Chronik/Wien

"So schaut es hier jeden Tag aus"

Könnten Sie bitte etwas Platz machen?", bittet die Stationsschwester höflich, aber doch sichtlich etwas genervt die herumstehenden Besucher. In Zentimeterarbeit versucht sie, ein Krankenbett durch den engen Korridor zu fädeln.

Platz gibt es hier auf der Unfallchirurgie des Wilhelminenspitals tatsächlich kaum. Nicht weniger als fünf Patienten liegen an diesem Nachmittag dicht an dicht in Gangbetten. Mobile Trennwände schützen notdürftig die Intimsphäre. Nachtkästchen und medizinische Geräte sorgen dafür, dass kaum noch die halbe Breite des Ganges frei bleibt. Dazwischen stehen auch noch Angehörige im Weg, die die Patienten besuchen.

"So schaut es hier jeden Tag aus", sagt eine Pflegerin. "Manchmal hatten wir auch schon zehn Gangbetten. Besonders schwierig ist die Situation in der Nacht, wenn unruhige Patienten den Schlaf der anderen stören. Wir sind dann die Ersten, die den Ärger der Angehörigen abbekommen, obwohl wir ja nichts dafür können."

Dabei gibt es diese Zustände – zumindest offiziell – gar nicht: "Die Patienten des KAV sind in den dazu vorgesehen Patientenzimmern untergebracht. In den Gängen besteht keine Möglichkeit zur Unterbringung von Betten", betonte 2012 Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) in der Beantwortung einer Anfrage von ÖVP-Gemeinderätin Ingrid Korosec.

"Mir wird schlecht, wenn ich so etwas höre. Durch solche Aussagen fühlen sich Patienten und Pflegepersonal auf den Arm genommen", sagt Günter Wukovits, Betriebsrat im Wilhelminenspital. Seit 1993 arbeitet er im Haus, "seitdem verfolgt mich das Thema Gangbetten." Trat früher das Problem nur saisonal auf (etwa zu Grippezeiten) müsse man sich mittlerweile das ganze Jahr hindurch damit herumschlagen. Betroffen seien nicht nur das Wilhelminen- sondern auch andere Gemeindespitäler.

Mehr alte Patienten

Besonders aber die jeweiligen unfallchirurgischen Abteilungen. "Verantwortlich dafür ist die Überalterung der Bevölkerung. Deshalb gibt es immer mehr geriatrische Patienten, die zum Beispiel mit einem Oberschenkelhalsbruch eingeliefert werden."

Die Kapazitäten sind aber gleich geblieben. "Wenn wir zu unseren 34 Betten vier zusätzliche Gangbetten haben, bekommen wir trotzdem nicht mehr Personal", schildert eine Krankenschwester. Vor Kurzem hat sie sich einen Schrittzähler zugelegt: Zehn Kilometer legt sie pro Arbeitstag zurück. "Ich liebe meinen Job, aber mit 40 werd ich ihn sicher nicht mehr machen können", erzählt eine Kollegin.

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Andere meistern die Situation mit Galgenhumor: "Fragt man uns nach unserer Bettenbelegung, geben wir mittlerweile die Zahl der freien Gangbetten an", sagt ein Arzt. "Und für die Sonderklasse-Patienten gibt es zwei statt nur einer Trennwand."

Im Februar bemängelte das Arbeitsinspektorat die durch die Gangbetten beeinträchtigten Fluchtwege (siehe Faksimile). Die Prüfer ordneten die sofortige Behebung der Mängel an. Passiert ist seitdem nicht viel.

Immerhin: Jetzt soll eine Taskforce das Problem beheben. Eine Entlastung soll auch das Krankenhaus Nord bringen. "Noch ist aber nicht absehbar, wann es fertig wird", sagt Betriebsrat Wukovits. Er wird langsam ungeduldig: "Es muss endlich gehandelt werden."

Ganz ausschließen könne man Gangbetten nie, betont ein Sprecher des KAV: "Es ist unser Versorgungsauftrag, alle Menschen, die medizinische Hilfe brauchen, aufzunehmen." Er relativiert die Größenordnung des Problems. So habe es etwa am 16. April in den KAV-Spitälern (inklusive AKH 7600 Betten) rund 20 Gangbetten gegeben. Um die Situation weiter zu entschärfen, habe man aber eine Taskforce für die unfallchirurgischen Abteilungen ins Leben gerufen.

Zur Kritik des Arbeitsinspektorats im Wilhelminenspital: Dieses habe nur festgestellt, dass sich Betten auf dem Gang befinden. "Das heißt nicht, dass auch jedes dieser Betten ein Gangbett war." Manche Betten würden kurzfristig etwa zu Reinigungszwecken am Gang stehen. Zudem seien die Fluchtwege eingeengt, aber nicht blockiert gewesen.

Warum es trotz der Kritik des Arbeitsinspektorats weiter zu Gangbetten in der Unfallchirurgie kommt: "Die Patienten kommen für gewöhnlich mit akuten schweren Verletzungen auf die Unfallchirurgie. Das Personal kümmert sich prioritär um die Versorgung der akuten Verletzungen und weist keinen Patienten ab, nur weil gerade kein Bett in einem Zimmer frei ist." Darüber hinaus seien derzeit 19 Betten wegen Sanierungen gesperrt. Gesundheitstadträtin Sonja Wehsely war zu keiner Stellungnahme bereit.