Foto-Kunstprojekt bringt häusliche Gewalt an die Wiener Ringstraße
Von Michael Huber
"Ich durfte nur noch vier Sachen machen: Atmen, Essen, Arbeiten und mit ihm Sex haben."
Diese Worte stehen auf einer Bildtafel neben einem Foto einer unspektakulären Wohnungstür. Sie stammen aus den Aufzeichnungen einer Frau, die Opfer häuslicher Gewalt wurde.
Die schlichte Kombination, die gleichwohl viele Vorstellungen anzuregen vermag, emotionalisierte scheinbar so sehr, dass sich eine Person veranlasst sah, auf die am Burgring vor der Hofburg aufgestellte Tafel einzutreten. Drei solcher Vandalenakte seien bisher passiert, sagt der Künstler Robert Fleischanderl - alle noch vor der offiziellen Eröffnung, die am Freitagvormittag in Anwesenheit von Doris Schmidauer, der Frau von Bundespräsident Alexander van der Bellen, stattfand.
Natürlich habe man vorab viel darüber nachgedacht, womit man das Publikum auf der Straße konfrontieren könne, sagt Fleischanderl. "Ich finde aber, die Wahrheit muss den Menschen zugemutet werden."
Insgesamt 14 Frauen gaben dem aus Tirol stammenden Künstler Einblicke in die Akten, die ihre Gewalterfahrungen dokumentieren - und ließen ihn zugleich ihr privates Umfeld fotografieren.
Fleischanderl richtete seine Kamera vor allem auf Details, die durch den Kontext allerdings völlig neue Bedeutung annehmen: Etwa das Fensterbankerl mit Blumentöpfen, neben dem steht: "Den Hammer hatte er da schon hergerichtet." Oder das Kuscheltier im Kinderbett, mit der Aussage kombiniert: "Anfangs schlug er mich nicht vor den Kindern. Irgendwann dann aber schon."
Zadić und Schmidauer unterstützen Projekt
Jede dritte Frau in Österreich mache Gewalterfahrungen, führte Justizministerin Alma Zadić, die mit ihrer Teilnahme an der Pressekonferenz Unterstützung für das Projekt signalisierte, aus. Sie strich hervor, dass der Schritt, häusliche Gewalt zu melden oder anzuzeigen, für viele Frauen noch immer mit Angst und Scham belastet ist.
"Die Scham muss die Seite wechseln", sagte die Ministerin, die für jedes Bundesland "Gewaltambulanzen" forderte, in denen Taten niedrigschwellig erfasst und dokumentiert werden sollen - unabhängig davon, ob eine Anzeige erstattet werde oder nicht. "Damit soll auch die Verurteilungsquote steigen." Derzeit liege diese bei sieben bis acht Prozent - oft gehen gewalttätige Männer aus Mangel an Beweisen straffrei aus.
25.000 Frauen bekamen im Vorjahr Hilfe in den österreichischen Gewaltschutzzentren, deren Bundesverband das Projekt mitträgt - initiiert wurde es vom Gewaltschutzzentrum Niederösterreich. Mit den Bildtafeln, die bis 10. Dezember auf dem Vorplatz des Wiener MuseumsQuartiers, dem Maria-Theresienplatz und dem Burgring zu sehen sind, will das Team um Fleischanderl Bewusstsein und Empathie schaffen - und alle dazu aufrufen, nicht wegzuschauen, wenn sie irgendwo häusliche Gewalt bezeugen oder auch nur vermuten.