So stemmen sie in der Großfeldsiedlung
"Kraft frei!" Der traditionelle Stemmergruß ist auch beim Training in den Kraftkammern der städtischen Sporthalle in der Großfeldsiedlung zu hören. Dann staubt Magnesium. Nur ganz wenige Zentimeter entscheiden jetzt darüber, ob die Hantel mit den Gewichtsscheiben am Ende Gelenke schonend vom Boden aufgehoben und über die Schultern nach oben gedrückt wird.
Für Helmuth Hoffmann, Jahrgang 1939 - er ist österreichischer Meister und Rekordhalter in der Altersklasse 80+ - scheint das ein Kinderspiel zu sein.
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Hoffmann ist das älteste Mitglied in einem Stemmerklub, der in Kürze 100 Jahre alt wird. Die Nachfahren des 1. Leopoldauer Kraftsportklubs "Freiheit" bereiten schon eine Feier in der Halle in der Dopschstraße vor.
In guter Erinnerung
So wie Helmuth Hoffmann hat auch Christian Becker in jungen Jahren zu stemmen begonnen. Gut erinnert er sich noch an das öffentliche Training an Freitagabenden im großen Speisesaal vom Gasthaus Baumann auf dem Leopoldauer Platz: „Wir sind damals vor Publikum angetreten, das vom Obmann am Ende um eine kleine Spende gebeten wurde. Die Leute waren immer gut zu unserem Verein. Das Problem für uns Athleten war halt nur, dass viel geraucht wurde.“
Das Gasthaus Baumann gibt es schon lange nicht mehr, die zeitweise sechzig Gewichtheber-Vereine, die sich über alle Wiener Bezirke verteilt haben, auch nicht mehr.
In der Großfeldsiedlung in Floridsdorf stemmt man sich weiterhin erfolgreich gegen den Zeitgeist. Der Obmann des heute Athletikklub genannten AK Leopoldau, Ludwig „Wickerl“ Schadler, und sein kongenialer Vize, Christian Becker, hauchen dem Verein immer wieder neues Leben ein. Von Montag bis Samstag bietet der AK die Chance, in den beiden gut ausgestatteten Kraftkammern zu trainieren. Das Angebot wird gerne angenommen.
Stolz sind Schadler und Becker auf die beiden jungen Gewichtheberinnen beim AK Leopoldau: „Anina Helm hat bei den Masters gewonnen, und Isabella Kratky bei den Wiener Meisterschaften.“
Gerne verweisen die Obleute auf ihren jüngsten Zugang, den 20-jährigen Physik-Studenten Julian Zhang. Der hat erst vor zwei Monaten mit einem von den älteren Kollegen gestalteten und kontrollierten Training begonnen und macht auch heute echte technische Fortschritte.
Die neue Hoffnung des AK Leopoldau sagt zwischen den Kraftanstrengungen über die Faszination des Gewichthebens: „Jeder Athlet muss seinen individuellen Lösungsweg finden. Der hängt auch von der eigenen Anatomie ab.“ Julian Zhang hat für sich schon gute Wege gefunden.
In guter Spannung
Tipps holt sich der Junior unter anderem von seinem 84-jährigen Klubkollegen, Helmuth Hoffmann. Der ist für ihn ein wahrer Mentor – auch in Sachen guter Körperspannung. Der Senior sagt: „Nach jedem Training bin ich zwar müde, aber ich fühle immer eine gute Spannung.“
Ein weiteres Vorbild: der Linzer Gerhard Hastik. Der war sogar ein Olympionike.
Wer richtig stemmt und stößt, stärkt seine Muskulatur im ganzen Körper. Und ist für Erfolg und Misserfolg selbst verantwortlich. Deshalb ist auch Vizeobmann Christian Becker als Zwanzigjähriger von den Fußballern zu den Stemmern gewechselt. Seine Motivation damals: „Wenn wir mit dem Fußballverein verloren haben, hat jeder jeden geschimpft. Hier ist das anders. Wenn du gut trainierst, kannst du dich auch über eigene Erfolge freuen.“