Lichtverschmutzung: Heller Wahnsinn über Wien
Von Bernhard Ichner
„Der Zauber des Nachthimmels geht verloren“, sagt der Leiter der Kuffner-Sternwarte Günther Wuchterl im Bezug auf die Lichtverschmutzung über Wien. Laut einer weltweit einzigartigen Langzeitstudie, die die Sternwarte im Auftrag der Wiener Umweltschutzabteilung (MA22) durchführte, nahm die künstliche Aufhellung des Nachthimmels von 2011 bis 2017 jedes Jahr im Schnitt um sechs Prozent zu. Und auch die Zukunftsaussichten sind trübe: Pro Jahr wird die Lichtverschmutzung um bis zu fünf Prozent weiter ansteigen. Darunter leiden Tier und Mensch.
45 Megawatt
Hauptursache sind ineffiziente Außenbeleuchtungen im privaten und kommerziellen Bereich: Fassadenbeleuchtungen, illuminierte Plakatwände und nächtelang beleuchtete Geschäftsauslagen. Als Hotspots in Wien nennt man bei der MA22 beispielsweise die Megaboards der Asfinag am Knoten Vösendorf, die Repräsentationsbeleuchtung des Burgtheaters oder die helle Außenwerbung von Bürogebäuden am Donaukanal. Ein großer Teil des eingesetzten Lichts strahlt an den zu beleuchtenden Flächen vorbei. Etwa ein Drittel der rund 45 Megawatt starken Wiener Lichtglocke stammt aus direkt zum Himmel strahlenden und somit völlig verschwendetem Licht.
Unter der Lichtverschmutzung leiden nachtaktive Tiere. Insekten verbrennen oder verenden durch das Aufprallen auf heißen Lampen, Vögel verlieren die Orientierung und die auf Lichtsignale angewiesenen Glühwürmchen werden für ihre Fortpflanzungspartner unsichtbar, erklärt Wilfried Doppler von der Wiener Umweltanwaltschaft.
Aber auch beim Menschen stört zu viel Licht den Biorhythmus, erläutert Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Universität Wien. Von Blendungseffekten abgesehen kann auch unsere innere Uhr beeinträchtigt werden. Mögliche Effekte reichen von Schlafstörungen bis hin zu Krebserkrankungen. Nach der Belästigung durch Lärm und Gerüche rangieren die Beschwerden über Lichtemissionen auf Platz drei bei den Beschwerden, die an den Öffentlichen Gesundheitsdienst herangetragen werden, sagt Hutter.
Milchstraße
Die negative Entwicklung am Nachthimmel können Astronomen bestätigen: „Statt 6000 bis 7000 Sternen, wie am Stadtrand, sieht man im Zentrum Wiens nur noch 250 bis 300 Sterne“, sagt Wuchterl. „Vom Kleinen Wagen erkennt man hier nur drei von sieben Sternen.“ Und auch die Milchstraße sei innerhalb des Gürtels nicht mehr auszumachen. Zumindest Letzteres könne sich aber ändern. „Bis 2036 holen wir die Milchstraße zurück nach Wien“, glaubt Wuchterl.
Seiner Ansicht nach ließen sich mehr als 95 Prozent des durch Fassaden- und Werbebeleuchtungen nach oben strahlenden Lichts einsparen. „Durch verbesserte Lichttechnik, durchdachte Schaltkonzepte und zweckorientierte Beleuchtungsstärken.“ Aber auch durch rechtliche Vorgaben.
So könnte etwa wie Frankreich gesetzlich verankert werden, dass Geschäftsauslagen nach Betriebsschluss nicht mehr beleuchtet sein dürfen. Die oö. Umweltanwaltschaft hätte in Kooperation mit der Johannes-Kepler-Universität sogar bereits einen Entwurf für ein Immissionsschutzgesetz-Licht ausgearbeitet – die Politik griff dies bis dato jedoch nicht auf.
Und auch seitens der Wirtschaftskammer will man die Initiative auf KURIER-Anfrage nicht kommentieren. Zu Wort meldet sich allerdings der Wiener ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer - der das kollektive Abschalten der Geschäftsbeleuchtungen für nicht zielführend hält. Erhöhe diese doch das subjektive Sicherheitgefühl in der Bevölkerung. Insofern sei auch die Stadt Wien gefordert, für eine adäquate Straßenbeleuchtung zu sorgen.
Die Stadt Wien ergreift nun ohnehin erste Maßnahmen zur Eindämmung der Lichtverschmutzung: So werden sämtliche Seilhängeleuchten durch effiziente LED-Lampen, die nur senkrecht nach unten leuchten, ersetzt. Diese Straßenlaternen sparen nicht nur Energie, sondern locken auch 80 Prozent weniger Insekten an, erklärt MA22-Chefin Karin Büchl-Krammerstätter.