir kein echtes Foto eines Mädchens verwenden können und deshalb wurde ich in eine 15-Jährige verwandelt." Mithilfe von Maskenbildnern und Grafikern verwandelte sie sich in Libby. Und nicht nur sie: Das Team richtete auch ein Kinderzimmer ein, in dem die Fotos gemacht werden konnten. Dazu falsche Freunde, damit das Mädchen echt wirkt.
Dann ging das Bild der 15-jährigen online. Nach wenigen Minuten trafen die ersten Nachrichten ein. "Willst du chatten?", "Du bist hübsch", "Schickst du mir ein Foto von dir" kamen – von erwachsenen Männern.
Ryan antwortete und die Männer wurden immer zudringlicher. Die Kommentare über ihr Aussehen wurden anzüglicher, etwa Fragen nach ihrer Körbchengröße. Und ziemlich bald kam der Wunsch nach Nacktfotos. Und dann bald Gespräche über sexuelle Handlungen.
"Die Sprache war unangenehm und kontrollierend. Einer schickte ein Foto und schrieb dazu: 'Jetzt schuldest du mir auch eines' und immer wieder die Aufforderung, nicht schüchtern zu sein", so Ryan. Ein anderer verlangte, dass sie ihm einmal täglich Fotos schicken sollte. Selbst wenn sie nur mit kindischen Emojis antwortete, ließen die Männer nicht locker.
"Wir haben fünf Leute zu den Computern gesetzt, um all die Nachrichten zu beantworten und Chats zu führen. Alleine wäre das gar nicht gegangen", so Ryan.
Erst 15, dann 11 Jahre
Dann ging das Team einen Schritt weiter. "Bei einer 15-Jährigen könnten sich die Männer darauf ausreden, dass sie schon selbst entscheiden kann. Und deswegen haben wir eine Elfjährige erfunden." Puh.
Sie nannten sie Bailey und gaben an, dass sie in die sechste Klasse geht, Angst vor der Dunkelheit hat und noch nie verliebt war. Und auch hier trudelten nach wenigen Minuten die ersten Nachrichten ein. So meldete sich ein User, dessen Profilbild ein Penis war. "Weißt du, was ein Blowjob ist?", fragte ein Mann.
"Wir haben in den Nachrichten immer wieder betont, dass sie erst zwölf ist, aber das hat niemanden gestört", so Ryan.
Doch die 15-Jährige erhielt nicht nur anzügliche Nachrichten, Fotos und Anrufe. Ein User wollte sie persönlich treffen. "Wir wollten gerne zeigen, wie das läuft, und haben mit unseren Sicherheitsberatern Rücksprache gehalten. Und dann haben wir ein Treffen in einem Hotel vereinbart."
Die Bilder sind verstörend: Der erwachsene Mann sitzt in der Lobby neben einem Mädchen, das er für schüchtern und für eine Jungfrau hält und drängt sie, hinauf ins Zimmer zu gehen. Immer wieder beteuert er, dass er vorsichtig sein wird.
Die Situation ist sogar für die Experten schwierig auszuhalten. Ryan: "Für mich war das alles sehr belastend. Aber wenn ich mich in die Situation einer Elfjährigen versetze, die alleine ist und niemanden zum Reden hat, ist das eine Katastrophe. Wenn etwas vorfällt, schämt sie sich und hat Angst, dass sie dafür auch noch Ärger bekommt."
Die Männer wurden der Polizei gemeldet, einige wurden verhaftet. Aber: "Wir können nicht alle unsere problematischen Fälle wegsperren", sagt ein Polizist und nennt die einzigen, die wirklich helfen können: "Die Eltern müssen unbedingt mit ihren Kindern immer wieder reden und sie sensibilisieren, dass sie mit keinen Fremden online interagieren sollen. Und sie sollten ihren Kindern nicht erlauben, ihr Handy in der Nacht im Zimmer zu haben."
Der Beweggrund für das Video soll dabei nicht ungenannt bleiben: Die Firma Bark will die Eltern nicht nur aus selbstlosen Motiven sensibilisieren. Sie überwacht im Auftrag der Eltern die Handies von vier Millionen Kindern und Jugendlichen in den USA, um die Eltern zu warnen, falls Nachrichten auf Mobbing oder Belästigung hindeuten. Die Organisation betont, dass sie die Inhalte nicht weitergibt, sondern sie mit künstlicher Intelligenz analysiert, ob eine ungewünschte Kommunikation vorkommt. Dann werden die Eltern gewarnt und können das Thema mit ihren Kindern ansprechen.
Es gibt sogar einen Namen dafür: "Cyber-Grooming", wenn fremde Menschen plötzlich Kontakt mit Kinder und Jugendlichen aufnehmen. Doch selbst, wenn die Situation im Video zugespitzt dargestellt wäre, sind die Reaktionen alarmierend. Únd entsprechen absolut den Erfahrungen, die auch österreichische Organisationen machen. In einer Umfrage von "Rat auf Draht" gaben 17 Prozent der Jugendlichen an, schon einmal von Fremden kontaktiert worden zu sein. Safer-Internet-Leiterin Barbara Buchegger warnt auf der Webseite der Organisation, in Videos und in unzähigen Elterngesprächen davor, dass Kinder auf vielen Plattformen von fremden Menschen angesprochen werden. Sogar YouTuber Julian Bam wandte sich in einem Video mit einer Warnung an seine jungen Fans (siehe hier unten).
Wer ist noch sicher?
Auch solche, wo Eltern gar nicht daran denken wie Fußballspiele über die Playstation oder die Musik-Plattform TíkTok. Buchegger: "Meine Tochter hat auch andere Kinder so kennengelernt und wollte sich sogar treffen. Das zu verbieten hat wenig Sinn, sonst machen es Kinder hinter dem Rücken ihrer Eltern. Also bin ich mitgegangen und bin in der Nähe geblieben. Die Mutter des anderen Mädchens übrigens auch."
Heikel ist die Situation besonders bei Kindern, die keine Vertrauensperson haben oder schon psychisch labil sind. So warnten Experten davor, dass etwa in Foren zum Thema Essstörungen immer wieder pädaphile Männer auf der Suche nach leichtern Opfern unterwegs sind.