Chronik/Wien

Geboren 1928, vertrieben 1938: Jetzt wird an Arthur Kern erinnert

Aaron Kern geht in die Knie. Der Name seiner Großeltern und seines Onkels sind ganz unten in der Tafel eingraviert. Frieda Kernberg, Samuel Hersch (genannt Hermann) Kernberg, Fritz Kernberg. Aaron will ein Foto davon machen. „Es hilft mir, eine Verbindung herzustellen“, sagt Kern.

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Aarons Vater Arthur Kern, der am 19. Oktober 1928 als Oswald Kernberg in Wien geboren wurde, hat als einziger seiner Familie den Holocaust überlebt.

Über einen Kindertransport wurde er zunächst nach Frankreich, später weiter nach Amerika gerettet.

Die Namen auf der Shoah-Gedenkstätte vor der Nationalbank im 9. Bezirk sieht Aaron Kern zum ersten Mal. Gemeinsam mit seiner Frau Leslie und Historikerin Lilly Maier.

Und es ist nicht der letzte emotionale Termin an diesem Tag. Für Aarons Vater, seine Großeltern und seinen Onkel wurden Stolpersteine verlegt. Am Donnerstag wurden sie in einer berührenden Zeremonie eröffnet.

Die Stolpersteine sind das jüngste Kapitel einer Geschichte, die seit 20 Jahren andauert und so von Zufällen geprägt ist, dass man um das Wörtchen „Schicksal“ kaum umhinkommt.

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Schicksalhaftes Treffen

Ihren Anfang nimmt die Geschichte im September 2002 (siehe Info-Box). Da läutete es an der Tür der Wohnung in der Gussenbauergasse 1 im 9. Bezirk, in der Lilly Maier, damals elf Jahre alt, mit ihrer Mutter wohnte.

Vor der Tür stand ein Ehepaar mit einem Anliegen: Freunde des Paares, Amerikaner, würden demnächst nach Wien kommen und gerne einen Blick in die Wohnung werfen.

Denn die Wohnung in der Gussenbauergasse 1 war jene, in der auch Arthur Kern einst gelebt hatte – bevor seine Familie zuerst zwangsumgesiedelt und dann deportiert wurde. Im Frühling 2003 kam es zum Treffen zwischen Arthur Kern, seiner Frau Trudie und Lilly Maier.

Das Treffen blieb kein einmaliges Erlebnis: Zwischen Arthur und Lilly entwickelte sich eine Freundschaft, die bis zu Kerns Tod im Jahr 2015 hielt und in Maiers Buch „Arthur & Lilly. Das Mädchen und der Holocaustüberlebende“ nachgezeichnet wird.

 Mehr dazu lesen Sie hier: Junge Frau über Freundschaft mit Holocaustüberlebendem

Heute ist Lilly Maier vor allem mit Arthur Kerns Sohn Aaron und seiner Frau Leslie verbunden. Vor zwei Jahren hat Mayer begonnen, Stolpersteine für die Familie zu organisieren. Und auch das entwickelte sich über Zufälle.

2003....
... Begegnung

Im Frühling 2003 treffen Lilly Maier  und  Arthur Kern zum ersten Mal in Wien aufeinander.  Maier nimmt am Zeitgeschichte-Projekt „A letter to the stars“ teil und verfasst ein Porträt über Arthurs Mutter Frieda, der KURIER berichtet

Das Paket
Nach der Berichterstattung meldet sich eine Zeugin beim KURIER. Valerie Bartos hatte seit dem Krieg ein Paket von Hermann Kernberg aufbewahrt

2018...
... „Arthur & Lilly“

Lilly Maier veröffentlicht ein Buch über ihre Begegnung mit  Arthur Kern. Im Oktober erscheint es erstmals auf Englisch

Stolpersteine
Seit 11. Mai erinnern Stolpersteine vor dem Haus in der Gussenbauergasse 1  im 9. Bezirk daran, dass hier einst  Arthur (geb. Oswald), Fritz,  Hermann und Frieda Kernberg lebten   

Steine der Erinnerung

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Praxis, die in der Gussenbauergasse 1 eingerichtet ist, bekamen zu Weihnachten Maiers Buch geschenkt. Dass es vor dem Haus noch keine Stolpersteine für die Familie gibt, wunderte sie. Und so machte man sich gemeinsam daran, die Steine zu organisieren.

Maier kontaktierte den Verein Steine der Erinnerung, organisierte die Finanzierung und musikalische Begleitung für die Zeremonie am Donnerstag.
Das Konzept der Stolpersteine kannten die Kerns nicht, bis Lilly Maier ihnen davon erzählte. „Es ist eine Erinnerung daran, dass man gerade wo steht, wo einst jemand ein zu Hause hatte, den man zugrunde gerichtet hat“, sagt Leslie Kern.

Dass Familien zerrissen, Eltern dazu gebracht wurden, ihre Kinder ins Ungewisse zu schicken, in der Hoffnung, sie irgendwiederzusehen, das „ist für mich einer der gravierendsten Aspekte des Holocausts“, sagt Aaron Kern.

Dass nun Steine an Frieda, Hermann, Fritz und Oswald Kernberg erinnern, ist jetzt Teil dieser schon 20-jährigen Geschichte, die nur so von Zufällen strotzt. Und ziemlich sicher noch nicht zu Ende erzählt ist.