Drag Queen führt durchs Museum: Mit Stolz gegen Vorurteil
Von Julia Schrenk
Es war einmal eine junge Frau, die der heidnische König von Portugal verheiraten wollte. Die junge Frau aber wollte das nicht und betete zu Gott, er möge sie beschützen, sodass der König von ihr ablässt.
Über Nacht wuchs ihr ein Bart.
Die Heilige Kümmernis, eine katholische Volksheilige im Mittelalter, gilt als „Befreierin der Frauen“. Aus dem Verzeichnis der katholischen Heiligen wurde sie einst gestrichen, im Wiener Kunsthistorischem Museum lebt sei weiter – als Drag Queen.
Aufwendig geschminkt, mit toll frisierten Haaren und feinstem Stoff schreitet die Tiefe Kümmernis „mit einem Selbstverständnis“ – wie sie sagt – und einer Gruppe von ungefähr 50 Personen durch das kaiserliche Gemäuer. Die Blicke der übrigen Museumsbesucher sind ihr sicher. „Meine Präsenz ruft einen Bruch hervor und der ist ja auch intendiert.“
Drag-Queen-Führung
Seit knapp drei Jahren führt die Tiefe Kümmernis durch das Kunsthistorische Museum. Während der EuroPride – Europas größtem Festival für die LGBTIQ-Community (LGBTIQ ist Englisch und steht für lebisch, schwul, bisexuell, transgender/transsexuell, intersex und queer, Anm.), das heuer in Wien stattfindet – gibt es ein spezielles Programm (siehe Ende des Textes).
Mit bürgerlichem Namen heißt die Kümmernis Benjamin, ist studierter Kunsthistoriker und arbeitet als Kunstvermittler im Kunsthistorischen Museum.
„Die Geschichte war nicht nur heterosexuell“, sagt die Kümmernis. Keine Zeit, in der Frauen ausschließlich „richtige Frauen“ und Männer ausschließlich „richtige Männer“ waren. „Auch in der Vergangenheit gab es schon queere Lebensweisen.“
Gleichgeschlechtliche Liebe etwa gab es im antiken Griechenland und Rom, der Hermaphroditus ist die bekannteste intergeschlechtliche antike Sagenfigur, die Travestie ist in der Geschichte von Hercules und Königin Omphale ein Thema. Hercules schlüpft darin in die Kleider Omphales. Kein Museum in Wien scheint sich also besser für eine Drag-Queen-Führung zu eigenen, als das Kunsthistorische.
Trotzdem sei es ein „totaler Clash“. Aber: „Wenn eine wild aussehende Drag Queen durchs Kunsthistorische Museum stolziert, dann ist das ein Moment der Demokratisierung.“ Es geht um Sichtbarkeit – nicht nur zur EuroPride.
Boylesque Festival
Um Sichtbarkeit geht es auch beim Vienna Boylesque Festival (siehe Ende des Textes), das heuer am 23. und 24. Mai im Stadtsaal stattfindet. Zum bereits sechsten Mal veranstaltet es Jacques Patriaque.
Nicht nur der Boylesque-Performer Jacques hat sich international einen Namen gemacht, sondern auch das Festival. Es war das erste dieser Art in Europa. Mittlerweile hat es sich etabliert. Sogar in den Guides von Monocle wird es aufgelistet. „International schaut man auf das kleine Wien“, sagt Jacques.
Boylesque ist die männliche Variante des Burlesque; eine Kunstform, bei der sich Frauen mit Charme, Witz und Erotik ausziehen. Aber beim Boylesque Festival geht es um mehr, sagt Jacques: „Es geht um Inklusion. Darum, dass jeder das Recht hat, zu sein wie er ist.“ Egal, welches Geschlecht, egal welche Körperform, egal welche Sexualität.
Beim Festival treten internationale Größen der Szene mit unterschiedlichen Showeinlagen auf. Heuer gibt es erstmals eine Performance einer Rollstuhlfahrerin. Auch Conchita – konkret das Projekt „Wurst“ – feiert mit.
Mehr Toleranz
Conchita hat – wie auch das Festival – für mehr Toleranz gesorgt. Auch innerhalb der LGBTIQ-Community. Die war laut Jacques vor einigen Jahren noch stark separiert, mittlerweile ginge es mehr um das Gemeinsame.
Der Stadtsaal, in dem das Vienna Boylesque Festival seit seinem Bestehen gastiert, habe jedenfalls – genauso wie das Kunsthistorische Museum mit seiner Drag-Queen-Führung – einen „Meilenstein“ geschafft. „Ich applaudiere für deren Mut, zu sagen: Wir schmeißen jetzt auch etwas Buntes in den Topf.“
Das Boylesque Festival habe lange nach einer passenden Location gesucht. „Weil uns manche nicht haben wollten“, erzählt Jacques. Dass das Festival nun seit mittlerweile fünf Jahren fix im Stadtsaal stattfindet, freue ihn deshalb umso mehr.
KHM: Von Hinterteilen und Hermaphroditen
Ab Samstag, 1. Juni, startet im Kunsthistorischen Museum das Programm zur EuroPride. Die große Veranstaltung der LGBTIQ-Community findet jedes Jahr in einer anderen europäischen Stadt statt – heuer von 1. bis 16. Juni in Wien. Veranstaltet wird es von der Stonewall GmbH.
„A Brief History of Butts“ („Eine kurze Geschichte der Hinterteile“, Anm.), „Drag Queen trifft Alte Meister – Queer sein in Renaissance und Barock“ oder „Begierde, Lust und Fruchtbarkeit“ heißen die Führungen, die im Kunsthistorische Museum stattfinden. Nicht nur, aber auch von Drag Queen Tiefe Kümmernis.
Auch das Theater- und das Weltmuseum haben zum Fest der Toleranz ein queeres Programm. Montag, 3. Juni, feiert das Kunsthistorische einen „Pride Day“ mit zahlreichen Aktivitäten; Freitag, 6. Juni, das Weltmuseum.
Die EuroPride kooperiert auch mit Albertina, Universität, Gartenbaukino oder Tiergarten Schönbrunn. Neben der Regenbogenparade auf dem Ring gibt es den EuroPrideRun, das EuroPrideVillage am Rathausplatz sowie den EuroPridePark im Sigmund-Freud-Park. Im Rathaus findet die größte LGBTIQ-Konferenz Österreichs statt.
Vienna Boylesque Festival: Fest der Inklusion
Dita von Teese kennt man – sie ist wohl eine der berühmtesten Burlesque-Tänzerinnen. Burlesque ist die Kunst, sich mit Charme, Witz und Humor erotisch auszuziehen. Bei Boylesque übernehmen das Männer.
Seit dem Jahr 2014 veranstaltet Jacques Patriaque das Vienna Boylesque Festival im Stadtsaal auf der Mariahilfer Straße. Heuer findet es unter dem Motto „Love is love“ von 23. bis 24. Mai statt.
„Bei uns stehen nicht die Nackerpatzerln im Vordergrund, sondern viel eher das Spiel mit Klischees“, erklärt Veranstalter Jacques. 40 internationale Größen der Szene treten in diesem Jahr auf, um mit Tanz, Akrobatik, Gesang und Varieté Geschichten zu erzählen.