Leben/Essen & Trinken

Avocado-Wahnsinn: Das Doch-Nicht-So-Superfood

Es war, zumindest kulinarisch gesehen, das Jahrzehnt der Avocado: Reich an Vitaminen, Kalium und gesunden Fettsäuren, eroberte die birnenförmige Beerenfrucht im Eiltempo die Herzen lifestylebewusster Foodies. Wer auf Instagram nach dem Hashtag #avocado sucht, stößt aktuell auf neun Millionen (!) Beiträge, kaum eine Frühstückskarte kommt mehr ohne Avocadotoast, Avocadoeierspeis oder Avocadosmoothie aus.

Als veganer Butterersatz passt sie sogar in Kuchen und Desserts – ein wahres Wunderding also. Just als man dachte, die Welt könnte das Lorbeergewächs nicht noch mehr vergöttern, verbreiteten sich in den sozialen Medien Fotos von Heiratsanträgen: Die Ringe steckten nicht in einem Sektglas oder einem Schokodessert, sondern – richtig – im Fleisch der Avocado.

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„Blutdiamanten Mexikos“

Wie lang kann es gut gehen, wenn die halbe Welt nach einer Frucht giert? „Avocado-Konsum in Europa förmlich explodiert“, meldete der Welt-Avocado-Verband (ja, so etwas gibt es) vor einigen Tagen: In nur zwei Jahren war der Konsum der Europäer um 65 Prozent gestiegen.

Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht, und das, obwohl die Kritik am vermeintlichen Superfood lauter wird. Der irische Sterne-Koch JP McMahon bezeichnete Avocados in einem vielfach zitierten Interview mit dem Irish Independent als „Blutdiamanten Mexikos“ und rief Köche dazu auf, sie nicht mehr zu verwenden.

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Auch Umweltorganisationen warnten zuletzt vor den Folgen der unstillbaren Avocado-Gier. Die Avocado-Lobby habe alles daran gesetzt, die Frucht als sexy Schlankmacher zu vermarkten, kritisiert Jens Karg, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace: „Die Avocado hat sicher ihre Vorteile – in den Mengen, in denen sie mittlerweile weltweit verzehrt wird, wird sie aber zu einer immer größeren Gefahr für die Umwelt.“ Das beginnt beim langen Transportweg, den die Frucht zurücklegt, bis sie zerquetscht auf unseren Toasts landet: Im besten Fall kommt sie aus Spanien, im Normalfall aus Peru, Chile oder Südafrika.

Länder, die in der Regel Dürreregionen sind. „Das Problem ist, dass die Avocado sehr viel Wasser braucht. NGOs vor Ort berichten, dass Trinkwasserbrunnen austrocknen, weil das Gebrauchtwasser nicht mehr ausreicht. In diesen Gebieten ist es dramatisch, wenn man solche Mengen an Trinkwasser für die Avocadoproduktion verwendet.“

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Nirgendwo ist der Schaden so groß wie in Mexiko: Im Haupt-Exportland – zwei Millionen Tonnen Avocados wurden dort 2017 geerntet, Tendenz steigend – hat die Mafia das grüne Gold entdeckt. Um noch mehr Platz für die lukrativen Avocadoplantagen zu gewinnen, roden organisierte Verbrecherbanden illegal Wälder und unterdrücken, bedrohen oder verschleppen die Einheimischen. „Die Bevölkerung kann sich nur schwer dagegen wehren, weil viel Geld dahinter steckt und die Agrarmafia einen immensen Druck ausübt“, sagt Jens Karg.

Dazu kommt, dass der hohe Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln in den Monokulturen der Gesundheit schadet.

Konsum deutlich reduzieren

Der Appell des irischen Sternekochs scheint wortwörtlich zu fruchten, zuletzt verbannten hippe Cafés in England oder der Schweiz Avocado-Gerichte von der Menükarte, auch einflussreiche Lifestyle-Blogger, die den Hype einst angekurbelt hatten, machen auf die Nebenwirkungen aufmerksam.

In Wiens Bobo-Lokalen ist die Avocado (noch) ein Fixstarter, jedoch gibt es Ausnahmen: Haubenkoch Paul Ivic verzichtet in seinen vegetarischen Tian-Restaurants bewusst auf den Einsatz der Trendfrucht. Es sei eine der Hauptaufgaben von Gastronomen, die Verantwortung gegenüber der Umwelt ernst zu nehmen: „Die Entscheidung basiert auf dem Wissen über die enorme Ressourcenverschwendung, die alle Massenproduktionen mit sich bringen. Die Hauptargumente für uns sind die illegale Abholzung und die Verschmutzung von Trinkwasser.“

Er appelliert an den Konsumenten, jedem Hype mit Skepsis zu begegnen. „Ein Superfood, das mit Chemikalien vergiftet wurde, ist kein Superfood mehr.“

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Jens Karg von Greenpeace rät, zumindest „deutlich weniger“ Avocados zu essen und auf deren Herkunft zu achten. Fair produzierte und unbehandelte europäische Avocados gibt es etwa im Online-Shop www.avocadoshop.biz, den deutsche Auswanderer gegründet haben. Die Früchte kommen direkt von der andalusischen Finca und werden nur angeboten, wenn sie Saison haben.

Karg sieht auch die Gastronomen in der Pflicht: „Wenn man nachhaltiges Essen anbieten möchte, ist der logische Schluss: regional, saisonal, biologisch produziert. Das ist ja auch das, worauf die Leute immer größeren Wert legen.“ Im Tian hätte sich ob der Avocado-Absenz noch kein Gast beschwert, berichtet Ivic. „Pflanzliche Küche ist auch so abwechslungsreich genug.“

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