Chronik/Wien

"Schwule und Lesben sind nicht nur schrill und nackt"

Rund eine Million Teilnehmer erwarten die Organisatoren der EuroPride 2019 von 1. bis 16. Juni in Wien. Davon 300.000 bis 500.000 allein zur traditionellen Regenbogenparade auf der Ringstraße. Die Bundeshauptstadt wird in dieser Zeit quasi zur europäischen Hauptstadt der LGBTIQ-Community – also der homo-, bi-, trans - und intersexuellen Personen. Im Interview mit dem KURIER erklärt Katharina Kacerovsky, Geschäftsführerin der Stonewall GmbH, die die EuroPride organisiert, welchen gesellschaftspolitischen Nutzen die Veranstaltung haben soll.

KURIER: Frau Kacerovsky, laut einer IFES-Umfrage will jeder zehnte Österreicher keine homosexuellen Nachbarn. Weitere zehn Prozent hätten zumindest ein Problem damit. Kann die EuroPride daran etwas ändern?
Katharina Kacerovsky: Nur die EuroPride kann daran etwas ändern. Unsere Kooperationen mit großen Firmen und Sponsoren veranschaulichen ja, dass LGBTIQ-Menschen in jedem Lebensbereich präsent sind. Jeder hat jemanden in der Familie, einen Freund, Studien- oder Arbeitskollegen, auf den das zutrifft. Und wir wollen verdeutlichen, dass Schwule und Lesben nicht nur schrill und nackt sind und bei Paraden mitlaufen, sondern sehr unterschiedlich. Wir zeigen, dass Menschen nicht kategorisierbar sind.

Welche Rolle spielt die Kooperation mit den Sponsoren?
Durch die Zusammenarbeit zum Beispiel mit REWE (zu dem Konzern gehören etwa Billa, Merkur, Penny und Adeg; Anm.) können wir unsere Botschaft über deren Kanäle transportieren. Das bringt weit mehr als wenn wir ihnen bloß Werbeflächen anbieten würden. Wenn so große Partner in der Wirtschaft ihren Kunden mitteilen, dass sie uns unterstützen, ist das ein erster Schritt in Richtung gesellschaftspolitische Veränderung.

Es kann aber auch sein, dass sich Menschen von der EuroPride gestört fühlen.
Kann sein. Die EuroPride soll aber kein Missionierungsversuch sein. Wir wollen uns nicht zwei Wochen lang demonstrativ vor Andersdenkende hinstellen und sie zum Umdenken zwingen. Es geht einfach darum, sichtbar zu sein.

Warum bekam die ViennaPride nach 2001 ein zweites Mal den Zuschlag für die EuroPride?
Zum einen, weil die EPOA (European Pride Organizer Association) Orte auswählt, wo eine gesellschaftspolitische Unterstützung nötig ist. Und zum anderen, weil unser Konzept mit vielen Side-Events überzeugt hat. Wien kann sich hier einmal mehr als weltoffene, lebenswerte, moderne, zukunftsorientierte Stadt präsentieren. Wir haben es geschafft, Aktionismus und  LGBTIQ-Sichtweisen gemeinsam mit Wirtschaft und Tourismus in einem Event zu vereinen. (Die EuroPride kooperiert mit Institutionen wie Albertina, Universität, Kunsthistorischem Museum, Gartenbaukino oder Tiergarten Schönbrunn. Neben der Regenbogenparade auf dem Ring gibt es den EuroPrideRun, das EuroPrideVillage am Rathausplatz sowie den EuroPridePark im Sigmund-Freud-Park mit Bühnen, Gastro- und Info-Angeboten. Im Rathaus findet die größte LGBTIQ-Konferenz Österreichs statt. Und im Businesscorner können sich Unternehmer vernetzen.)

Österreich ist ein Ort, der gesellschaftspolitische Unterstützung nötig hat?
Ja. Allein die Ehe für alle wurde lange Zeit nicht umgesetzt und bis zuletzt hat man sie hinausgezögert und zu umgehen versucht. 2016, als die EuroPride vergeben wurde, gab es zudem schon gewisse Wahlprognosen.

Sie sprechen von Türkis-Blau. Wie wird die Bundesregierung in der Community wahrgenommen?
Sie wird wahrgenommen, wie sie sich präsentiert. Indem sie versucht, Errungenschaften einzuschränken oder zu stoppen. Es ist schon so weit, dass der Verfassungsgerichtshof bei der Ehe für alle für Österreich entscheidet und eine Frist vorgibt. Aber ÖVP und FPÖ mauern, stellen sich tot und versuchen bis zuletzt Schlupflöcher zu finden. Jetzt ist die Ehe für alle etwa nur mit einem Partner oder einer Partnerin erlaubt, wenn diese bzw. dieser aus einem Land kommt, wo es sie ebenfalls gibt. Ein Österreicher kann also etwa keinen Iraner heiraten. Was soll man davon halten?!

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In der Community kann man also nichts mit ÖVP und FPÖ anfangen?
Das hab ich nicht gesagt. Wir versuchen bei der EuroPride generell weg von diesem Gruppendenken zu kommen: Hier Rot-Grün, da Schwarz-Blau. Menschen lassen sich, wie gesagt, generell nicht kategorisieren. Viele Menschen haben viele Interessen. Man müsste eher diese Parteien fragen, wie viel sie mit LGBTIQ-Personen anfangen können.

Das rot-grüne Wien scheint jedenfalls stolz auf die EuroPride zu sein.
Das stimmt. Wir haben enorme Unterstützung von der Stadt Wien – finanzieller Art durch die Subvention (SPÖ, Grüne und Neos beschlossen im Gemeinderat eine Förderung von 900.000 Euro, ÖVP und FPÖ waren dagegen; Anm.), aber auch kreativ. Und man gibt uns die Plattform.
 
Die Erwartungen der Stadt an die EuroPride sind aber auch entsprechend. Sie rechnen mit einer Million Teilnehmern aus dem In- und Ausland. Worauf basiert die Schätzung?
Auf Erfahrungswerten aus anderen Ländern. So hatte die Pride (die jährlich stattfindende nationale Ausgabe des LGBTIQ-Events; Anm.) in Madrid zuerst 1,5 Millionen Teilnehmer. Bei der EuroPride 2017 waren es dann drei Millionen – und danach mit zwei Millionen mehr als davor. Wir hatten voriges Jahr bei der Regenbogenparade 220.000 Menschen – darum rechnen wir bei der EuroPride mit bis zu 500.000. Und mit noch einmal so vielen bei den restlichen Aktionen.

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Was haben heterosexuelle Personen eigentlich von der EuroPride?
Viel. Das Programm ist ja nicht nur für die LGBTIQ-Community gedacht – und jeder kann einen schwulen Sohn oder eine lesbische Tochter haben. Wir wollen das Stadtbild kreativ ergänzen. Das Wort „bunt“ vermeide ich in dem Zusammenhang lieber.

Was haben sie gegen das Wort?
Prinzipiell nichts. Bunt ist großartig. Aber es wird in der Mehrheitsgesellschaft mit „schrill“, „nackt“ und „Sex“ assoziiert. Doch nicht jeder aus der LGBTIQ-Community ist ein schriller Vogel.

Diesen Eindruck vermittelt die Regenbogenparade nicht unbedingt.
Die Regenbogenparade (am 15. Juni auf der Ringstraße; Anm.) ist als Demonstration für Gleichberechtigung unsere wichtigste Veranstaltung. Sie wird aber leider oft mit einer reinen Party verwechselt. Daran haben auch die Medien Anteil, weil in den Berichten immer nur die auffälligsten Kostüme gezeigt werden.  

Glauben Sie, dass jedem Teilnehmer bewusst ist, dass das eine Demo ist?
Auf jeden Fall.