Chronik/Wien

„Der alte Tiller bleibt noch“

Adi Tiller (74) ist Wiens längstdienender Bezirksvorsteher. Ein Gespräch über Vorzugsstimmen, die Neos und Erfahrung in der Politik.

KURIER: Herr Bezirksvorsteher, die ÖVP hat bei der Nationalratswahl in Döbling nur 24,7 Prozent der Stimmen geholt und die Spitzenposition an die SPÖ verloren. Wie sehr schmerzt Sie das?

Tiller: Moment. Wir liegen derzeit nur noch 65 Stimmen hinter der SPÖ. Wir hoffen, dass wir das mit den letzten Wahlkarten noch aufholen und die Spitzenposition zurückerobern können.

Dennoch. Die ÖVP hat in Döbling knapp 4,9 Prozent verloren, mehr als jede andere Partei. Damit kann man als Bezirkschef nicht zufrieden sein.

Nein, ich bin natürlich sehr enttäuscht. Man muss aber festhalten, dass es Bundeswahlen waren. Bei Gemeinderats- und Bezirkswahlen sieht das Ergebnis anders aus. Nur zum Vergleich: Ich habe bei dieser Wahl in Döbling 1798 Vorzugsstimmen bekommen, das sind um sechs mehr als die rote Vizebürgermeisterin Renate Brauner in ganz Wien.

War es richtig, in Wien mit Brigitte Jank und Sebastian Kurz in die Wahl zu gehen?

Ja. Es war wichtig, unsere Wirtschaftskammerpräsidentin zu präsentieren. Kurz hat gezeigt, dass er für die Jungen da ist. Er hat viele Vorzugsstimmen gesammelt.

Die Neos haben in Döbling 11,9 Prozent geholt. Viele Menschen, die diese neue Partei gewählt haben, kommen aus einem bürgerlichen Umfeld. Ist die ÖVP zu alt und verstaubt?

Die Neos bedienen das Grundpotenzial des Liberalen Forums. Aber wir werden anpacken müssen und den Jungen und Engagierten bei uns eine Plattform bieten.

Sie sind seit 1978 im Amt. In Hietzing hat Heinz Gerstbach das Bezirksvorsteher-Amt zuletzt an eine junge Frau übergeben. Hat man Ihnen nahegelegt, auch bald abzutreten?

Nein. Den alten Tiller wird man nicht ersetzen können, denn Erfahrung und Hirn kann man nicht nur durch Jugend wettmachen. Der Herr Stronach ist 81 Jahre alt und will gerade Politik lernen. Der Tiller weiß schon, wie es geht, daher bleibt er noch.

Wie wollen Sie die jungen Bürgerlichen erreichen?

Wir werden für die Wienwahl 2015 vier junge Stellvertreter von mir vorstellen. Der Tiller hat mit seinem jungen Team noch viel vor.

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In der ÖVP rumort es. Ursula Stenzel, Bezirksvorsteherin in der Inneren Stadt griff Parteichef Manfred Juraczka frontal an. Dieser bringe keinen geraden Satz in TV-Interviews raus, sagte Stenzel zur Krone. „Nicht ich habe 8,7 Prozent in der Inneren Stadt verloren sondern andere“, sagt Stenzel zum KURIER. Spitzenkandidat in der City sei bekanntlich Markus Figl gewesen, sagt Stenzel: „Das Ergebnis spricht für sich.“ Die Neos unter Matthias Strolz seien dagegen neu und unverbraucht aufgetreten. „Warum man so einen Mann von der ÖVP ziehen lässt, ist mir unbegreiflich.“ Wie ist nun das Verhältnis zu Landesparteichef Manfred Juraczka? „Sachlich und konstruktiv.“

Mit Kritik an der Parteispitze hält man sich in den von der SPÖ geführten Bezirken noch zurück. Wie Parteichef Michael Häupl ortet man die Ursache für das schlechte Abschneiden in der geringen Wahlbeteiligung. „Die große Zahl der Nichtwähler werden wir wieder abholen müssen“, sagt Franz Prokop, Bezirksvorsteher in Ottakring, wo die SPÖ das wienweit schlechteste Ergebnis erzielte (–5 Prozent). In Döbling konnte man zwar die ÖVP von Platz 1 verdrängen, verlor aber auch mehr als zwei Prozent. „Manche Funktionäre haben wohl anhand der Umfragen gedacht, die Sache sei schon gelaufen“, kritisiert ein Funktionär die mangelnde Mobilisierungskraft.