Kindergärten: Der Förderskandal weitet sich aus
Der Kriminalfall rund um das Kindergartennetzwerk von Abdullah P. weitet sich aus. Laut Staatsanwaltschaft Wien wird in dem Betrugsverfahren rund um Fördergelder der Stadt Wien mittlerweile gegen sieben Personen ermittelt. Sie sind Mitglieder des "Team P." – wie der Hauptverdächtige seine Organisation selbst betitelt.
Nicht ohne Grund ermittelt die Justiz auch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung – wirkt doch die Struktur wie aus einem Mafiafilm. Der Pate ist Abdullah P. Seine Frau Tülay P. soll ebenfalls an den mutmaßlichen Betrügereien beteiligt gewesen sein. Seine unmittelbaren Vertrauten auf der zweiten Hierarchiestufe sind Mustafa S., Finanzchef und IT-Profi, Rechtsberaterin Silvia K., Pädagogin Renate T. und Beytullah N., Hausmeister.
Scheinanmeldungen
Immer klarer wird auch, wie sich das Netzwerk über mehrere Vereine Fördergelder der zuständigen Magistratsabteilung 10 (Wiener Kindergärten) erschlichen haben soll. Dabei wurde auf mehreren Ebenen vorgegangen:
Tatsächlich dürften aber viel weniger Kinder betreut worden sein. Eine Mutter, deren Sohn bis zur Schließung des Zentrums im Juli 2015 dort versorgt wurde, erzählt dem KURIER, dass es nur sechs Kinder in der Gruppe ihres Sohnes gab. In der Babygruppe nebenan sollen nur zehn Kleinkinder versorgt worden sein.
Zum Ausgleich soll das Team P. mit Scheinanmeldungen gearbeitet haben. Auch in der Bilanz dürfte geschummelt worden sein: Bei der Jahresabrechnung 2014 des Zentrums hatte die MA 10 festgestellt, dass der Gewinn um 400.000 Euro höher gelegen sein muss, als vom Team P. angegeben. Eine genaue Schadenssumme lässt sich noch nicht abschätzen.
Eine weitere lukrative Einnahmequelle waren Honorare für Neugründungen von Kindergärten, bei denen Abdullah P. den privaten Betreibern – die de facto nur Strohmänner gewesen sein dürften – als "Berater" unter die Arme gegriffen hat. Einem Kindergarten in Favoriten wurde etwa der Webauftritt gestaltet, für andere wurden Umbauten und Amtswege erledigt. Abgewickelt wurden diese Deals teilweise über Scheinrechnungen aus Ungarn, für die die MA 10 teilweise keine Leistungen feststellen konnte.
Urkundenfälschungen
Zum Repertoire des Team P. gehörten offenbar auch Urkundenfälschungen. Wie der KURIER berichtete, wurden Gemeinnützigkeitsbestätigungen des Finanzamts gefälscht, um für Vereine der Strohmänner Fördergelder bewilligt zu bekommen.
Außerdem soll die Unterschrift des Hausmeisters Beytullah N. auf einem Antrag für eine Anstoßfinanzierung gefälscht worden sein. Die von der MA 10 bewilligten 220.000 Euro sind verschwunden, in die Errichtung eines Kindergartens flossen sie jedenfalls nicht. N. will das Geld nie gesehen haben. Über seinen Anwalt Philipp Wolm hat er Anzeige gegen Abdullah P. erstattet. Sein Insiderwissen hat den Ermittlungen im September neue Schubkraft gegeben.
Neues Schattenteam
In den zehn Vereinen, die durch Fälschungen aufgeflogen sind, blieb kein Stein auf dem anderen. Nachdem die MA 10 ihre Förderverträge kündigte, wechselten im Herbst einige Vorstände.
Bei vier der zehn soll der Neustart dadurch geglückt sein, heißt es aus informierten Kreisen. Sie erhalten offenbar wieder Förderungen. Bedingung war die Loslösung vom Team P.
Abgewiesen wurde dagegen ein Verein für Erwachsenenbildung, der immer noch mit P. in Verbindung stehen soll. Ein interessantes Datum ist hier der 15. November 2015. An diesem Tag wurden einige Rollen in dem Netzwerk neu verteilt. Mikail C. und seine Frau Takiye C. wurden laut Vereinsregister per 15. 11. in gleich mehreren Vorständen aktiv: Er ist jetzt Obmann von drei Vereinen, sie ist Kassierin von fünf – darunter auch vom vorher genannten Zentrum für Kinderbildung, dessen Vorsitz Abdullah P. bekleidet.
Über sein Erstprojekt aus dem Jahr 2011, ein Zentrum für Erwachsenenbildung und Integration, wurde indes im Dezember ein Konkursverfahren eröffnet.
Keine Stellungnahmen
Ob das Ehepaar C. in die Machenschaften involviert ist, ist unklar. Nina Bussek, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, will dazu nichts sagen. Die Ermittlungsbehörde hält sich bedeckt – seit Bekanntwerden des Skandals wurde gegenüber den Medien erst ein Mal Stellung genommen. Auch Details zur großangelegten Razzia, die am 23. Dezember im Zentrum in Brigittenau stattgefunden hat, bleiben unter Verschluss.
Ebenfalls nicht zu Wort melden wollte sich SP-Klubchef Christian Oxonitsch, der bis Ende 2015 Bildungsstadtrat der Stadt Wien war. In dessen Amtszeit soll sich der Förderbetrug abgespielt haben. Trotz mehrfachen Anfragen des KURIER war Oxonitsch nicht zu einer Stellungnahme bereit.
Für alle genannten Personen gilt die Unschuldvermutung.
In Wien gibt es rund 83.500 Betreuungsplätze inklusive Hortplätze für Schulkinder. Die Privaten bieten 55.800 Plätze an 1600 Standorten an, die Stadt Wien 27.700 Plätze an 350 Standorten. Für deren Förderung stehen der MA 10 jährlich 800 Millionen Euro zur Verfügung.
An private Trägerorganisationen werden jährlich rund 300 Millionen Euro ausgeschüttet.
RechnungshofkritikDer Stadtrechnungshof hat die Kontrollen der Förderungen geprüft und dabei grobe Mängel festgestellt. So mussten Ansuchen
für Förderungen erst ab 2012 Finanzpläne beinhalten. Bei einem
Drittel der geprüften Kindergärten fand der Rechnungshof nicht ausreichend qualifiziertes Personal. Bei der Buchführung der Kindergärten stellten die Prüfer ebenfalls große Mängel fest.