Chronik/Wien

Ein Wahlkampf in der Eishalle

Selten hat ein Besuch eines ausländischen Staatsmannes für so viele Diskussionen im Vorfeld gesorgt. Am Donnerstag war es dann tatsächlich soweit: Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan sprach im Rahmen einer Privatvisite vor mehr als 13.500 begeisterten Fans vor und in der Albert-Schultz-Halle in Wien-Donaustadt, um seine Landsleute auf die bevorstehende Präsidentschaftswahl in der Türkei einzustimmen.

"Wir sind hier, um die Herzen zu einigen. Türkei und Österreich sind befreundete Länder", wählte der Premier moderate Worte. "Ich bin nicht hierher gekommen, um die Innenpolitik durcheinander zu bringen, ich bin Euretwegen hier", beteuerte er vor seinen Anhängern. Und an die Adresse seiner Kritiker: "Niemand muss vor einer stärkeren Türkei Angst haben." Sie sei eine Chance für die EU.

Erdogan in Wien: Die Bilder

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Frenetischer Jubel , als Erdogan selbstbewusstere Töne anschlug: "Niemand kann uns zwingen, uns für unsere Kultur und unsere Geschichte zu schämen." Seine Fans fordert er auf, sich in die Gesellschaft zu integrieren, gut Deutsch zu lernen, aber sich nicht zu assimilieren. Ähnliches hatte Erdogan vor Kurzem schon in seiner Rede in Köln gesagt.

Fahnenmeer

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Bereits am Vormittag hatte sich der Platz vor der Albert-Schultz-Halle in ein rot-weißes Fahnenmeer verwandelt. Bestückt mit türkischen Flaggen, Erdogan-T-Shirts und -Schals warteten Tausende Fans des Premiers auf Einlass in die Halle. Fanartikel wie diese gab es direkt Ort zu kaufen. Für den 28-jährigen Gastronomen Murat P. ist Erdogan "eine Legende. Seine Taten sind mit denen von Kennedy vergleichbar, er ist wichtig für die ganze Welt." Ezra Köken reiste extra aus Tirol an. Die Studentin ist froh, dass es Erdogan gibt: "Er hilft dem ganzen Land."

Zu Mittag öffneten sich dann die Tore der Halle. Aufgrund der rigiden Sicherheitskontrollen ging es allerdings nur sehr schleppend voran, was die Wartenden mit Pfiffen quittierten.

Vielen Erdogan-Fans gelang es nicht mehr, in die Halle zu kommen. Sie mussten die Rede des Premiers über die Videowände im Freien verfolgen. Letztlich waren es aber statt der erwarteten 10.000 nur rund 6000.

Auch jene 7500, die es in die Halle schafften, wurden auf eine harte Geduldprobe gestellt: Denn die Rede Erdogans wurde ursprünglich für 14 Uhr angekündigt. Doch der Privatjet mit dem Premier an Bord setzte erst um 13.30 Uhr in Schwechat auf. Mit Erdogan-Gesängen vertrieben sich seine Anhänger die Wartezeit. Es sollte schließlich bis 15.30 Uhr dauern, bis der Wahlkämpfer endlich die Bühne betrat.

Nach seiner Rede traf Erdogan knapp vor 19 Uhr im Grand Hotel an der Ringstraße ein. Das Hotel glich einem Hochsicherheitstrakt, Polizei und zahlreiche gepanzerte Limousinen standen vor dem Eingang.

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Während in der Donaustadt Erdogans Fans feierten, formierten sich in der City seine Gegner: Der "Verein zur Förderung des Gedankenguts Atatürks in Österreich" rief zur Protestkundgebung auf und zog von der Oper zum Sigmund-Freud-Park. "Erdogans Mission lautet, die säkulare, demokratische Türkei in einen faschistischen Islamstaat umzuwandeln", kritisiert Obmann Murat Barlan.

Ramazan Akpinar (31) kam eigens aus Wiener Neustadt angereist, um gegen die türkische Regierung zu protestieren: "Sie unterstützt terroristische Organisationen, wie aktuell in Syrien", meint er.

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Unter den Demonstranten fanden sich auch Nicht-Türken: "Mir gefällt nicht, wie Erdogan über die Opposition drüber fährt. Und seine Facebook- und twitter-Verbote sind undemokratisch", empört sich etwa der Wiener Erwin Kapl. Die Demo zählte laut Polizei rund 350 Teilnehmer. Deutlich mehr im Fokus der rund 1000 Polizisten stand die Demo des "Demokratischen Bündnisses gegen Erdogan", die mit mehr als 7500 Teilnehmern vom Praterstern zum Donauzentrum zog. Laut Mitorganisatorin Derya Aybay (28) von der Föderation der Aleviten-Gemeinden in Österreich waren mehr als 40 linke Gruppierungen daran beteiligt.

Bei der Reichsbrücke warf ein Randalierer in einem Restaurant eine Flasche durch das Fenster nach den Demonstranten. Die WEGA setzte Pfefferspray ein und nahm den Mann fest. Beim Donauzentrum – unweit der Albert-Schultz-Halle – ließ die Polizei zwar kein Zusammentreffen mit den Erdogan-Fans zu. Auf dem Heimweg kam es aber zu einigen Schlägereien und Sachbeschädigungen. Polizeisprecher Roman Hahslinger berichtet von 14 Festnahmen wegen Widerstands gegen Staatsgewalt und Aggressionen, einem leicht verletzten Polizisten und ein paar eingeschlagenen Autoscheiben. Auf der Wagramer Straße gab es eine kleine Sitzblockade der Erdogan-Gegner.

"Die Bilder, die ich gesehen habe, zeigen: Erdogan hat den türkischen Wahlkampf nach Österreich getragen", sagte Außenminister Sebastian Kurz nach der Rede des türkischen Premiers, die dieser gestern in Wien-Kagran gehalten hatte. Der Regierungschef aus Ankara habe "für Unruhe in unserem Land gesorgt", so der Ressortchef bei einer Pressekonferenz, "Respekt vor dem Gastland schaut anders aus". Hintergrund: Im August wählt die Türkei einen neuen Staatschef. Erstmals wird dieser direkt vom Volk bestimmt, und erstmals müssen Auslandstürken zur Stimmabgabe nicht in ihre Heimat reisen. Es gilt als offenes Geheimnis, dass Erdogan zu diesem Urnengang antreten wird.

Kurz war während des Erdogan-Auftritts im Wiener Außenamt mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier zusammengetroffen. Neben der Ukraine- und Iran-Krise ging es dabei auch um den "privaten Besuch" des türkischen Premiers in Wien (in Deutschland trat dieser unter ähnlichen Umständen zu Beginn des Monats auf). "Auch wir wünschen uns, dass Erdogan Worte findet, die das Zusammenleben von Deutschen und Türken fördern", betonte Steinmeier, der auch das wiederholte, was er im KURIER-Interview gesagt hatte: "Die Türkei ist nicht immer ein leichter Partner. Manche Entwicklungen, etwa im Bereich der Rechtstaatlichkeit, können uns nicht zufrieden machen."

Für heute sei ein Treffen zwischen Kurz und Erdogan geplant, ließ der österreichische Außenminister wissen. Sollte es zustande kommen, "werde ich unseren Standpunkt zu Integrationsfragen klarmachen. Zudem gibt es weitere Themen: Den Einfluss der Türkei im Religionsbereich, aber auch Themen wie Meinungsfreiheit und Menschenrechte in der Türkei."