Essen gehen in Zeiten von Covid: Kommt jetzt das Double Seating?
Von Gabriele Kuhn
Ab 15. Mai soll die Gastronomie wieder öffnen dürfen – unter welchen Voraussetzungen, soll aber erst Ende April bekannt gegeben werden. „Essen in Schichten“ wäre eine von vielen Möglichkeiten, um in der Corona-Krise wieder zu starten. Aber was ist damit gemeint? „Double Seating“ ist ein Trend aus den USA, der in den vergangenen Jahren auch zunehmend die europäische Restaurantkultur erreicht hat. Das bedeutet: Die Gäste essen in „Tranchen“, die Tische werden mehrmals vergeben.
Da kommt man, nimmt seinen 18-Uhr-Tisch, darf zwei Stunden lang essen und trinken – dann aber: „Zahlen, bitte!“, weil bereits die nächsten Gäste warten. Ein Rhythmus, mit dem man nicht mitmuss, befand man hierzulande bis vor Kurzem – also vor Corona. Österreich, speziell Wien, galt immer schon als langsamer, gemütlicher, gelassener. Man saß, aß, plauderte und bestellte drei, vier Flucht-Achterl – kein Gedanke an Zeit-Effizienz. „Obwohl bereits in vielen Ländern üblich, hat sich dieser Trend in Österreich bisher nicht durchgesetzt, die Österreicher sind typische Sitzenbleiber. Für sie gilt das Motto: Mein Tisch gehört mir“, sagt Martina Hohenlohe, Chefredakteurin des Restaurantführers GaultMillau.
Gemütlichkeit als typisch österreichisches Phänomen
Speziell in der Bundesthauptstadt Wien gilt diese gewisse „Gemütlichkeit“ als Alleinstellungsmerkmal - auch 2019 lag Wien in der Mercer-Studie auf Platz 1 der lebenswertesten Städte der Welt. Wer sich bei Geschäftsleuten und Managern umhört, erfährt, dass das, neben vielen anderen Aspekten wie Infrastruktur, Kultur- und Bildungsangebot, auch mit der typischen Wienerischen Langsamkeit und Gelassenheit zu tun hat. Sogar beim Business-Lunch wird vorher noch ein bisschen geplaudert, dann erst geht es zur Sache.
Das gemeinsame Essen ist ein soziokulturelles Phänomen: „In dem Moment, in dem die Menschen aufhörten, von der Hand in den Mund zu leben, und sich zu einem gemeinsamen Mahl versammelten, entstand die erste Form von Gesellschaft“, heißt es dazu in dem Buch „Identität geht durch den Magen: Mythen der Esskultur“. Erst die Etablierung dessen, was man „Restaurant“ nennt, ermöglichte einem Gast, dass er an einem Tisch zu einer individuell gewählten Zeit speisen durfte - so lange er mag.
In den USA gilt das „Double Seating“ aber schon seit langem als lukratives Modell zur Gewinnmaximierung, die Kellner bringen irgendwann ohne Aufforderung die Rechnung, als wenig dezente Aufforderung, dass es Zeit wäre, zu gehen. Im Hintergrund lauert schon der nächste Gast. „Es ist teilweise erschreckend, wie professionell man abgefertigt wird“, schildert die Foodtrendforscherin und Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler dazu auf dem Online-Portal Gastro News Wien ihre Erfahrungen mit Double Seating in den USA. Ob das in Österreich funktioniert, daran zweifelt sie: „Genuss und Geselligkeit spielen in Österreich eine wichtigere Rolle. Bei uns wird geredet und getrunken. Davon leben viele Wirte.“
Double Seating als Chance in der Corona-Krise
Martina Hohenlohe sieht im Double Seating hingegen gerade jetzt eine Chance: „Es wäre von Vorteil, könnte man einen Tisch zwei oder gar drei Mal an Gäste vergeben. Mehr Gäste bedeuten schließlich mehr Umsatz und das ist in dieser Phase eine gute Strategie, um rentabel und dennoch auf Distanz zu arbeiten. Außerdem bietet sich dadurch auch die Möglichkeit für Laufkundschaft, ganz spontan einen Tisch zu ergattern.“ Sie selbst habe das Phänomen schon in vielen europäischen Ländern und Städten erlebt – von Barcelona bis Paris: „Wenn man sich darauf einstellt, wird das zur Normalität. Das gute Essen hat man ja trotzdem genießen können.“
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