Wildtiere erobern die Stadt
Von Josef Gebhard
Es hat in meinem Garten ausgesehen, als ob jemand Kanalrohre verlegen würde.“ Mit Schrecken erinnert sich Katharina Moser an das Vorjahr zurück, als sie mehrmals nächtlichen Besuch von Wildschweinen erhielt. Auf der Suche nach Nahrung durchpflügten die Borstentiere ihren Garten.
Bei Weitem kein Einzelfall: In Wien sind immer mehr Wildtiere anzutreffen. Neben Wildschweinen verwüsten auch immer wieder Dachse und Biber die Gärten in den Außenbezirken. Vereinzelt tauchen in Vorstadt-Restaurants sogar Füchse auf, die um Futter betteln.
Was für direkt Betroffene bisweilen ein Ärgernis ist, freut die Tierschützer: „So erhalten auch in der Stadt lebende Menschen und vor allem Kinder einen Zugang zu einem Stück Natur“, sagt Andrea Swift vom Verein Pfotenhilfe.
Naturgemäß ist die genaue Zahl der Füchse, Dachse und Marder, die sich in der City tummeln, schwer zu erheben. „Es gibt aber jedenfalls immer mehr Sichtungen und Meldungen“, sagt Manuela Habe vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie an der VetMed. In einem Forschungsprojekt arbeitet sie an einer Bestandsaufnahme der Wildtier-Population in Wien.
Allein im Vorjahr wurden rund 300 Sichtungen von Füchsen gemeldet. Nimmt man Untersuchungen in anderen europäischen Städten zur Basis, könnten aber bis zu 4000 Füchse in Wien leben. Für die Dachse liegen 200 Meldungen vor. Zusätzlich dürften rund 400 Biber auf der Donauinsel, beim Liesingbach sowie am Donau- und Marchfeldkanal leben. Bisweilen machen sie sich aber auch über Obstbäume in Gärten her.
Grobe Anhaltspunkte bieten auch die Abschusszahlen der Jäger: Wurden 2009 in Wien noch 372 Wildschweine erlegt, waren es im Jahr darauf 462. Rechnet man noch den Lainzer Tiergarten dazu, kommt man sogar auf 1600 Stück.
Nahrungsangebot
Es ist vor allem das überreiche Nahrungsangebot, das die Tiere in die Stadt lockt. „Wir leben heute in einer Wegwerfgesellschaft. Mittlerweile gibt es auch schon in fast jedem Garten einen Komposthaufen“, sagt Habe. Ist er nicht ausreichend abgedeckt, lockt er hungriges Getier an.
Ein großes Problem ist auch das Füttern von Jungtieren, die damit an die menschliche Zivilisation gewöhnt werden. „So lange ein Fuchs klein ist, mag er ja lieb sein. Wird er größer, bekommen die Menschen Angst vor ihm“, sagt Andreas Januskovecz, Direktor des Forstamts.
Der Anstieg der Biberpopulation hängt wiederum mit der Revitalisierung von Wasserläufen zusammen. „Eine zweischneidige Angelegenheit. Weil sie sind bei den Menschen nicht besonders beliebt“, sagt der Experte.
Das gilt wegen ihrer Wühlarbeit auch für die Wildschweine. Da die Bejagung im städtischen Gebiet eine heikle Angelegenheit ist (siehe rechts), versuchen die Jäger, sie mit regelmäßigen Patrouillen zu verscheuchen. In Frau Mosers Grätzel ist das zumindest vorerst gelungen: „Gott sei Dank sind zuletzt keine Tiere mehr gekommen.“
Neues Jagdgesetz
In Wien gilt seit Kurzem ein neues Jagdgesetz. Darin werden die Gebiete, in denen bisher die Jagd verboten war (z. B. Wohngebiete) in sogenannte Jagdruhensgebiete umgewandelt. Das bedeutet, dass dort unter bestimmten Voraussetzungen Wildtiere geschossen werden können.
Wien werde damit zur „Todeszone für Haus- und Wildtiere“, hatten Tierschützer im Vorfeld kritisiert. „Die Novelle zielt aber allein auf Situationen ab, in denen Leib und Leben durch Tiere gefährdet ist“, betont Forstamtsdirektor Andreas Januskovecz. „Dafür hatten wir bisher keine Handhabe.“
In der Praxis spiele die Neuregelung nur im Zusammenhang mit Wildschwein-Attacken eine Rolle, die etwa fünf Mal pro Jahr vorkommen. In solchen Fällen können speziell ausgebildete Jäger künftig das Tier erlegen. Allerdings nur, wenn alle anderen Maßnahmen (vertreiben oder betäuben) nicht funktionieren.
Forschungsprojekt
Wer Wildtiere in der Stadt gesichtet oder sie sogar fotografiert hat, kann dies bei den Experten der VetMed melden: 01 / 4890915 – 219, wildtierinfo@fiwi.at