Leben

Besuch aus dem hohen Norden: Die Elche kommen zurück

Elch Herwig kann seine Freude über den Schnee heute endlich wieder ausleben. Er dreht sich in einer leichtbeinigen  Pirouette flink um die eigene Achse, stellt sich  auf die langen Hinterbeine, um möglichst nahe bei der Quelle von Frau Holles Flocken zu sein und stößt lustvoll aus voller Röhre ein Urgeräusch aus, das durch Mark und Bein geht. An seinen Wimpern hängen Schneeflocken.

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„Pass auf, wo d’ hintrittst – steig´ deiner Frau jo net auf d’ Füaß“, sagt Tierpfleger Hans, und meint Nilla, die Elchkuh. Herwigs ausladendes Schaufelgeweih berührt fast die Baumkronen, so hoch steigt der Riese. Mit flinken Bewegungen huscht Hans durch den Stall der Elchfamilie, mischt Mineralstoffe im Futtertrog zu Kraftfutterpellets und Weizenkleie und schüttet knackfrische Karotten zur Mahlzeit. Beim Einstreuen des Strohs in die Gänge stehen die drei Elche im Freien und beobachten Hans  bei der Arbeit. Die Tiere sind zu gefährlich und unberechenbar, um sich ihnen zu nähern. Und so ist entweder Hans im Stall und die Elche sind draußen oder  umgekehrt. Sie kennen die  Routine des täglichen Arbeitsablaufes und wissen, dass es gleich so weit ist, bis er durch die Schleuse tritt und sie hineindürfen, zum Frühstücken. „Die Tiere san sehr heikel bei der Ernährung, die fressen nit alles!“, sagt Hans und schnappt sich die Mistgabel, um das Gehege zu säubern.
 

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Elche sind Feinspitze
Von allen Huftieren, die Hans im Alpenzoo Innsbruck betreut, sind die Elche am Anspruchsvollsten. Zu dieser Gruppe gehören neben den Elchen die Rehe, Steinböcke, Gämsen, Wildschweine und Wisente. Das ganze Jahr über müssen die Felsen mit Wasserstrahlern gesäubert werden. Und das jede Woche. Bei klirrendem Frost ist es wichtig, mit der Sonne zusammenzuarbeiten. Dort, wo es zum Hang hinwärmt, kann dann gearbeitet werden.
Neben der Hygiene ist die Nahrungsbeschaffung für die Tiere ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit des Tierpflegers. Am liebsten fressen die Elche energiereiche Nahrung.  Frisches Laub von Buchen und Ahorn mögen sie besonders. Auch Eichenlaub würden sie gerne verspeisen. Dieses wird ihnen allerdings absichtlich vorenthalten, weil es eine heilende Wirkung bei Verdauungsproblemen hat. Es wird nur bei entsprechender Indikation serviert.
Der größte Teil des Blätter-Bedarfs kommt  vom Areal des Alpenzoos. Nur im Winter, wenn auf Fichten und Föhren zurückgegriffen wird, muss das Futter von woanders geholt werden. „Es ist interessant zu sehen, wie die Elche mit dem Zupfen der weichen Nadeln anfangen und dann erst die Rinde von den Ästen abschälen – die sind echte Feinspitze“, meint Hans.

Groß, schwer, lang
Der Elch ist die größte heute lebende Hirschart. Er hat eine Kopf-Rumpf-Länge von bis zu drei  Metern, eine maximale Schulterhöhe von zwei Meter dreißig und wiegt bis zu 800 Kilogramm, je nach Unterart, Lebensraum und Lebensbedingungen.
Jetzt nähert sich ein natürlicher Feind des Elches in Gestalt eines „Zuckerhundes“ dem Gehege. Ein Diabetes-kranker  Zoobesucher wird von solch einem geschulten Kameraden begleitet, der sein Herrl rechtzeitig vor einem zu niedrigen Zuckerpegel warnen kann. Als der Hund näher kommt, legen die Elche die Ohren an und lecken sich über den Muffel, die überhängende Oberlippe. Nilla hebt vorsorglich ein Vorderbein wie ein Thaikickboxer auf. Wäre hier keine Abtrennung, hätte der kleine Vierbeiner eine harte Zeit.

 

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Riesenelch in der Fotofalle
Zu den natürlichen Feinden der Elche, die in Nordeuropa, Nordasien und Nordamerika leben, zählen Wölfe, Bären und je nach Lebensraum auch Pumas. Die Weltnaturschutzunion IUCN stuft sie  als „nicht gefährdet“ ein. Wie Knochenfunde zeigen, waren sie   nach der Eiszeit  auch in Tirol heimisch. Am 28. Oktober 1951 entdeckte der Bergführer und Höhlenforscher Toni Gaugg am Eingang zum Karwendelgebirge ein Elchskelett.
Vor fünf Jahren ist ein Riesenelch im Bezirk Melk in eine Fotofalle eines Revierjägers getappt. Das Bild von der Seite zeigt in unverwechselbarer Weise das Geweih und den zottigen Kinnbart des Nomaden. Elchsichtungen sind in Niederösterreich mittlerweile keine Seltenheit mehr.  In Dorfstetten im Yspertal wurde eine Elchkuh samt Kalb fotografiert. „Die Elche wandern eigentlich schon seit tausenden Jahren hier, aber aufgrund des Eisernen Vorhangs haben sie das eine Zeit lang nicht mehr können“, erklärt Jäger Hannes Sandler.
 

Gastgeschenk von Königin Silvia
Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs hätten die Elche ihre ursprünglichen Wanderrouten wieder aktiviert. „Eine Route führt entlang der March und eine bei Pöggstall durch den Bezirk Melk“, sagt Sandler. Dass  Elche im Innsbrucker Alpenzoo leben, ist aber einem hohen Besuch aus dem Norden zu verdanken. Schwedens Königin Silvia übergab die Tiere im Jahr 1980 als Gastgeschenk an den damaligen Zoodirektor Helmut Pechlaner.

Eine Prise Lecksalz
Herwig, Nilla und Tochter sind fertig mit der Morgenmahlzeit. Tierpfleger Hans hat in der Zwischenzeit das Gehege auf Vordermann gebracht. Kein Mist liegt mehr im terrassenförmig angelegten Gehege. Abgenagte Äste sind entfernt. Der Schneefall hat aufgehört. „Leider“, sagt Hans, „schau nur, wie der Herwig jetzt deprimiert schaut.“
Als würde der Bulle jetzt seinen Frust abbauen, reibt er sein Rückenfell an einer fix montierten Bürste. Dann genehmigt er sich eine Prise Lecksalz aus der Dose an der Säule des Stalls. „Brauchst nit traurig sein“, sagt Hans, „der Winter hat jo erst ang’fangen, es wird schon no was obaschnein.“ Wie viel Schnee noch kommen wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt keiner.

Auf zum Bananentanz
Hans zückt eine Banane. Das grelle Gelb ist ein Farbschrei in der monochromen Winterlandschaft. „Die brauch´ich jetzt, damit die Elche rauskommen aus dem Stall! Wir sind draufgekommen, dass unsere Freunde aus Schweden des Affenfutter so gern mögen. Jede Woche holen wir einen Karton vom Supermarkt.“
Als Hans die Banane abschält, stellt sich Herwig wieder majestätisch auf seine Hinterbeine. Zum Bananentanz.

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