Chronik/Wien

Lebensmittel-Verschwendung: Die Helden der Müllräume

Es ist eine der ältesten Geschichten überhaupt: Robin Hood ist der Dieb, der reiche Leute ausraubt und seine Beute den Armen gibt. „Bei uns geht es aber nicht um die Armen. Das Essen ist für alle da“, sagt Josef Etzelsdorfer. Gemeinsam mit dem 33-jährigen David Sonnenbaum hat er die Initiative „Robin Foods“ gegründet.

Ihre Tätigkeit kennt man im Fachjargon als „Dumpstern“ (von Dumpster Diving, also Mülltauchen) oder „Containern“. Gemeint ist damit das Retten von Lebensmitteln aus Abfallcontainern – meist jenen von Supermärkten. Per WhatsApp und Telegram verknüpfen Etzelsdorfer und Sonnenbaum zudem Hunderte Menschen, die genau das tun wollen.

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Erdäpfel und Orchideen

Gegen 16 Uhr geht Sonnenbaum zu einem Müllraum eines Wiener Supermarktes. Die Tür ist offen. Rechtlich betritt er eine Grauzone. Ob ihm Konsequenzen drohen, hängt davon ab, wie er sich Zugang verschafft. „In der Praxis kommt es so gut wie nie zu einer Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft“, erklärt Rechtsanwalt Alexander Kern.

Sonnenbaum blickt in die Tonnen. „Das schaut gut aus“, sagt er und fängt an, Müllsäcke herauszuziehen. Im ersten sind Kartoffeln, Zitronen, Äpfel und Birnen. Im zweiten abgepackte Salatköpfe, lose Paprika, Tomaten, Fruchtsaft-Flaschen. Ein dritter ist mit Brot und anderen Backwaren gefüllt.

Robin Foods
Die Initiative organisiert Lebensmittelrettungen, verköstigt Demos, Straßenfeste und war 
für das Essen im Lobau-Camp zuständig. robin-foods.org

Too good to go  
Die Too Good To Go-App verbindet Lebensmittelbetriebe mit Konsumentinnen und Konsumenten, damit übrig gebliebenes Essen konsumiert statt entsorgt wird. toogoodtogo.at

Brüsli
Wiener Start-up veredelt Brot vom Vortag zu Müsli
bruesli.com

Manche Waren sind am selben Tag abgelaufen, andere überschreiten erst in Tagen das Mindesthaltbarkeitsdatum. „Es wird Vieles aussortiert, weil eine neue Lieferung kommt und der Platz fehlt“, sagt Sonnenbaum. Aus einem anderen Container fischt er Orchideen: „Die waren nicht hübsch genug für den Verkauf.“

Mit seiner Ausbeute fährt er dann auf dem Lastenrad zum Robin-Foods-Lokal namens Eco Ufu (Environmental Conciousness Organisation – Überschüsse für Umweltbildung) in die Hasnerstraße 100 im 16. Bezirk – dem Treffpunkt der Initiative. Geplant ist, hier ein Food-Waste-Lokal zu eröffnen. Das ist derzeit, auch wegen Corona, aber Zukunftsmusik.

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David fängt an, die Lebensmittel auf einer Art Kasten auf der Straße abzulegen. Sofort kommen Menschen auf Fahrrädern herbei. Sie sind Teil der Lebensmittel-Retter-Szene. Darunter: der 41-jährige Markus. „Die meisten hier sind Akademiker“, sagt der ehemalige Reiseleiter. „Ich habe als Kind gelernt, dass man Essen nicht wegschmeißt“, sagt ein 21-jähriger Umweltmanagement-Student. Er besucht in diesem Semester ein Seminar über Abfallmanagement. Die Augen geöffnet habe ihm die Doku „Taste the Waste“.

 

830 Tausend Tonnen
Lebensmittel landen in Österreich pro Jahr insgesamt 
im Müll

67 Tausend Tonnen
Lebensmittel werden jährlich allein von den  heimischen Supermärkten weggeworfen  

26 Kilo
Lebensmittel werden also pro Sekunde in 
Österreich entsorgt 

1,5 Millionen Tonnen
ist das -Einsparungspotenzial: Zwei Drittel der gesamten Treibhausgase der Abfallwirtschaft in Österreich entstehen durch verbrannte Lebensmittelabfälle 
 
1,4 Milliarden Euro
beträgt der jährliche Warenwert der 
in Österreich verbrannten 
Lebensmittelabfälle

1,2 Milliarden Tonnen
So hoch ist das Ausmaß der globalen Produktionsverluste in der Landwirtschaft – nur durch entsorgte Lebensmittel

315 Milliarden Euro 
Diesen Wert hat der jährliche und global entstandene Verlust durch weggeworfene Lebensmittel nur 
am Feld 

4,4 Millionen km²
Land werden jährlich  für die  globale Herstellung der weggeworfenen Lebensmittel   genützt. Das entspricht der Größe des indischen Subkontinents

Vor einem Monat ging ein Video viral, das Lebensmittelverschwendung thematisiert. Greenpeace teilte es unter dem Titel: „Aus dem Supermarkt in die Müllverbrennung“. Es zeigt einen Berg verpackter Produkte in einer Müllverbrennungsanlage. 1,4 Milliarden Euro ist laut Greenpeace der jährliche Warenwert, der verbrannt wird.

„Wir fordern ein 100-Prozent-Pickerl und offene Müllräume der Supermärkte. Das würde schon ein wenig helfen“

David Sonnenbaum (33)
Gründer „Robin Foods“

Das 100–Prozent–Pickerl

Gerettet seien Lebensmittel erst, wenn sie gegessen werden, sagt Sonnenbaum. Nachdem er das Essen in Ottakring aufgeschlichtet hat, wird ein weitere Müllraum angefahren. Auch hier ist die Tür offen. „Hier war schon jemand“, heißt es. Das komme vor.

Bei der Rückkehr zum Stützpunkt wird klar: Von den geretteten Lebensmitteln ist wenig übrig. „Wenn es gratis ist, nimmt man es“, so Sonnenbaum. Supermärkte sollten daher Ware, die in den Container soll, mit einem Pickerl versehen, verlangt er. In Anlehnung an die gängigen 50-Prozent-Pickerl auf Produkte, die bald ablaufen und zum halben Preis verkauft werden, schwebt ihm ein 100-Prozent-Pickerl vor. Weitere Forderung: „Die Supermärkte sollen die Müllräume öffnen“.

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Bis das soweit ist, wird es aber wohl noch dauern: Manche Supermärkte wären zwar an neuen Strategien interessiert, so Sonnenbaum. Die Realität schaue aber meist anders aus.