Muslima: "Die Regierung will mich zu Hause einsperren"
Von Bernhard Ichner
SPÖ und ÖVP wollen die Vollverschleierung bei Musliminnen verbieten. Wie berichtet, betrifft das zwar in erster Linie arabische Touristinnen – aber eben nicht ausschließlich. Laut Schätzung der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) leben „ein paar Dutzend“ Burka- bzw. Nikab-Trägerinnen in Österreich. Die meisten davon stammen aus der tschetschenischen Community, ein paar sind Konvertitinnen.
So wie Gertraud M. (Name von der Redaktion geändert). Die 31-jährige Niederösterreicherin begann während einer schweren Erkrankung, den Gesichtsschleier zu tragen – „um Allah näher zu sein; um quasi die letzten Gutpunkte vor dem Tod zu sammeln“, wie sie erklärt. Mittlerweile geht es ihr gesundheitlich wieder gut. Der KURIER fragte Frau M., was die geplante Gesetzesnovelle für sie und ihre Familie bedeutet.
KURIER: Integrationsminister Sebastian Kurz von der ÖVP meint, die Vollverschleierung sei ein Ausdruck der Unterdrückung, Staatssekretärin Muna Duzdar von der SPÖ ortet eine fundamentalistische Auslegung der Religion. Sind Sie nun Fundamentalistin oder fühlen Sie sich unterdrückt?
Gertraud M.: Ja, ich fühle mich unterdrückt – von der
Regierung. DAS ist fundamentalistisch. Man kann doch nicht Menschen einfach anhand ihrer Kleidung beurteilen. Es gibt ja auch Österreicherinnen, die sich freiwillig für den Gesichtsschleier entschieden haben. Gerade wir Konvertitinnen bringen unseren Kindern Toleranz bei. Und ausgerechnet uns will man nun an den Rand der Gesellschaft drängen.
Sie können das Verbot einer Vollverschleierung nicht im Geringsten nachvollziehen?
Überhaupt nicht. Das ist nur ein weiterer Schritt gegen den Islam und eine Diskriminierung der Frauen. Wie kann es sein, dass im Jahr 2017 Männer Frauen vorschreiben, was sie tragen dürfen.
Was bedeutet der Plan der Regierung nun für Sie persönlich? Werden Sie den
Gesichtsschleier ablegen, wenn Sie die Wohnung verlassen – oder sind Sie bereit, jedes Mal 150 Euro Strafe zu riskieren?
Ja, ich spare schon. Der Schleier ist für mich ein Gottesdienst und gerade er erlaubt es mir erst, mich in der Gesellschaft zu bewegen. Die Regierung will mich zwar zu Hause einsperren, aber ich werde mich nicht dran halten. Ich muss ja einkaufen, meine Kinder in die Schule bringen und arbeiten. Das Risiko, gestraft zu werden, geh ich ein. Über die Kleidungskontrollen im Iran schimpft man hierzulande – und dann macht man hier dasselbe.
Wäre es nicht einfacher für Sie, ein Kopftuch zu tragen?
Nein, das wäre mir zu wenig. Ich habe das Recht zu bestimmen, wie viel von mir ich zeigen will.
Was sagt Ihre Familie zu dieser Einstellung, trägt Ihr Ehemann Ihre Entscheidung mit?
Ich stehe am Schluss vor Gott. Darum liegt die Entscheidung bei mir.
Wie reagieren eigentlich die Leute auf der Straße, in Geschäften oder Lokalen auf Sie?
Es gibt solche und solche. Die einen sind liberal, die anderen greifen mich verbal an. Im Vorbeigehen heißt es dann „Ab morgen zahlst du“ oder „Das ist erst der Anfang – heute die Vollverschleierung, morgen das Kopftuch“. Die meisten sind zwar ganz schnell ruhig, wenn sie merken, dass ich ihre Sprache spreche. Das Problem ist aber, dass man nicht als Person, sondern als Sache wahrgenommen wird. Als Muslima wird man auf der Straße beschimpft, bespuckt, geschubst und bedroht. Und die Regierung fördert diese Stimmung auch noch. Hat man denn aus der Geschichte nichts gelernt? Ich mache mir, ehrlich gesagt, Sorgen um meine Kinder, die in dieser Gesellschaft aufwachsen.
Sie wurden bedroht?
Ja, als ich einmal über einen Zebrastreifen gegangen bin, hat die Lenkerin eines Pkw absichtlich Gas gegeben. Ich wollte das zur Anzeige bringen, aber bei der Polizei hat man mich nur ausgelacht.
Sie haben im Vorjahr Schlagzeilen gemacht, weil Sie einen Notar geklagt haben, der Sie wegen Ihres Gesichtsschleiers gekündigt hatte. Der Oberste Gerichtshof gab damals allerdings Ihrem Ex-Arbeitgeber recht. Haben Sie mittlerweile einen neuen Job?
Ich habe mich selbstständig gemacht. Aber was ich verkaufe, will ich nicht sagen. Ich kenne die Reaktion der Leute: Alles, was einen islamischen Touch hat, wird abgelehnt und schlecht gemacht. Überhaupt nach der Bundespräsidenten-Wahl erntet man nur Hass. (Der KURIER kennt Frau M.s Angebot.)
Die zunehmende Skepsis gegenüber dem Islam hat auch mit dem Terror zu tun. Erst kürzlich wurde in Österreich ein radikalisierter 17-Jähriger, der Bomben bauen wollte, festgenommen. Glauben Sie, dass das Vertrauen der Gesellschaft in Muslime zunimmt, wenn sich Frauen nicht mehr vollverschleiern dürfen?
Nein. Man drängt sie ja nur noch mehr an den Rand. Wenn man immer mit dem Terror und der Radikalisierung argumentiert, müsste man eigentlich alle Männer aus dem Land werfen. Weil die meisten weltweit agierenden Verbrecher waren Männer. Mit Verboten kann man keine Sicherheit garantieren. Es gäbe weit wichtigere Aufgaben für die Regierung: zum Beispiel Kinder von Alkohol und Zigaretten fernzuhalten, soziale Randgruppen in die Mitte der Gesellschaft zu bringen, die Altersarmut zu bekämpfen. Stattdessen entscheidet man sich, rund 100 Frauen unter neun Millionen Einwohnern zu unterdrücken. Was hat das mit Sicherheit zu tun, ob alle mein Gesicht sehen? Da geht es bloß darum, den Muslimen wieder einmal eine auf den Deckel zu hauen.
Eine USA-Reise planen Sie ob der dortigen Politik vermutlich nicht – Stichwort: Muslimban.
Ich hätte da als österreichische Staatsbürgerin zwar kein Problem, ich bin ja in Niederösterreich geboren. Aber ich hab’ es nicht vor. Das Arge an der Geschichte ist, dass die ganze Welt einfach zuschaut. Auch von den Grünen hab ich da nichts gehört. Warum sagt Bundespräsident Van der Bellen dazu nichts? Es scheint wirklich so: Wer schweigt, stimmt zu. (Mittlerweile hob ein Gericht in Seattle Trumps "Muslimban" auf.)
Die FPÖ dürfte für Sie nicht infrage kommen. Von SPÖ und ÖVP fühlen Sie sich unterdrückt und von den Grünen zu wenig vertreten. Können Sie in Österreich überhaupt noch jemanden wählen?
Nein. Allein wie Minister Kurz agiert... Zuerst schürt er unter dem Deckmantel der Integration Hass und Vorurteile. Weil auf seinem hohen Sessel kriegt er ja nicht mit, was wir wegen ihm alles ertragen müssen. Und dann lädt er Muslime ein Mal im Jahr zum Iftar (Fastenbrechen, Anm.) ein. Das ist doch scheinheilig.
Angesichts Ihrer Gesamtsituation: wäre Auswandern eine Option für Sie?
Wohin denn? Ich bin ja hier zu Hause. Ich kann grad zurück ins Waldviertel gehen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man mich dort mit offenen Armen empfängt.