Chronik/Wien

Bettler tagelang ohne Essen an Baum angebunden

Für den rumänischen Bettler-Clan war der körperlich schwerbehinderte Mann eine Goldgrube. Bis zu 1000 Euro verdiente er täglich beim Betteln auf Wiener Einkaufsstraßen. Wenn er nicht spurte, schreckten die Männer auch vor Folter nicht zurück. "Sie haben ihn in Rumänien an einen Baum gebunden, ohne Wasser und Nahrung. Er hat schwere Organschäden", sagt Gerald Tatzgern, Chef der Zentralstelle für Schlepperkriminalität und Menschenhandel im Bundeskriminalamt (BK).

Prozess

Der 33-Jährige saß jahrelang täglich auf der Straße. Bei jedem Wetter. Geld blieb ihm keines. In wenigen Monaten ist dieser Mann ein wichtiger Zeuge in einem Menschenhandelsprozess in Wien. Denn 13 Täter konnten ausgeforscht werden, drei davon sind in U-Haft.

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1100 Bettler aus Rumänien waren laut Bundeskriminalamt im Vorjahr in Wien im Einsatz, 430 wurden wegen organisierter Bettelei angezeigt. Denn damit ließe sich gutes Geld verdienen – speziell für die Hintermänner, die eine straffe Organisation geschaffen haben sollen. "Sie haben ein eigenes Transportsystem, eine Art Linienverkehr eingerichtet", sagt Tatzgern. Zumindest zwölf Fahrer seien auf der Route BukarestWienBerlin unterwegs. Welcher Bettler wo eingesetzt wird, sei genau eingeteilt. Ebenso, wo sie untergebracht werden.

Und zwar in heruntergekommenen Wohnungen. Auf 45 bis 50 Quadratmetern wohnten laut BK 40 Personen. In einem Haus, in dem 47 Menschen gemeldet waren, lebten 220. "Sie zahlen 130 Euro pro Matratze und Wohnung", sagt Tatzgern. 77 derartige Wohnungen in Wien sind den Ermittlern bekannt. Sie arbeiten seit Juli 2013 gezielt an dem Thema, der Name der Arbeitsgruppe: ARGES – so heißt auch jene rumänische Region, aus der ein Großteil der Bettler kommt. Neben Wien ist auch der Speckgürtel in NÖ ihr Ziel; speziell der SCS-Parkplatz. Dort betätigen sich die Bettler als Parkplatz-Einweiser. "Auto schön", sagen sie dann dem Autofahrer und halten die Hand hin.

Gemeinsam mit der Caritas werde nun ein Modell erarbeitet, Österreich für die Banden uninteressant zu machen. "Wir arbeiten an Gutscheinen, die man Bettlern statt Münzen geben kann", sagte Tatzgern. Dafür soll es Essen oder Kleidung geben.

Caritas distanziert sich

Die Caritas dementierte umgehend, dass es einen solchen Plan gibt. Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien: "Herr Tatzgern spricht von einem geplanten gemeinsamen Projekt mit der Caritas, das es nicht gibt." Es habe am vergangenen Donnerstag lediglich ein Erstgespräch mit dem Bundeskriminalamt gegeben, die Caritas stehe einem Gutschein-Projekt aber sehr skeptisch gegenüber.

Angebote wie eine warme Mahlzeit beim Canisibus, Kleiderausgabe in den carlas oder medizinische Betreuung beim Louisebus "sind alles Caritas-Angebote für armutsbetroffene Menschen, die schon heute kostenlos, dank der Unterstützung unzähliger Spenderinnen und Spender, sowie in enger, guter Zusammenarbeit mit der Stadt Wien angeboten werden können", sagte Schwertner. "Vom Betteln wird niemand reich. Hören Sie auf, die Bevölkerung zu verunsichern und Bettler zu kriminalisieren!", appellierte Schwertner an Tatzgern.

Übrigens: Der 33-Jährige, der Hauptbelastungszeuge im Menschenhandelsprozess sein wird, genießt auf Lebenszeit Zeugenschutz. Er ist in einer Männerbetreuungsstelle untergebracht.