Auf der Suche nach Renditen
Von Martin Kwauka
Bei den Anlegern hat es heuer so richtig geklingelt. Mit einem globalen Aktienmix konnten Anleger von Jahresanfang bis Ende Oktober rund 21 Prozent gewinnen. Anleihen waren endlich wieder ein gutes Investment. Gold notiert auf neuen Rekordkursen. Auch mit Mischfonds aus Aktien und Anleihen, dem beliebtesten Investmentprodukt in Österreich, waren hohe einstellige, mitunter sogar zweistellige Renditen einzufahren. Kurz gesagt: Heuer war es ziemlich schwer, als Anleger kein Geld zu verdienen. Leider haben davon viele Österreicherinnen und Österreicher nicht profitiert. Im Gegenteil: Zwar wurde in den vergangenen Jahren viel gespart und heuer sogar besonders viel. Nach Abzug der hohen Teuerung ging die Kaufkraft des Vermögens trotzdem deutlich zurück. Laut Zahlen der Oesterreichischen Nationalbank ist das Geldvermögen inflationsbereinigt im ersten Halbjahr 2024 real um minus 0,7 Prozent geschrumpft. Das wäre ja noch verschmerzbar, es ist aber bereits das dritte negative Jahr in Folge.
Im Jahr 2023 lagen die realen Verluste bei 5,1 Prozent und 2022 sogar bei zehn Prozent. Die unerfreuliche Diagnose lautet also: Österreich spart sich arm. Der Hauptgrund sind die im internationalen Vergleich enorm hohen Summen auf täglich fälligen Konten. Ein großer Teil der dort liegenden 188 Milliarden Euro wird fast nicht verzinst. Zum Vergleich: In Anleihen, die das deutlich gestiegene Zinsniveau für viele Jahre sichern können, stecken nur 30 Milliarden Euro. Ein interessantes Detail: Im zweiten Quartal 2024 wurde deutlich mehr neu in Anleihen investiert als davor und zwar hauptsächlich via bundesschatz.at. Das ist ein neues, gut verzinstes Online-Sparprodukt der Republik, bei dem im Hintergrund in sichere Staatsanleihen investiert wird. Nach dem ertragreichen Jahr 2023 haben österreichische Sparer auch 2024 die guten Gelegenheiten großteils verpasst. Das ist nicht mehr zu ändern. Die Kernfrage lautet: Wie geht es 2025 und in den kommenden Jahren weiter? Wo gibt es lukrative Chancen, wo sollte man besonders vorsichtig sein? Und mit welchen neuen Entwicklungen ist im kommenden Jahr zu rechnen?
CHANCEN SIND INTAKT. Auf dem Papier sind die Chancen für Aktien nach wie vor intakt. So rechnen die globale Zunft der Analysten für die 50 wichtigsten Aktien im EuroStoxx50 nach einem leichten Gewinnrückgang im Jahr 2025 im Durchschnitt mit 9,1 Prozent höheren Gewinnen. Nur Österreich hinkt laut Prognosen weiter hinterher: Die Analysten rechnen für die Titel im ATX-Index bloß mit mageren plus 1,7 Prozent.
Wesentlich optimistischer sind die Aktien-Auguren für den US-Technologieindex Nasdaq 100. Schon heuer sprudelten die Gewinne bei Aktien im Bereich Künstlicher Intelligenz wie dem Chiphersteller Nvidia. 2025 rechnet man für den Nasdaq mit weiteren 22,4 Prozent Gewinnplus, im breiteren S&P-500 immerhin mit 14,9 Prozent. Die Frage ist, ob nicht die Schönwetter-Propheten zu optimistisch sind.
ZU OPTIMISTISCH? So hat zum Beispiel die US-Investmentbank Goldman Sachs die Gewinnerwartungen für europäische Unternehmen im Oktober kräftig gekürzt. So erwartet man für heuer statt sechs Prozent nur noch einen durchschnittlichen Gewinnzuwachs pro Aktie von mageren zwei Prozent. Für 2025 sind die Aussichten mit plus drei Prozent kaum besser. Dementsprechend erwartet Goldman Sachs auch für Europa-Aktien in den kommenden 12 Monaten ungefähr so viel Gewinn wie mit Euro-Staatsanleihen. Auch in Amerika werden 2025 kleinere Semmeln gebacken, die Gewinnerwartungen auf 12 Monaten liegen aber immerhin bei plus acht Prozent. Die besten Chancen sieht Goldman Sachs in Asien ohne Japan mit 15 Prozent.
MAGERE RENDITE. Noch mehr Salz in die Suppe der US-Optimisten streute kürzlich der Goldman-Sachs-Aktienstratege David Kostin mit einer sehr pessimistischen Langfristprognose. Für den S&P 500 rechnet er in den kommenden zehn Jahren im Hauptszenario nur noch mit einer durchschnittlichen Rendite von mageren drei Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: In der vergangenen Dekade konnten die US-Aktionäre traumhafte Gewinne von im Schnitt 13 Prozent pro Jahr lukrieren. Mit einer 72-prozentigen Wahrscheinlichkeit glaubt Goldman Sachs, dass US-Staatsanleihen in den kommenden zehn Jahren besser abschneiden als US-Aktien.
Gründe für die Skepsis sind, dass nur wenige Aktien aus dem Tech-Sektor die Börsenrally antreiben, diese erfahrungsgemäß nicht in dem Tempo profitabel weiterwachsen können und außerdem die Aktienbewertung sehr sportlich sind. In Zukunft, so Goldman Sachs, würde ein Index mit einer Gleichgewichtung aller 500 Aktien im S&P besser abschneiden als der gängige Index, in dem die größten zehn Aktien von Apple über Microsoft bis Broadcom bereits 34 Prozent des Index ausmachen.
Das heißt: Wenn die Optimisten richtig liegen, steigen die Kurse weiter. Sollte sich abzeichnen, dass Goldman Sachs recht hat, ist mit deutlichen Kurskorrekturen zu rechnen. Die Frage ob, wann und warum ein Rückschlag ins Haus steht, kann niemand genau vorhersagen. Krisenherde gibt es jedenfalls einige. So kämpft die Autoindustrie mit Absatzschwächen und vollen Lagern. Die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten könnten weiter eskalieren. Potenziell bedrohlich für die Weltwirtschaft wäre eine Attacke von China auf Taiwan. Im Oktober führte China ein großes See-Manöver rund um Taiwan durch und kündigt wiederholt an, dass auch eine gewaltsame Eroberung denkbar sei. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, lässt sich nicht einschätzen. Sollte das wirklich passieren, könnte die Welt in eine Situation vergleichbar mit der Finanzkrise 2007/2008 geraten. Taiwans Halbleitergigant TSMC ist ein Zentrum der globalen Chip-Industrie. Außerdem würde wohl ein großer Handelskrieg zwischen den USA und China ausgelöst werden.
BÖRSENREGEL. Gunter Deuber, Chefvolkswirt von Raiffeisen, empfiehlt jedenfalls, mit größeren neuen Aktieninvestments zu warten, bis die Kurse korrigiert haben. Es gilt zudem die alte Börsenregel, dass mit Gewinnmitnahmen hier und da noch kein Anleger pleite gegangen ist. Falls der generelle Börsentrend positiv bleibt, könnte es zu einem Favoritenwechsel in Richtung zurückgebliebener Aktien kommen. So konzentrierte sich die Gunst der Anleger nach dem steilen Zinsanstieg in Richtung weniger großer Blue Chips, während kleinere Nebenwerte links liegen gelassen wurden.
Die Überlegung dahinter: Vor allem große Tech-Werte haben hohe Kontoguthaben und profitieren sogar von mehr Zinsen. Kleinere Unternehmen, vor allem solche mit starkem Wachstum, mussten dagegen plötzlich viel mehr an die Schuldner überweisen.
NEBENWERTE. Doch jetzt beginnen die Zinsen wieder zu sinken, was die Attraktivität der Nebenwerte erhöhen könnte. Anita Frühwald, Österreich-Chefin der BNP-Paribas-Fonds in Österreich: „Die USA werden sich nach der Wahl noch stärker auf die eigene Wirtschaft konzentrieren. Das sollte gut sein für sogenannte US-Small-Caps, also kleinere Unternehmen, die stärker im Inland tätig sind als internationale Konzerne. Auch europäische Nebenwerte sind 2025 interessant.“ Bei Gold sind die Chancen intakt, dass der Preis weiter steigt. Viele springen jetzt noch auf den fahrenden Zug auf, sinkende Zinsen sind traditionell gut für den Goldpreis. Nicht zuletzt ist Gold eine Krisenwährung, wenn geopolitische Konflikte ausufern.
"Die USA werden sich nach der Wahl noch stärker auf die eigene Wirtschaft konzentrieren. Das sollte gut sein für US-Small-Caps. Auch europäische Nebenwerte sind 2025 interessant."
ATTRAKTIVE ZINSEN. Anleihen könnten ebenfalls von den unsicheren Zeiten profitieren. Außerdem bekommen Anleger weiter attraktive Zinsen, wenn auch nicht ganz so hoch wie im Herbst 2023. Gerhard Beulig, Fondsmanager der Erste Asset Management, sieht Potenzial bei Euro-Unternehmensanleihen. Amaury d'Orsay, der globale Anleihechef der Fondsgesellschaft Amundi, hält inflationsgeschützte Staatsanleihen aus Ländern wie Deutschland und Frankreich auf längere Sicht vielversprechend. Die dort aktuell im Kurs erwartete Inflationsrate könnte in der nächsten Dekade höher ausfallen, was zu Kursgewinnen führte.
Taktisch sieht Amundi-Experte 10-jährige US-Staatsanleihen bei Renditen zwischen 4,2 und 4,5 Prozent als Kaufgelegenheit. Für BNP-Paribas-Expertin Frühwald sind für risikofreudige Anleger Anleihen aus Schwellenländern einen Blick wert und das sowohl in lokalen Währungen als auch in Hartwährungen. Diese Staaten profitieren im Allgemeinen von sinkenden Zinsen, vor allem denen im US-Dollar.
VARIABLE ZINSEN KÖNNEN SINKEN. Grund zur Freude werden im kommenden Jahr alle Schuldner mit variable verzinsten Krediten haben. Wenn die Prognosen über die Zinspolitik der EZB-Chefin Christine Lagarde und der anderen Ratsmitglieder recht haben, könnten die variablen Zinsen um gut ein Prozentpunkt sinken.
Bei Fixzinsen ist dagegen wenig bis gar keine Änderung zu erwarten. Angesichts der höheren Kaufkraft und oft tieferer Immobilienpreise sollte sich aber die Leistbarkeit für die eigenen vier Wände erhöhen. Möglicherweise werden auch die Kreditvergaberichtlinien der Banken gelockert, die entsprechende Verordnung ist bis 2025 befristet, kann aber auch verlängert werden.
SCHUTZ VOR GREENWASHING. Zwei Neuerungen im Fondsbereich sind im kommenden Jahr zu erwarten. Erstens gelten für alle nachhaltigen Fonds spätestens ab Mai 2025 strengere Richtlinien. Es könnte passieren, dass manche Fonds mit Namensbestandteilen wie Öko oder ESG dann diese Prädikate streichen. Bei den anderen haben dafür Anleger mehr Schutz vor Green-Washing. Außerdem wird eine neue Fondskategorie für Privatanleger verfügbar, die European-Long-term Investment-Funds, kurz ELTIF genannt.
Es handelt sich dabei um Fonds in eher illiquiden Veranlagungen wie Infrastrukturinvestments oder Private Equity. Hannes Dolzer, Bundesobmann der Finanzdienstleister: „Es ist prinzipiell zu begrüßen, dass hier eine neue Anlagemöglichkeit geschaffen wird. Es muss aber genau geprüft werden, wie bei solchen sehr langfristigen Investments die Ausstiegsmöglichkeiten geregelt sind.
FAZIT: Im heurigen Jahr konnten Anleger fast nichts falsch machen. Im kommenden Jahr könnte sich die Spreu vom Weizen trennen.