Ottakringer Waldschule: Stadtkinder erkunden die Natur
„Wie dick ist der größte Mammutbaum der Erde?“, fragt Hans Plaukovits in die Runde. Um ihn – auf einer sonnigen Lichtung im Ottakringer Wald – steht die 4C aus der Volksschule Liebhartsgasse. Die rund zwanzig Kinder bilden einen Kreis, um den von ihnen geschätzten Stammdurchmesser zu zeigen. Doch ihr Tipp ist weit gefehlt. Angestachelt von Plaukovits bewegen sich die Schüler immer weiter auseinander, bis ihr heutiger Lehrer zufrieden ist. „Ja, das sind zehn Meter“, sagt er.
Die Kinder sind auf Waldtag. Statt aus Schulbüchern vom Wald zu lesen, sollen sie ihn direkt erleben – und dabei erfahren, wodurch sich diese Form der Landschaft auszeichnet und welche Bedeutung sie hat. Die Waldschule Ottakring bietet diese Erfahrung seit nunmehr 20 Jahren – und das kostenlos. 70.300 Wiener Kinder nahmen seither an den Waldtagen teil. „Nur, was man kennt, das schützt man auch“, fasst Plaukovits die Absicht dahinter zusammen. Denn der Wald erfülle wichtige Funktionen: Wasserspeicher, Staubfilter, Sauerstoff-Bereiter und Lebensraum von Wildtieren.
Er und die Kinder stehen inzwischen unter einem großen Baum. Der Wind trägt den intensiven Geruch von Bärlauch aus dem Gebüsch zur Gruppe, die Vögel zwitschern. Der Waldpädagoge pflückt eines der hellgrün-rötlichen Blätter des Baums, zerreibt es in der Handfläche und lässt die Kinder daran schnuppern. „Das riecht wie Kaugummi“, sagt eine Schülerin. Wie der Baum wohl heißt? „Orbit-Baum“, ruft ein Bub. Plaukovits schmunzelt und löst das Rätsel: Es ist ein Walnussbaum.
Pionier
Dass die Kinder raue Rinden betasten, Moos in der Becherlupe betrachten und nach Spechtlöchern Ausschau halten, geht auf die Idee von Waldschulleiter Josef Ebenberger zurück. Er setzte sich in den neunziger Jahren für die Gründung der waldpädagogischen Einrichtung – der ersten ihrer Art in Österreich – ein. Zehn Mitarbeiter des Forstbetriebes (MA 49) betreuen die Waldschultage. „Die Kinder bekommen durch das Selbst-Erleben eine persönliche Beziehung zum Wald“, sagt Ebenberger.
Dass Naturerziehung besonders in einer Großstadt nötig sei, glaubt er aber nicht. Denn Landkinder würden auch nicht häufiger Ausflüge in den Wald machen. Ebenberger nennt dieses Phänomen „Stephansdomeffekt.“ Viele Wiener würden einen Besuch des Wahrzeichens aufschieben, erklärt Ebenberger. „Weil er in der Nähe ist, glaubt man, eh noch Zeit dafür zu haben.“
Erinnerungen
Letzte Station auf der Wanderung der Kinder ist die Waldschule selbst. Sie ist einem ehemaligen Landgasthaus unweit der Jubiläumswarte untergebracht. Auf den Fensterbrettern reihen sich Schraubgläser gefüllt mit Kastanien, Eicheln und Bucheckern. Die Aufmerksamkeit der Kinder gilt aber ganz den aufgestellten Tier-Exponaten. „Die Tiere sind am schönsten“, sagt ein Mädchen und streichelt das dichte Fell eines ausgestopften Bibers.
Ezan hat ein anderes persönliches Tages-Highlight: Den Mistkäfer, den er zuvor in einem Laubhaufen entdeckte. „Der war kitzelig“, erzählt er. Auch Ayah wurde fündig: „Ich habe einen Zapfen und ein Schneckenhaus gefunden“, erzählt sie. „Das werde ich vielleicht auf meine Haarbürste kleben.“