Chronik/Wien

Prozess: Ein Sackerl mit 80.000 Euro Inhalt und viele offene Fragen

Geht es nach dem Staatsanwalt, ist die Sache im Landesgericht für Strafsachen in Wien klar: Der Angeklagte hat am 11. April des Vorjahres in Wien einen Mann von hinten attackiert, ihm Pfefferspray in die Augen gesprüht und ihm ein Plastiksackerl entrissen, in dem sich 80.000 Euro (für den Kauf eines Lokals, Anm.) befanden.

Doch diese Darstellung bröckelt am Mittwoch sehr schnell. Der mutmaßliche Räuber: ein 22-jähriger Syrer. „Der Prototyp eines integrierten Flüchtlings“, wie sein Anwalt Michael Dohr betont. „Er ist 2015 nach Österreich gekommen, hat sehr gut Deutsch gelernt und hatte einen Job. Er stand mitten im Leben.“ „Ich sehe nicht wie ein Krimineller aus, oder? Ich bin ganz sauber“, beteuert auch der Beschuldigte.

Dass die Anklage wegen schweren Raubes Lücken hat, wird sehr schnell klar: Zum einen gibt es unterschiedliche Angaben, wann der Raub passiert ist. Von 18.20 Uhr bis 18.32 Uhr gehen die Darstellungen. Doch in diesem Fall sind die Minuten wichtig. Denn es geht darum, wann das Handy des Angeklagte in einer bestimmten Funkzelle eingeloggt war.

Ein Umstand, der für Verwunderung sorgt: Das Opfer hatte das Sackerl mit dem wertvollen Inhalt  nur 200 Meter von Abholort zur Öffi-Station gebracht. „Der Täter muss das Opfer gekannt haben. Es wäre ein zu großer Zufall, dass der Mann von einem Fremden überfallen wird, wenn er so viel Geld im Sackl hat“, stellt Anwalt Dohr fest.

Die seltsame Rückkehr des Sackerls

Ein weiteres Kuriosum: Kurz nach dem Raub des Sackerls mit dem wertvollen Inhalt wurde es auch wieder zurückgebracht – konkret vor die Wohnungstür des Raubopfers. Sogar ein Großteil des Geldes war noch da. Genau 74.520 Euro.

Als das Opfer den Angeklagten im Gerichtssaal trifft, begutachtet er ihn, sagt schließlich: „Ich denke nicht, dass er das war. Der Täter war groß und schlank und dunkelhäutig.“ Der Angeklagte entspricht diesem Bild nicht.

Auch eine Zeugin, die die Polizei verständigte, ist ratlos: „Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen“, beteuert sie der Richterin. Eine Aufnahme einer Überwachungskamera zeigt, dass der Täter eine Hose mit Streifen trug – so eine wurde beim 22-jährigen Syrer allerdings nie gefunden.

"Argumentationsspielraum"

Das einzige Indiz, dass den Angeklagten schlussendlich belastet, ist eine DNA-Spur auf der Jacke des Opfers. Doch diese Jacke trug auch ein Cousin.

Schließlich gibt sogar der Staatsanwalt zu: „Das ist ein spannender Fall mit Argumentationsspielraum in alle Richtungen.“

Für die Richterin ist die Richtung klar: Freispruch im Zweifel und sofortige Enthaftung; nicht rechtskräftig.