Chronik/Wien

Musical-Darsteller gesucht: Mit 78 noch Bühnenluft schnuppern

Maria Karl rückt ihren Blazer zurecht. „Toi, toi, toi“, sagt Anna Kofler zur Kandidatin, bevor diese im kleinen Raum des Favoritner Pensionistenklubs verschwindet, der an diesem Tag ein Casting-Raum ist.

„Ich würd’ einen Boogie tanzen“, sagt die 78-Jährige in die Kamera. Dann wirbelt sie mit dem 60-jährigen Casting-Assistenten so schnell zu Billie Haleys „Rock a Beating’ Boogie“ durch den Raum, dass dieser nach zwei Minuten außer Atem w. o. gibt. Während Maria Karl noch „Mei Muata war a Weanerin“ singt. Das Castingteam klatscht begeistert.

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Sie habe ja die Schauspielschule mit Auszeichnung bestanden, erzählt sie dem Team. „Aber das war nach dem Krieg, im 56er-Jahr. Wir hatten ja nichts.“ Also musste sie daheim der Mutter helfen.

Kurze Stille.

„Aber jetzt hab’ ich drei Kinder, acht Enkelkinder und sieben Urenkeln.“ Sie lacht. Ihre Tochter habe darauf bestanden, dass sie heute hierherkomme.

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„Wiener Oldies“ spielen "Onkel Harry"

Es ist Castingtag Nummer vier von insgesamt zehn. Diesmal macht das Castingteam der Wiener Pensionistenklubs im Fliederhof 6 in Wien-Favoriten Station. Die Pensionistenklubs lassen ihr erstes Musical „voller Wiener Oldies“ Realität werden. Die Idee stammt von Grätzelkoordinatorin Anna Kofler.

Gemeinsam mit dem Komponisten Michael Scheickl hat sie vor rund eineinhalb Jahren begonnen, das Stück „Onkel Harry“ zu schreiben.

Es handelt von Harald Track, einem rüstigen Pensionisten, der den Auftrag erhält, seinen zynischen Neffen, einen Börsenmakler aus Amerika, auf den richtigen Weg zu bringen.

Die Hauptrolle übernimmt Alfons Haider. Dazu werden nun rund 40 Darstellerinnen und Darsteller gesucht.

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Die nächsten Kandidaten sind Helene Heinisch (72) und Franz Pfeiffer (76). Die beiden haben einander vor 20 Jahren beim Tanzen kennengelernt. „Die Helene hat mich wieder zum Akkordeon gebracht und das hat mich seitdem über so einige trübe Tage gerettet“, sagt Franz Pfeiffer, bevor er Helene mit dem Akkordeon zu ihrer Version des Wienerlieds „Wien bleibt Wien“ begleitet.

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Sie singt klar und hell. Eine musikalische Ausbildung hat sie nicht genossen, aber als Jugendliche hat sie in ihrem Heimatort Laa an der Thaya immer wieder bei Operetten mitgesungen. Mit strahlenden Augen verlässt sie den Casting-Raum. Die nächste Sängerin wartet schon an der Tür.

Die große Nachfrage begeistert Musical-Leiterin Anna Kofler, damit habe sie nicht gerechnet: „Es ist ja ein Experiment.“ Rund 30 Personen seien bis jetzt zu jedem Casting erschienen. Von Wienerlied bis Chanson sei alles geboten worden. Ein Mann kam mit E-Gitarre und Cowboystiefeln, eine Frau jodelte, eine andere führte einen der fünf Tibeter (eine Abfolge von fünf Turnübungen) vor.

Kandidatin Nummer 174, Maria Karl, hat wieder im großen Saal des Pensionistenklubs Platz genommen und plaudert mit anderen Casting-Teilnehmern. War sie nervös? „Aber wovor hätt’ ich nervös sein sollen?“ Sie strahlt. „Schön war’s. Ich habe mich wieder jung gefühlt.“