Chronik/Wien

Eine Nacht ganz unten in der Gruft

Wer einen Euro hat und seinen Namen nennt, darf bleiben. Wer kein Geld hat und einen falschen Namen nennt, auch. „Wie heißen Sie?“, fragt die Sozialarbeiterin den Neuen bei der Mattenausgabe.

Es ist Dienstagabend, 22 Uhr. Rastlose Gestalten, vom Leben auf der Straße Gezeichnete und von plötzlicher Wohnungslosigkeit Betroffene steigen einer nach dem anderen hinab in die Gruft. Während das geschäftige Treiben auf der Mariahilfer Straße zur Ruhe kommt, herrscht Leben in dem fensterlosen Kellergewölbe. Dicke Rauchschwaden hängen in der Luft. Es riecht nach Zigaretten, die hier im Akkord geraucht werden, nach ungewaschenen Leibern und nach kaltem Kaffee. So ist es an diesem Abend. So ist es an 365 Tagen im Jahr. 24 Stunden am Tag.

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Es kann jeden treffen

Es sind viele junge Menschen gekommen, um hier zu essen oder zu übernachten. Draußen hat es wenige Grad über null, der Keller ist gut beheizt. Ein junger Mann erzählt von seiner jahrelangen Drogensucht, die er bewältigt zu haben hofft. Ein eng umschlungenes Paar, dessen letzter Druck durch die Nadel nicht lange zurückliegen dürfte, nickt anerkennend. Es kommen Alkoholiker, trockene Alkoholiker und Drogenkranke in das Kellergewölbe. Auch Gesichter, die man hier unten nicht vermuten würde, trudeln ein. Am Ende des Abends werden es 78 Menschen sein. Armut, das wird hier unten deutlich, kann jeden treffen. Jederzeit.

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„Brauchen Sie einen Überzug für die Matte?“, fragt die Caritas-Mitarbeiterin den Neuling mit dem falschen Namen, als sie die von der täglichen Desinfektion noch feuchte Isomatte überreicht. „Ja, bitte.“

Die Gesetze der Gruft

Auch in der Gruft gibt es Gesetze. Es sind wenige, aber strenge Regeln. Wer Hunger hat, sollte pünktlich sein. Wer „fett“ – also betrunken – ist, der muss gehen. Kein Alkohol und keine Streitereien. „Bei Zuwiderhandlung sieben Tage Aufenthaltsverbot“, heißt es auf einem Schild, das gut sichtbar über der Essensausgabe prangt. Es ist 22.30 Uhr, als ein Mann aufgefordert wird, das Gewölbe wieder zu verlassen. „Bist ang’soffn?“, fragt eine junge Frau verständnisvoll. Der Mann nickt schuldbewusst – und geht ohne ein Wort des Widerspruchs.

„Es riecht nach Zigaretten, nach ungewaschenen Leibern und nach kaltem Kaffee.“


Zwei Sozialarbeiter schupfen nachts den Laden. Ihre Stimmen haben Gewicht. Wie diszipliniert die Besucher sind, wird um 21.45 Uhr deutlich. Unaufgefordert und wie von unsichtbarer Hand geführt erheben sich die müden Gestalten plötzlich. Sie stapeln die Stühle, auf denen sie gerade noch gesessen sind, sie verrücken Tische, leeren Aschenbecher und kehren den Boden. Das Nachtlager wird bereitet. Eine gepflegte Frau mit schlohweißem Haar versucht, ihren Platz sauber zu halten, Ordnung im Chaos zu schaffen. Begehrte Plätze befinden sich in den Ecken des Raums, im Schutz von Säulen oder unterhalb gestapelter Tische. „Stammplätze gibt’s keine“, sagt ein Sozialarbeiter. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Finster, aber laut

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So war es in jener Nacht von Dienstag auf Mittwoch. So ist es hier an 365 Tagen im Jahr. 24 Stunden am Tag. Außer kommenden Donnerstag. Da bleibt die Gruft „wegen Desinfektionsarbeiten von 7.30 Uhr bis 10 Uhr geschlossen“.

SPENDE RZB 404050050, BLZ 31.000, „Winterpaket“
*Eine Mitarbeiterin der Gruft war informiert.