Zu wenig Geld für Folteropfer
Von Bernhard Ichner
Amir G. ist Atheist und Freidenker. Beides wird im Iran im Namen der Scharia geahndet. Monatelang soll der Theatermacher unter behördlicher Beobachtung gestanden sein. Zwei Mal sei er wochenlang in U-Haft gesessen, habe nichts zu essen bekommen, sei gefoltert worden. Als schwerstes Vergehen wurde ihm schließlich zur Last gelegt, via Internet Kritik am Islam geübt zu haben. Da drohte ihm die Todesstrafe. Darum verließ der heute 28-jährige Dramaturg über Nacht Familie und Freunde und floh.
Basisfinanzierung
Angstzustände, Schlafstörungen und Depressionen waren seine ständigen Begleiter. G.s Weg führte ihn nach Österreich. Hier ist er einer von rund 9000 Kriegs- und Folter-Überlebenden, denen "Hemayat" – unabhängig von ihrem Rechtsstatus – durch medizinische, psychologische oder psychiatrische Betreuung half, ihre Traumata zu überwinden. Die meisten kamen aus Tschetschenien, Afghanistan, dem Iran und dem Irak.
Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des gemeinnützigen Vereins (dessen Name aus dem arabischen Sprachraum stammt und so viel wie "Schutz" bedeutet) fordert dessen Leitung nun eine langfristige Basisfinanzierung durch die öffentliche Hand und Verträge mit den Krankenkassen.
"Wir erfüllen eine wichtige Gesundheits- und Integrationsaufgabe", betont Vereinsgründerin Barbara Preitler. "Aber ich habe oft den Eindruck, man behandelt uns wie eine Art Hobby-Schmetterlingszüchter-Verein", meint Geschäftsführerin Cecilia Heiss. Das Problem ist nämlich, dass das von der UNO garantierte Menschenrecht auf Rehabilitation vielen Betroffenen wegen Ressourcenmangels vorenthalten bleibt.
Aktuell gibt es in Wien für 276 Menschen, davon 34 Kinder, keinen Therapieplatz. (2014 konnten mit einem Budget von knapp 500.000 € – davon 180.000 € Spenden – 661 Klienten aus 36 Ländern betreut werden. Davon 79 Minderjährige. Die Kosten für eine Therapiestunde betragen 32,20 bis 82€.)
"Ständig bedroht"
Im Moment betrachtet die öffentliche Hand Hemayat noch als "Projekt". Die Subventionen durch Europäischen Flüchtlingsfonds, diverse Ministerien und NGOs sowie den Fonds Soziales Wien müssen jährlich aufs Neue bewilligt werden. Deshalb bleibe der Verein, für den zahlreiche Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten und Dolmetscher (zu einem Gutteil ehrenamtlich) arbeiten, "ein ständig bedrohtes Prekarium", erklärt Heiss.
"Wir leben in einer Zeit, in der Menschenrechtsverletzungen dramatisch zunehmen und damit auch die Zahl der Flüchtlinge", sagt der Menschenrechtsexperte und frühere UN-Sonderberichterstatter über Folter, Manfred Nowak. "Die meisten Menschen, die als Flüchtlinge nach Österreich kommen, sind traumatisiert und brauchen dringend Hilfe." Es sei daher Aufgabe des Bundes und der Gemeinde Wien, gemeinsam einen Plan zu überlegen, wie man die Institution auf eine langfristige finanzielle Grundlage stellen könne, meint Nowak.
Wie effizient Hemayat arbeitet, zeigt das Beispiel von Amir G. "Ich hatte das Gefühl, die Leute hier interessieren sich wirklich für mein Schicksal. Sie bauten mir eine kulturelle Brücke, sodass Vertrauen geschaffen wurde und ich über meine Probleme sprechen konnte." Nach einem Jahr beendete G. auf eigenen Wunsch die Therapie. Er lebt und arbeitet in Wien.