Chronik/Wien

Muslimisches Prügelopfer übt Kritik an der Polizei

Nachdem eine junge türkischstämmige Wienerin Anfang dieser Woche an einer Straßenbahn-Station in Favoriten attackiert wurde, erhebt das Opfer nun Vorwürfe gegen die Polizei. Obwohl sie ein rabiater Mann bespuckt, als "ISIS-Terroristin" beschimpft und ihr schließlich mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe, hätten ihr die alarmierten Beamten keine Möglichkeit gegeben, Anzeige zu erstatten, berichtet die 18-jährige Ayse T.

Bei der Wiener Polizei wird die Situation etwas anders dargestellt. Zwar bestätigt Sprecher Thomas Keiblinger die Amtshandlung am vergangenen Montag in Favoriten. Gegenüber den einschreitenden Beamten hätten die junge Frau und ihre beiden Begleiterinnen aber nicht von einem Faustschlag, sondern bloß von "einer Watsche" gesprochen. Zudem habe T. angegeben, keine Schmerzen zu haben.

Die Unterscheidung sei wesentlich, erklärt Keiblinger. Jemandem mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen, falle nämlich nicht in den Bereich der "Körperverletzung", sondern sei als "Beleidigung" einzustufen. Ein Faustschlag lasse zumindest einen bedingten Vorsatz, jemanden zu verletzten, erkennen und sei deshalb ein Offizialdelikt - "das heißt, dass die Polizei auf jeden Fall einschreiten muss". Eine Ohrfeige erfolge dagegen im Affekt und lasse nicht auf einen Verletzungsversuch schließen. "Im konkreten Fall sagte die junge Frau ja auch aus, dass sie keine Schmerzen habe." Darum müsste das Opfer die Beleidigung privat auf dem Bezirksgericht zur Anzeige bringen. Über diese Möglichkeit hätten die Polizisten die drei jungen Frauen aufgeklärt.

Im Gespräch mit dem KURIER geben die drei jungen Frauen an, aufgrund des Vorfalls "total aufgeregt" gewesen zu sein. "Wir waren alle in Tränen aufgelöst. Ich bin Schülerin, mir ist so was noch nie passiert. Ich hatte noch nie was mit der Polizei zu tun", schildert die 18-jährige Ayse.

Sollte die Schülerin aufgrund der Aufregung irrtümlich von einer Ohrfeige gesprochen, aber einen Faustschlag gemeint haben, könne sie noch immer "auf jedem Wachzimmer" Anzeige wegen versuchter Körperverletzung erstatten, betont Keiblinger. Dann werde eine Ermittlung eingeleitet. Die Daten aller Beteiligten seien ohnehin aufgenommen worden.

"Vermehrte Übergriffe"

Das türkisch- und deutschsprachige Nachrichtenportal Haber-Journal berichtete als erstes Medium über die Attacke auf Ayse T. Herausgeber Kaddafi Kaya nimmt aktuell vermehrt Übergriffe auf Muslime wahr: "Die Verbrechen der ISIS wirken sich auf die Situation der Muslime in Europa aus. Und die Berichterstattung der Medien trägt dazu bei."

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Allein in den vergangenen drei Monaten hätten sich acht Personen bei der Redaktion gemeldet, die "Opfer ernsthafter Attacken" geworden seien. "Paradoxerweise wenden sich die Leute lieber an muslimische Institutionen als an die Polizei. Sie haben wenig Vertrauen in die österreichischen Behörden", sagt Kaya. Das liege auch in der Verantwortung der Politik, meint Haber-Journal-Mitarbeiter Fatih Köse (einer breiteren Öffentlichkeit wegen seines politischen Engagements in der türkischen Community bekannt). "Die Bundesregierung müsste mehr auf Bewusstseinsbildung setzen. Wir brauchen Aufklärungsarbeit - bereits in der Schule."

Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) richtete nach mehreren ähnlich gelagerten Vorfällen bereits eine Hotline ein (der KURIER berichtete).