"Wir sind keine bösen Moslems"
Von Bernhard Ichner
In der türkischen Gemeinde kann man es nicht mehr hören: Dass einige Medien AKP-Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor dessen Rede in der Albert-Schultz-Halle beharrlich als "Sultan" verunglimpfen und vor allem seinen Kritikern Platz einräumen, verstehen viele Türken bzw. türkischstämmige Österreicher als Hetze. Dementsprechend vorsichtig ist man mit Wortspenden gegenüber Journalisten.
"Wenn ich in Österreich sage, dass ich Erdogan-Fan bin, werde ich abgestempelt", beklagt etwa Engin Yilmaz. Seine Familie bezeichnet der 28-Jährige aus Ottakring als "traditionell-konservativ". Religion sei ihm zwar wichtig, sein Job als Flüchtlingshelfer mache regelmäßiges Beten im Alltag aber schwierig. Die Mama, erzählt er, bete dafür fünf Mal am Tag. Das gefällt Yilmaz auch an Erdogan: "Tradition, Familie, Kultur – mit seinen Werten kann ich mich identifizieren."
"Auf einem guten Weg"
So geht es auch Hümeyra Sarikaya aus der Brigittenau. Die 18-jährige HAK-Schülerin, die Deutsch-Lehrerin werden möchte, kommt ebenfalls aus einer konservativen Familie. Ihre Mutter und ihre Schwester tragen Kopftuch. Sie selbst lehnt das zurzeit noch ab, fastet im Ramadan, betet aber nicht jeden Tag. Für sie ist Erdogan eine Integrationsfigur, die der Wirtschaft in der Türkei zum Aufschwung verholfen und die Infrastruktur verbessert hat.
"Erdogan wurde mehrmals demokratisch wiedergewählt", betont Orhan Köseoglu. Der 33-jährige Maler und Anstreicher aus Favoriten sieht den Politiker jedoch nicht durch die rosarote Brille: "Er ist ein Mensch, natürlich macht er Fehler." Unter ihm sei die Türkei aber "auf einem guten Weg: Wirtschaftlich und demokratisch sind wir noch nicht so weit wie Mitteleuropa. Aber in 10 bis 15 Jahren können wir auf dem Niveau von Österreich sein – und sogar darüber."
Über seine Eltern und seine drei Geschwister sagt Köseoglu: "Wir sind eine gläubige Familie: Modern in der Lebensweise, aber in unserer Kultur verwurzelt. Wir sind keine bösen Moslems."
"FPÖ spaltet"
Der islamische Religionslehrer Muhammed Sanac ist "praktizierender Muslim mit allem, was dazugehört". Kritik an der geplanten Erdogan-Rede kann der 28-jährige Österreicher nicht nachvollziehen: "Während wir hier debattieren, ob der Erdogan-Besuch einen Keil zwischen uns treibt, arbeitet die FPÖ eifrig daran, diesen Spalt in der Gesellschaft auszudehnen. Schade, dass sich die Politik nicht mehr mit diesen Spaltern beschäftigt."
Sanac findet den Besuch des Ministerpräsidenten "positiv und erfreulich". Denn bei seinen vorigen Europa-Besuchen habe Erdogan "an Migranten und Staatsbürger appelliert, dem Land, in dem dem sie sich befinden, Wertschätzung entgegenzubringen. Das betrifft die Sprache genauso, wie soziale und kulturelle Aktivitäten oder das Bildungsniveau."
Sehr bekannt in der türkischen Community ist Turgay Taskiran – als praktischer Arzt in Simmering und als Ex-Präsident der UETD (die Erdogan für Donnerstag eingeladen hat). Dass sich die Partei des Ministerpräsidenten – die AKP – "in 12 Jahren von 33 auf 50 Prozent Anteil der Wählerstimmen steigerte, muss ja einen Grund haben", meint er. "Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen betrug früher 3000 Dollar, jetzt sind es 12.000. Die Inflation liegt unter zehn Prozent und die Arbeitslosenquote ebenfalls."
Alle fünf Gesprächspartner des KURIER wollen am Donnerstag zur Albert-Schultz-Halle kommen. Dass dort 7169 Zuschauer in der Halle und "nur" 10.000 beim Public Viewing davor genehmigt sind, verstehen sie nicht. "Da kommen viel mehr."
Am Donnerstag kommt es auf Grund der Erdogan-Rede in der Albert-Schultz-Halle zu Änderungen bei den Öffis. Die Wiener Linien empfehlen Besuchern der Veranstaltung mit der U1 anzureisen und für Hin- und Rückfahrt etwas mehr Zeit einzuplanen. Von ca. 10.30 Uhr bis voraussichtlich 20 Uhr werden die Linien 22A, 26A, 27A, 93A und 94A kurz- bzw. abgelenkt geführt. Die Linie 25 verkehrt nur bis ca. 10 Uhr. Auf sicherheitspolizeiliche Anordnung wird bei der U-Bahn-Linie U1 die Station Kagran ab ca. 13 Uhr durchfahren.
7169 Zuschauer in der Albert-Schultz-Eishalle, bis zu 10.000 beim Public Viewing davor – sämtliche Gegendemonstrationen noch nicht mitgezählt: der Wien-Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag wird für die Exekutive zu einer immensen Herausforderung.
Am Montagnachmittag wurde die Veranstaltung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die Erdogan offiziell anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens nach Wien eingeladen hatte, von den Behörden genehmigt. Nun kann die Polizei die Sicherheitsbewertung und die Strategie für den Einsatz in Angriff nehmen. Laut Wiener Magistratsdirektion muss aber auch der Veranstalter einen Beitrag leisten und 100 Ordner stellen. Zudem müssen 14 Eingangsschleusen eingerichtet werden. Genehmigt ist das Event von 12.00 bis 17.00 Uhr. Um 14.00 Uhr beginnt das Programm.
"Wir möchten eine Veranstaltung ohne Hetzkampagnen. Weil nachher müssen wir alle wieder miteinander leben", erklärte UETD-Vorsitzender Abdurrahman Karayazili im Vorfeld. "Wir sind keine Gefahr", betont er.
Bunt gemischte Gegner
Allerdings bestehen keine Zweifel daran, dass es Proteste gegen Erdogan geben wird. Bei der Polizei waren am Montag zwar noch keine Demos angemeldet, doch auf Facebook rufen mehrere Initiativen zu Kundgebungen auf.
Und die sind bunt gemischt: Türkische Organisationen wollen etwa auf dem Columbusplatz, auf dem Opernring oder in der Venediger Au protestieren; das linke "Demokratische Bündnis gegen Erdogan" versammelt sich auf dem Praterstern und die rechte Bewegung "Die Nationale Österreich" auf dem Heldenplatz. Der "Verein zur Förderung des Gedankenguts Atatürks in Österreich" kündigte dagegen eine Gegen-Demo mit mehr als 1000 Teilnehmern in der Nähe des Veranstaltungsorts an.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner: "Wir stellen uns darauf ein. Neben einem Groß-Aufgebot von Uniformierten werden auch der Verfassungsschutz, die Terrorismusbekämpfung und die Cobra-Einheit vor Ort sein." Wie viele Kripobeamte sich unter die türkische Community mischen werden, wurde nicht bekannt gegeben.
Ob es bei der Kundgebung zu Ausschreitungen kommen wird, machte Mikl-Leitner von Erdogan abhängig: "Es hängt vom Auftreten des Premierministers ab. Die Aufforderung von Außenminister Kurz, sensibel vorzugehen, ist der richtige Weg. Falsche Worte können schnell vieles kaputt machen."
Dass die eher kleine Albert-Schultz-Halle nicht die ideale Auswahl für die populistische Erdogan-Kundgebung ist, bestätigte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner indirekt: "Wir können uns den Veranstaltungsort nicht aussuchen."
Sorge um Ordnung und Sicherheit macht man sich auch bei den Grünen. Erdogan habe vor, "seinen geplanten privaten Aufenthalt in Österreich gezielt zur politischen Verhetzung von hier leben türkischen Staatsbürgern zu nützen", meint etwa Peter Pilz angesichts einer Rede, die Erdogan kürzlich vor Anhängern in Köln gehalten hatte. In einer parlamentarischen Anfrage fordert er Außenminister Sebastian Kurz zur Stellungnahme auf.
Sorgen der Anrainer
Unterdessen bereiten sich die Anrainer rund um die Eishalle auf das Groß-Event vor. Während Kebap-Standler das Geschäft des Jahres wittern, sind andere besorgt, wenn nicht sogar wütend. "Der türkische Premierminister soll samt seinen Parolen zu Hause bleiben, wo er hingehört", sagt eine Trafikantin, die namentlich nicht genannt werden will.
Blumenhändlerin Susanne Kuppelwieser befürchtet wiederum, dass ihr Geschäft bei möglichen Ausschreitungen in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Sie will noch mit der Polizei beraten, ob sie es am Donnerstag lieber geschlossen lassen soll – "bevor noch meine Blumentöpfe durch die Gegend fliegen. Ich habe nichts gegen Türken, einige sind enge Freunde von mir", sagt sie. "Aber dass hier ein solcher Zirkus veranstaltet wird, ist für mich unverständlich."