Leben

Weekender Brünn: So Wien und doch so anders

Tochter Grete hatte endgültig genug. Der ganze Jugendstil-Kitsch, der Stuck, die gusseisernen Gitter, diese Statuen, die einem ständig überall die Sicht ins Freie verstellten: Das alles wollte die Fabrikantentochter jetzt hinter sich lassen. Jetzt würde sie ihre Idee von einem modernen Wohnhaus endlich Realität werden lassen. Ein „geräumiges, modernes Haus mit klaren einfachen Formen“ sollte Greta Tugendhat später über ihren Wunschtraum schreiben. Ein Wunschtraum, den sie übrigens mit ihrem Ehemann Fritz teilte. Der hatte nämlich auch genug von  „Zimmern, die bis an die Decke mit Figürchen und Zierdecken vollgestopft waren.“

Aus den Ideen von Fritz und Grete ist ein  weltberühmtes Stück Architektur geworden, die Villa Tugendhat.

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Noch vor wenigen Jahren war sie vom Verfall bedroht, eher von Wasserschäden als von architektonischer Genialität gezeichnet und außerdem lieblos mit unpassenden Möbeln vollgestopft. Heute aber ist das Werk des deutschen Architekten Ludwig Mies van der Rohe bis ins letzte Detail – das heißt bis zu den Dessertlöffeln – rekonstruiert, hat den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes und wird inzwischen von  Kulturtouristen derart gestürmt, dass man sich  lieber Monate als Wochen vorab für einen Besuch anmelden sollte.

Der Geist der Moderne

Man kann nach Brünn kommen, um dieses Architekturwunder zu bestaunen, man kann aber auch nach Brünn kommen, um den Geist, in dem es entstanden ist, zu verstehen – und ihn im modernen Brünn wiederzufinden. In einer Stadt, die immer gerne in die Zukunft geschaut hat, und es heute – wo Zehntausende Studenten das Leben hier prägen – aufs Neue tut. Brünn ist eine Stadt voller Brüche, wo das Neue immer das Alte herausgefordert hat, egal, ob es nun um die Villa Tugendhat geht und all die anderen revolutionären Bauten des Funktionalismus, oder heute um die hippen Bars in der Innenstadt, die nicht nur bei ihrer Inneneinrichtung mit allen Konventionen brechen, sondern auch etwa bei der Namensgebung. „Die Bar, die gar nicht existiert“ heißt das derzeit angesagteste Lokal. „Na Stojaka“, gleich ums Eck, hat die Kultur der schäbigen Gassenausschanken, die es einst im Kommunismus gab, ins postmoderne 21. Jahrhundert befördert.

... Brünn einst das Mährische Manchester genannt wurde, weil hier vor allem jüdische Fabrikanten im 19. Jahrhundert einen ganzen Ring von Textilfabriken rund um die Stadt legten?
... das Wahrzeichen der Stadt, der „Brünner Drache“ ein Krokodil ist, das der ungarische König 1608 der Stadt schenkte, und dass heute im Eingang zum Alten Rathaus hängt?
... jeden Tag um elf Uhr eine Glaskugel aus der sechs Meter hohen Uhr aus Granit auf dem Freiheitsplatz herausfällt? Ein begehrtes Souvenir.

Jüdische Textilmagnaten

Doch fangen wir trotzdem bei Grete Tugendhat und ihrem Wohntraum an. Die Spur nimmt man am besten auf, wo der entstand: in der Villa ihrer Eltern. Die ist gleich hinterm Gartenzaun der Tugendhat zu finden und ist doch Welten davon entfernt.
Das Haus, in das der jüdische Textilmagnat Alfred Löw-Beer 1913 einzog, könnte auch in einem der Wiener Villenviertel stehen. Eleganz der Ringstraßenepoche, die sich heute ebenfalls als Museum für Besucher öffnet.

Ganz so wie das  Cottage in den Wiener Nobelbezirken Döbling oder Hietzing war Schwarzfeld („Cerna Pole“) um die Wende zum 20. Jahrhundert das Viertel in Brünn, in dem sich die neue Oberschicht der Stadt ansiedelte – und das ist es heute wieder. Wer durch diese Gassen im Norden der Stadt spaziert, pendelt zwischen perfekt restauriertem historistischem Prunk aus der Monarchie und frisch in Beton und Glas hingeklotztem neureichem Selbstbewusstsein.  

Kathedralen und Skelette

Die bescheidene, unterkühlte Genialität der Villa Tugendhat verschwindet da beinahe zwischen all der architektonischen Angeberei – von damals und von heute. Der Funktionalismus, also jener Stil, der durch die Architekten des Bauhaus weltberühmt wurde, drängt sich dem Besucher nicht auf und hat doch überall in Brünn seine Spuren im Stadtbild hinterlassen.  
Natürlich empfängt einen Brünn wie jede mitteleuropäische Stadt  zuerst einmal mit  historischer Pracht. Gotische Kathedralen wie die Jakobskirche, wuchtige Barockhäuser auf dem Krautmarkt, unterirdische Gänge, voll mit Skeletten, durch die man spazieren kann.

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Dazu kommt die ganze Pracht der Wiener Ringstraßenperiode – und das, ganz nach dem Vorbild der Monarchiehauptstadt, ebenfalls entlang einer Ringstraße. Die ist zwar heute nur noch  als Stückwerk vorhanden, doch Gebäude wie das Mahen-Theater, das  nicht nur exakt so aussieht wie das Wiener Volkstheater, sondern auch vom selben Architektenduo Fellner&Helmer stammt, machen deutlich, wie nah Brünn damals bei Wien lag.  

... den Roman, „Ich habe den englischen König bedient“, ein Schelmenroman vom tschechischen Dichter Bohumil Hrabal. Treffender und mit mehr schwarzem Humor kann man die vornehme Welt der Zwischenkriegszeit und die Nazizeit kaum schildern.
... einen Extra-Sweater für die langen Nächte draußen auf den Plätzen im Ausgehviertel rund um die Jakobskirche.
... ein Opernglas und einen dunklen Anzug. Schließlich ist das Brünner Nationaltheater, auch Janacek-Theater genannt, auch bei Wiener Opernfreunden beliebt - obendrein sind Karten erschwinglich.

 

 

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Bruch mit Konventionen

Doch zwischen all dieser historischen Übermacht bricht in Brünn keck und  oft mit viel Witz die Moderne durch. Für die Tschechen waren die Jahre zwischen den Weltkriegen eine goldene Zeit, der Funktionalismus wurde zum tschechischen Nationalstil, und der verschaffte sich  in der Industriemetropole  Brünn seinen Platz. Mitten in der Altstadt etwa, gleich neben dem Freiheitsplatz, zwängt sich das Hotel Avion mit genau acht Metern Breite, zwischen seine barocken und klassizistischen Nachbarn. Mit riesigen Fenstern und Porzellanverkleidung war es eines der ersten Gebäude, bei dem eine Gruppe junger Architekten – übrigens  allesamt in Wien ausgebildet – mit allen damaligen Konventionen brach.

Funktionalismus und Sozialismus

Wie diese Revolution weiterging, kann man in Brünn zu Fuß und mit der Straßenbahn verfolgen. Vom Pavillon des Cafe Zeman im Stadtpark bis hinaus zum Brünner Messegelände. Es ist das größte und eindrucksvollste Architekturdenkmal, das die Funktionalisten in dieser Stadt hinterlassen haben. Einige Gebäude sind im Krieg zerstört worden, andere wiederum stammen aus der Zeit des Kommunismus, der wiederum seine eigene Vorstellung von Moderne in Beton goss und sich damit zwischen die Gebäude aus der Zwischenkriegszeit zwängte. Man kann hier einfach herumlaufen, am besten aber erlebt man das Messegelände bei einer der zahlreichen Veranstaltungen, die dort stattfinden: Ausstellungen, Konzerte, Festivals ... und natürlich Messen aller Art.
Veranstaltungen muss man in Brünn nicht lange suchen.

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Uni-Metropole

In einer Stadt mit fast 70.000 Studenten ist ständig irgendwo irgendetwas los. Wer durch die Innenstadt spaziert, kann sich im Zettelwald auf den Plakatflächen informieren oder er läuft ohnehin in ein Straßenkonzert oder Bierfestival hinein.  Anders als Prag mit seinen träg fließenden Touristenströmen und dem  dazugehörigen, fest etablierten Kulturangebot  probiert sich Brünn gerade als Kulturmetropole aus. Das macht die Stadt für ihre Gäste zu einer ständigen Überraschung, in der es immer etwas Neues zu entdecken gibt: Eine neue Bar, ein neues Museum, ein neues Avantgardetheater. In Brünn wird ständig umgebaut, ständig neu angefangen.

Und wieder traut sich jemand das Alte, in dem man sich anderswo – wie etwa in Wien – so herrlich eingerichtet hat, herauszufordern. Es muss ja nicht immer eine Millionärstochter sein.

 

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Vier Tage, vier Routen

Die freizeit  führt stilvoll durch das lange Wochenende in Brünn.

 

DONNERSTAG:

1. Altstadt mit Grusel
Versuchen Sie auf dem Freiheitsplatz die verrückte Uhr zu verstehen und gruseln Sie sich in Europas größtem Beinhaus in der Jakobskirche.

2. Lunch auf dem Krautmarkt
Auf dem Krautmarkt findet jeder seinen perfekten Imbiss.

3. Rauf auf den Rathausturm
Im alten Rathaus gibt es ein 400 Jahre altes Krokodil und vom Turm die beste Aussicht.
 
4. Die Bar, die nicht existiert
Wenn es in Brünn eine angesagte Cocktail-Bar gibt, dann diese, die ja „nicht existiert“.
www.barkteryneexistuje.cz

 

FREITAG:

5. Im Atombunker
Der einstige Atombunker für die kommunistische Führung ist zugänglich für Besucher.
https://10-z-cz/de

6. Bistro Atelier
Einer der schönsten Innenhöfe in der Brünner Altstadt.
www.atelierbar.cz
 
7. Das Kaiser-Gefängnis
In der Burg Spielberg gab es das einst schlimmste Gefängnis der Monarchie.
www.spilberk.cz/de

8. Na Stojaka
Stehtische mit frisch gezapftem Craft-Bier draußen auf der Gasse.
http://vycepnastojaka.cz/en

 

SAMSTAG:

9. Unterirdisches Labyrinth
Eine auch für Kinder spannende Abenteuerreise in die Tiefe. Eingang und Kassa auf dem Krautmarkt.
 
10. U Seminaru
Ein Wirtshaus wie zu Kaisers Zeiten, ohne klebrigen Touristenkitsch.
www.useminaru.cz
 
11. Mit der Bim zum See
 Lieblingsausflug der Brünner: zum Stausee, am besten mit der Bim.
 www.visitbrno.cz/de/brno-der-schiffsverkehr-auf-dem-brunner-stausee/68/
 
12. Patisserie Aida
Mehlspeishimmel mit Schanigarten vom Indianer bis zur Cremeschnitte.
www.cukrarnaaida.cz

 

SONNTAG:

13. Villa Tugendhat
Unesco-Weltkulturerbe: Bauhaus-Architektur von Mies van der Rohe.
 www.tugendhat.eu/en/homepage.html
 
14.Bukovsky Kavarna
Zwischen k.u.k und American 50s, plus Mehlspeisen-Verrücktheiten.
www.bukovskycukrarstvi.cz
 
15. Villa Stiassni
Das zweite und weit weniger überlaufene Musterbeispiel für den tschechischen Funktionalismus.
www.vila-stiassni.cz/cs
 
16. Dum Panu z Lipe
Auf der Terrasse gibt es  guten Espresso und Blick über Brünn.
www.vyhlidka-cafe.cz

 

HOTELTIPPS:

17. Hotel Barcelo
Das Top-Business-Hotel in Brünn, eingerichtet in einem alten Palais, moderne, komfortable Zimmer.
www.barcelo.com

18. Hotel Anybody
Hippes, originelles Boutique-Hotel, das  obendrein noch mitten in der Stadt liegt.
https://www.anybody.cz/welcome

19. Hotel Grandezza
Das Grand-Hotel im klassischen Stil der Jahrhundertwende, beste Lage, erschwingliche Preise.
https://www.grandezzahotel.com/en/