"Politik aus der Mottenkiste": Rot-Grün zerpflückt das Regierungsprogramm
Wien werde "ein Bollwerk" gegen die schwarz-blaue Bundesregierung sein, hieß es schon während der Koalitionsverhandlungen von führenden SPÖ-Funktionären. Kein Wunder also, dass die Spitzen der rot-grünen Rathaus-Regierung kein gutes Haar am vorliegenden Koalitionspakt finden (siehe auch Seite 3).
Beim Programm handle es sich um "lupenreinen Sozialabbau", wettert Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ). Er stößt sich vor allem an den geplanten Kürzungen bei der Mindestsicherung. Dabei werde das Modell aus OÖ nahezu übernommen – mit Nachteilen für anerkannte Flüchtlinge. Wien prüfe ein rechtliches Vorgehen, bekräftigt er: "Weil viele Verfassungsjuristen der Auffassung sind, dass eine Lösung, die auf eine Ungleichheit hinausläuft zwischen Mindestsicherungsbeziehern mit österreichischer Staatsbürgerschaft und Mindestsicherungsbeziehern mit positiven Asylbescheid, verfassungswidrig ist." Das oö Landesverwaltungsgericht schaltet übrigens nun den Europäischen Gerichtshof ein, um grundsätzliche Fragen zu klären.
Widerstand ist auch bei den Einkommens-Checks für Mieter im Sozialen Wohnbau zu erwarten. "Gott sei Dank" könne das die Bundesregierung nicht alleine entscheiden. Aber, so Häupl: "Man kann uns natürlich vieles erschweren." Geplant ist laut Regierungsübereinkommen, dass Mieter in geförderten Wohnungen mehr für ihre Bleibe zahlen müssen, sobald sie mehr verdienen. Mit Häme kommentiert Häupl die Ressortverteilung. "Die ÖVP hat sich von der FPÖ abräumen lassen." Er wundert sich, dass nicht nur alle Sicherheitsagenden, sondern auch das Außenministerium zu den Blauen gewandert sind.
Empört ist auch die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou: "Sebastian Kurz wird als jüngster Politiker Europas bejubelt. Er macht aber älteste Politik aus der Mottenkiste, die uns zurück in die 60er-Jahre führt. Ich frage ich mich schon, ob Kurz wirklich 31 Jahre oder nicht doch 131 Jahre alt ist." Auch sie kritisiert die Kürzungen bei der Mindestsicherung. "Wien wird sicher nicht bei den Ärmsten kürzen", betont sie.
Die Vizebürgermeisterin kritisiert zudem, dass dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs kein Vorrang eingeräumt wird. "Straße, Straße, Straße" sei offenbar das Motto, aus dem Dieselskandal habe man keine Konsequenzen gezogen. In Wien werde man dagegen die 365-Euro-Jahreskarte "mit Zähnen und Klauen" verteidigen.
"Unternehmen vernichten"
Zudem ist Vassilakou die mögliche Öffnung überregionaler Schienenverbindungen für Private ein Dorn im Auge, da sich diese dann die Filetstücke holten, die öffentliche Hand bleibe auf "allem, was defizitär ist": "So vernichtet man öffentliche Unternehmen."
Nachdem der bisherige Landesgeschäftsführer Markus Wölbitsch Neo-Kanzleramtsminister Gernot Blümel als Stadtrat nachfolgt, stellten die Türkisen am Dienstag die Neue im Bunde vor. Mit der stellvertretenden Obfrau der ÖVP Liesing, Bernadette Arnoldner, bekommt die Wiener ÖVP erstmals eine Landesgeschäftsführerin. Die zweifache Mutter (39) arbeitete bis dato in der Lebensmittelindustrie. Sie engagiert sich auch bei den ÖVP-Frauen sowie als Finanzreferentin beim Österreichischen Familienbund.
Für seine Amtszeit verspricht Wölbitsch "eine kantige Oppositionspolitik". Während die Richtungsdiskussion zwischen "Realos und Fundis" zurzeit die SPÖ lähme, wolle er sich für "eine echte Reform der Mindestsicherung" stark machen. Stichworte: "1500 Euro Deckel" und "mehr Sach-, als Geldleistungen". Weitere Anliegen seien ihm Tourismuszonen, die Förderung innovativer Unternehmer, Lobautunnel, 3. Piste und Busterminal sowie ein U-Ausschuss zum KH Nord oder auch finanzielle Konsequenzen für Eltern, die ihre Kinder von der Schule fernhalten. Blümel plädiert in Wien weiter für Neuwahlen.