Chronik/Wien

Ein Tierheim nur für Reptilien: Zu Besuch bei Pracht-Echsen-Plaren

Isidor ist unbestechlich. Kein gutes Zureden, keine Verlockung in Form einer süßen Feige überzeugt ihn, sich dem Fotografen zuzuwenden. Schließlich öffnet Tierpflegerin Judith Kastenmeier die Tür des Geheges und hebt ihn vorsichtig heraus. Ihr vertraut er, daher bleibt er ruhig. „Fremde könnte er beißen“, warnt sie. „Dann ist locker ein Finger ab. Auch wenn er ihn dann ausspuckt, weil er Vegetarier ist.“

Isidor, ein prächtiger Grüner Leguan, lebt im Tierheim „Blauer Kreis“: Diese Pflegestation gibt es seit 1992, hier finden beschlagnahmte oder ausgesetzte Reptilien ein neues Zuhause. 365 Tage im Jahr kümmert sich Judith Kastenmeier um die rund 30 Tiere, die in einem kleinen, stickig-schwülen Raum im 6. Stock des Haus des Meeres untergebracht sind.

Für „ein paar Selfies“

Warum Reptilien in einem Heim landen? Oft werde die Anschaffung nicht gut überlegt: „Viele bedenken nicht, dass man mit einem Tier die Verantwortung für ein Lebewesen übernimmt“, erzählt die Tierpflegerin. „Die hängen sich eine Schlange um den Hals und machen ein paar Selfies. Dann wird sie ihnen langweilig.“

Im besseren Fall werde das Tier ins Tierheim gebracht. Im schlechteren ausgesetzt: „Herzlos entsorgt, in der Mülltonne, oder in den Schnee gesetzt.“

Keine Kuscheltiere, aber sensibel

Oft mangle es auch an Wissen über das Wesen der Tiere. „Reptilien sind keine Kuscheltiere, dennoch binden sie sich an Menschen“, so Kastenmeier. Isidor verstehe seinen Namen und auch Wörter wie „Feige“. „Weil er die so gerne frisst“, fügt sie hinzu und lacht.

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Generell seien Leguane sensibel und stubenrein und könnten sogar lernen, durch Katzenklappen ein- und auszugehen. Doch ein- bis zweimal jährlich spielen bei den Männchen die Hormone verrückt: In der Zeit zeigen sie ein starkes Revierverhalten und werden „ungemütlich“, wie es die Expertin ausdrückt. „Dann bekommen wir Anrufe wie: ‚Hilfe, mein Leguan lässt mich nicht mehr in die Wohnung‘.“ Auch in solchen Fällen landen die Tiere letztlich oft im Heim.

Bei schlechter Haltung werden sie auch von der Behörde abgenommen: Wie etwa eine Kornnatter, die in einem winzigen Behälter leben musste und bei Partys als skurriles Mitbringsel herumgereicht wurde.

Ein kleines Weihnachtswunder

Oder eine Bartagame, deren Besitzer das Terrarium samt Tier auf dem Boden der Toilette abstellten und ihr kein Futter mehr gaben. Oder auch eine kleine Perleidechse. „Die kam zu Weihnachten vor vier Jahren zu uns. Damals hat sie nur noch drei Gramm gewogen und wäre fast gestorben“, erzählt Kastenmeier. Doch sie habe sie aufgepäppelt. Die Eidechse ist nun wohlauf und trägt den Namen „Weihnachtswunder“. Jetzt muss sie nicht mehr hungern: „Wenn sie mehr zu fressen möchte, beißt sie mich leicht in den Finger.“

Und dann gibt es natürlich noch die Tiere, die aufgrund von Geldmangel abgegeben werden (müssen). Zuerst kam Corona, viele verloren ihren Job. Aktuell sind es oft die hohen Energiepreise. Aber meistens, erzählt die resolute Tierpflegerin, liege es letztlich am mangelnden Verantwortungsbewusstsein der Menschen.

„Zwei alte Vogelspinnen“

Ob Montag oder Feiertag, ob zu Weihnachten oder mit Gipsbein: Kastenmeier ist täglich bei „ihren“ Tieren. Haustiere habe sie „nur noch zwei alte Vogelspinnen“. Früher war sie Künstlerin, sie arbeitete in einer Galerie. Aber „Idealismus und Liebe zu Tieren“ führten sie zu ihrer Berufung als Tierpflegerin. Aufgrund ihrer Leidenschaft für Spinnen wurde sie übrigens auch schon gerufen, wenn auf einer Bananenstaude eine verdächtige Spinne gesichtet wurde. „Ich weiß gar nicht, wie viele Supermärkte ich schon durchsucht habe“, erzählt sie. „Aber eine giftige Spinne war noch nie dabei.“

Blinde Passagiere

Aber dann gibt es auch noch die heiteren Begebenheiten: Während des Besuchs des KURIER klopft es an der Tierheim-Tür. Ein Mitarbeiter des Haus des Meeres überreicht ein kleines Glas – darin sitzt ein Einsiedlerkrebs samt Schneckenhaus. „Das hat einer unten bei der Kassa abgegeben“, erklärt er. So etwas komme immer wieder vor, erzählt Kastenmeier: „Die Leut’ meinen das gar nicht böse. Die glauben, dass sie eine schöne Muschel mitnehmen. Zu Hause kommen sie drauf, dass es ein bewohntes Schneckenhaus ist.“

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Oder auch die Geschichte der Schwarznarbenkröte, die als blinder Passagier aus Thailand nach Österreich einreiste. Als kleines Tier dürfte sie sich in einem Handtuch versteckt haben. Als der Urlauber in Wien den Koffer auspackte, saß plötzlich eine Kröte auf dem Parkettboden: „Bei uns ist sie groß geworden“, sagt Kastenmeier.