Wiederkehr: „Wir werden diese Posten nicht annehmen“
Im Wahlkampf versuchen die Neos, sich in der politischen Mitte zu positionieren. So wirklich vom Fleck kommen sie derzeit nicht.
KURIER: Die Neos haben bereits zwei Bezirksfunktionäre verloren. Erst Gregor Raidl im 1. Bezirk an die ÖVP, jetzt den Neubauer Klubchef an den grünen Bezirksvorsteher Markus Reiter. Wie schmerzhaft ist das?
Christoph Wiederkehr: Nicht schmerzhaft. Stefan Magometschnigg wollte nicht mehr für uns ins Rennen gehen. In Wahlkämpfen ist es normal, dass Personen aufhören, politisch aktiv zu sein, oder das Lager wechseln. Magometschnigg möchte parteiunabhängig im Bezirk mitarbeiten. Das ist in Ordnung.
Rinnen die Neos in Richtung andere Parteien aus?
Nein. Vergangenes Jahr hat der Klubobmann der Grünen in Penzing zu uns gewechselt. Und es unterstützen mich viele christlich-soziale, etwa Ferry Maier (ÖVP-Urgestein und Ex-Nationalratsabgeordneter, Anm.). Wir schaffen es, Christlich-Soziale mit Gewissen anzusprechen, und machen anständige Politik in der Mitte.
Beim Wahlprogramm der Neos hat man das Gefühl, dass Sie die Grünen kopieren. Sehen Sie da linkes Wählerpotenzial?
Mit einer Kategorisierung bestimmter Themen kann ich nichts anfangen. Wie wir mit geflüchteten Kindern umgehen, das ist eine Frage der Menschlichkeit. Auch sichere Fahrradwege sind kein grünes Thema, sondern eines der Vernunft.
Laut Umfragen ist der Großteil der Wiener Bevölkerung gegen zusätzliche Radwege auf Kosten von Straßen.
Die Mehrheit der Wienerinnen und Wiener ist für vernünftige und sichere Radwege – und nicht für grüne Pop-up-Lösungen, die nur bis zum Wahltag gedacht sind. Wir wollen Rad- und Schulwege sicherer machen. Ich bin mir sicher, dass sich eine Mehrheit dafür finden lässt.
Irgendwem müssten Sie im Gegenzug Platz wegnehmen, wohl den Autofahrern.
Es braucht vernünftige Lösungen, die im Idealfall Anreize für alle bieten.
Prognosen sagen, dass fast alle Parteien durch den Stimmen-Verlust der FPÖ dazugewinnen werden. Nur die Neos nicht. Warum ist das so?
In der aktuellen Corona-Krise profitieren vor allem die Regierungsparteien. Trotz der Krisen-Situation erhalten wir aber mehr Zuspruch als bei der vergangenen Wahl.
Wie 2015 liegen sie trotzdem immer noch bei 6 Prozent.
Ich sehe Umfragen mit 7 Prozent. Unsere Themen finden Zuspruch, weil sich viele Menschen während der Corona-Krise von der Regierung im Stich gelassen fühlen. Ich bin mir sicher, dass wir im Oktober zulegen werden.
Stichwort Corona: Es ist durchaus ein ungewöhnlicher Zugang für eine liberale Partei wie die Neos, mehr staatliche Hilfe zu fordern.
Es geht um treffsichere Hilfe. Wir haben eine Arbeitslosenquote von mehr als 15 Prozent. Jetzt braucht es eine sinnvolle Wirtschaftspolitik, um Betriebe schnell zu entlasten und Arbeitsplätze zu sichern. Wir haben in Wien viel zu hohe Steuern und Gebühren – die gehören jetzt weg.
Wie würden Sie „treffsicher“ helfen?
Die vorhandenen Mittel müssen ankommen. Nicht einmal zehn Prozent des Fixkostenzuschusses sind bei den Unternehmen gelandet.
Die Neos haben sich der SPÖ als Erster als Koalitionspartner angeboten, eine Zusammenarbeit mit der ÖVP aber abgelehnt.
Der Politik fehlt es an Klarheit, schon vor der Wahl zu sagen, was Sache ist. Die SPÖ wird Erster sein. Mir war es wichtig, zu sagen: Ja, wir wollen gestalten.
Die Neos wollen regieren und dabei sich selbst kontrollieren. Das passt nicht zu den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie.
Der beste Weg zu gestalten und zu kontrollieren ist in einer Regierung. In einer solchen möchten wir dem Stadtrechnungshof mehr Kontrollrechte einräumen und sinnlose politische Posten wie zweiter Bezirksvorsteher-Stellvertreter abschaffen. In der Stadtregierung fehlt jemand, der in Sachen Transparenz und Korruptionsbekämpfung etwas voranbringen möchte. Die SPÖ setzt auf Freunderlwirtschaft und die Grünen sind von Aufdeckern zu Zudeckern geworden.
Sie würden diese Posten also ablehnen, wenn die Neos welche bekommen würden?
Ja. Das ist eine Frage der Haltung. Wenn man die Posten kritisiert, soll man sie auch nicht annehmen. Ich habe eidesstattlich beim Notar beglaubigt, dass wir diese Posten nicht annehmen werden.
Sie haben sich unlängst als Bildungsstadtrat angeboten. Was wäre Ihr erstes Projekt, das Sie umsetzen würden?
Jede Brennpunktschule soll einen Schulpsychologen und einen Sozialarbeiter erhalten. Zudem würde ich verstärkt auf die Kindergärten schauen, denn die werden zu wenig beachtet.
Drei von zehn erwachsenen Wienern dürfen nicht wählen. Braucht es eine Ausweitung des Wahlrechtes?
Ich möchte, dass EU-Bürger das Wahlrecht für den Gemeinderat erhalten. Das wären 200.000 Wahlberechtigte mehr.
Was ist mit Nicht-EU-Bürgern, die in Wien eine große Gruppe sind? Wieso wollen Sie einem Franzosen mehr Wahlrecht zugestehen als etwa einem Türken?
Ich sehe den europäischen Einigungsprozess als einen der wichtigsten der Menschheit.