Chronik/Wien

Wien: Platz für 1,8 Millionen gesucht

Wien wächst. 1,8 Millionen Menschen leben seit Anfang Oktober in Wien, um 250.000 mehr als vor 14 Jahren.

Sie alle brauchen Wohnungen, die Folge waren zuletzt steigende Mieten. Um gegenzusteuern muss die Stadt auf Teufel komm raus bauen. Knapp 8500 Wohnungen entstehen jährlich; bei einem gleichzeitigen Zuwachs von 20.000 Menschen ist das für die Opposition noch zu wenig (siehe Interview unten).

"Wien macht derzeit die bedeutendste bauliche Entwicklung der Geschichte", sagt Christoph Chorherr, Planungssprecher der Grünen und federführend an der Stadtentwicklung beteiligt.

Um günstigen Wohnraum zu schaffen, baut die Stadt heute dort, wo noch Platz ist. In der Seestadt Aspern, am Nordbahnhof-Areal oder in Favoriten. Aber auch im dicht verbauten Gebiet wird nach freien Plätzen gesucht. Sehr zum Ärger der Anrainer.

Proteste

Egal wo Wohnbauprojekte entstehen, fast überall gibt es eine Bürgerinitiative dagegen. Das betrifft das noble Hietzing genauso wie die Felder in Floridsdorf. Vor allem bei Hochhäusern kocht der Volkszorn hoch. Seit Monaten laufen Anrainer gegen das Hochhaus-Projekt beim Eislaufverein Sturm, auf der Donauplatte fürchten Gegner des Danube-Flats-Projekts um ihre Aussicht. Pikanterweise wohnen sie selbst in einem Hochhaus nebenan.

Muthgasse

Auch in Döbling könnte es bald Proteste geben. So sollen entlang der Muthgasse drei neue Hochhäuser entstehen. Für Chorherr ist das Areal ein Musterbeispiel für moderne Stadtentwicklung. Rund um die Station U4 Heiligenstadt soll ein neuer Stadtteil entstehen, so groß wie der halbe achte Bezirk. Es sollen Wohnungen für 1500 Menschen errichtet werden, dazu Büros und Geschäfte.

Die drei Hochhäuser sind laut Plan rund um die Gunoldstraße vorgesehen. Eines am Platz des alten APA-Hochhauses, das abgerissen wird, die beiden anderen gegenüber. Die Muthgasse selbst soll zum urbanen Freiraum werden, mit breiten Gehsteigen, Baumreihen und Stadtmöbel.

Der Haken: Dafür müsste die Flächenwidmung geändert werden, vom derzeitigen Gewerbegebiet auf Wohnen und Gewerbe. Doch Döblings Bezirksvorsteher Adi Tiller (ÖVP) will dem nicht zustimmen: "Schon jetzt ist das Areal höchst verkehrsbelastet. Wenn jetzt noch 1500 Wohnungen dazu kommen, kann man sich vorstellen, was sich da abspielt", sagt Tiller. Es brauche daher eine gute Öffi-Anbindung. Tiller verlangt daher eine eigene U-Bahn-Station Gunoldstraße.

Doch die Stadt winkt ab. Der Platz für die Bahnsteige sei nicht vorhanden, der Abstand zur Station Heiligenstadt zu nah, heißt es aus dem Büro der zuständigen Stadträtin Renate Brauner (SPÖ). Eine Fußgängerbrücke über die U-Bahn-Gleise soll stattdessen das neue Areal mit der Station Heiligenstadt verbinden. "Dann werde ich nicht zustimmen", droht Tiller.

"Wenn sich das gesamte Areal in den nächsten Jahrzehnten weiterentwickelt, ist eine eigene U-Bahn Station südlich der Gunoldstraße sinnvoll", sagt Chorherr, "kurzfristig aber nicht."

Tiller wolle man noch überzeugen. In Ausnahmefällen können Widmungen aber auch ohne den Bezirk beschlossen werden. Denn die Stadt braucht Platz.

KURIER: Wien wächst jährlich um 20.000 Menschen. Die brauchen Platz. Die ÖVP fordert nun eine Wohnbau-Offensive, finanziert durch den Verkauf von Gemeindewohnungen und höhere Mieten für Besserverdienende. Was halten Sie davon?

Michael Ludwig: Das ist eine Forderung, die ich zum Teil als Bestätigung empfinde, denn wir setzen derzeit eine Wohnbau-Offensive in Wien um. Wir übergeben heuer und im nächsten Jahr jeweils 7000 geförderte Wohnungen, das ist mehr als in jeder anderen europäischen Großstadt. Dazu kommen noch einmal 1000 bis 1500 frei finanzierte Wohnungen.

Aber reichen 8500 Wohnungen?

Ja. Man darf nicht vergessen, dass das Bevölkerungsplus auch durch Geburtenüberschuss entsteht. Und wie wir alle wissen, brauchen Babys nicht sofort eine eigene Wohnung.

Also braucht die Stadt keine Wohnungen zu verkaufen?

Solange es mich als Wohnbaustadtrat gibt, wird es keinen Verkauf von Gemeindebauten geben. Denn sie sind ein wichtiges Lenkungsinstrument der Stadt am Wohnungsmarkt. Rund 60 Prozent aller Wiener wohnen in einer Gemeindewohnung oder im geförderten Wohnbau. Das hilft nicht nur jenen, die darin wohnen, sondern senkt insgesamt das Preisniveau.

Was halten Sie von höheren Mieten für Besserverdiener im Gemeindebau?

In dieser Frage sehe ich keinen Handlungsbedarf. Denn beim Eintritt in den geförderten Wohnbau wird ohnehin eine Gehaltsobergrenze überprüft. Ich bin dagegen, dass man die Leistung von Menschen dadurch bestraft, dass sie, wenn sie etwas mehr verdienen, gleich eine höhere Mieten zahlen müssen. Ein zweiter gewichtiger Grund ist die soziale Durchmischung. Die ginge durch so eine Maßnahme verloren. Alle Städte, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren ihre Wohnungen verkauft haben, bereuen das heute bitter.

Warum errichtet die Stadt keine Gemeindebauten mehr?

Mit den eingesetzten Wohnbauförderungsmitteln können wir mehr Wohnungen gemeinsam mit gemeinnützigen Bauträgern errichten, als wenn wir als Stadt selbst bauen würden. Außerdem gibt es neue Vergabe-Gesetze und Richtlinien, die das Bauen für die öffentliche Hand automatisch teurer machen würden.

Um wie viel wäre ein Wohnbau teurer, würde ihn die Stadt selbst errichten?

Das würde mindestens 20 Prozent mehr kosten.

Auch wenn es einige Millionen weniger sind als im Vorjahr: Die Verbindlichkeiten der Stadt Wien werden 2015 weiter anwachsen. 12,52 Milliarden Euro Einnahmen stehen 12,74 Milliarden an Ausgaben gegenüber. Das bedeutet eine Neuverschuldung von rund 221 Millionen Euro. Immerhin etwa 68 Millionen weniger als im Vorjahr, erklärte Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ) bei der Präsentation des Voranschlags für 2015 am Montag.

Grund für den wachsenden Schuldenberg seien vor allem die Investitionen der Stadt. Eine Strategie die "trotz und wegen der Krise" weiter offensiv verfolgt werde: So fließen 1,72 Milliarden Euro in die Bereiche Gesundheit, Bildung und Infrastruktur, sagt Brauner und wies einmal mehr auf die erfolgreiche antizyklische Wirtschaftspolitik der Stadt hin.