Chronik/Wien

Ärger über boomende Drogenszene in Ottakring

Einst abgestempelt als Bastion der Armen und Arbeiter, gilt Ottakring mittlerweile als schick: Dank Brunnenmarkt und Yppenplatz hat der 16. Bezirk im Westen Wiens den Ruf, jung und multikulturell zu sein. Derzeit beschweren sich jedoch immer mehr Ottakringer über Drogendealer in ihrem Wohngebiet. Bezirksvorsteher Franz Prokop (SPÖ) bestätigt: "Da brauchen wir gar nicht drum herum reden." eMails dazu erhalte er "täglich". Der KURIER unternahm einen Rundgang mit einem Bewohner des Grätzels.

Mit hochgeschlagenem Mantelkragen und Kopfhörern erscheint Jus-Student Christian N. beim Treffpunkt, der U-Bahn-Station Josefstädter Straße. Anders bekleidet gehe er kaum noch außer Haus: "Damit mich keiner anredet", erklärt er. "Nur nützt es meistens leider nichts." 2010 zog er ins Brunnenviertel. Seitdem, sagt er, werde das Leben dort immer unbequemer. Seinen Nachnamen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen: "Immerhin bin ich ständig hier unterwegs."

"Stehen jeden Tag hier"

Er deutet in Richtung einiger Menschen beim Eingang der U-Bahn-Station: "Die stehen jeden Tag hier und fragen Passanten, ob sie Drogen wollen." Das mit dem Nicht-angeredet-Werden funktioniert übrigens auch diesmal nicht so recht: Binnen weniger Minuten erscheint ein Herr, der mehrmals nachdrücklich Kleingeld fordert.

Folgt man dem Fuß- und Radweg entlang des Gürtels in Richtung Thaliastraße, erblickt man einige Männer, zumeist dunkler Hautfarbe, die scheinbar zielstrebig in eine Richtung marschieren – nur um nach einigen Minuten in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Im Vorbeigehen sprechen sie Passanten an. "Hier bin ich öfters gefragt worden, ob ich Drogen kaufen möchte", behauptet N.

Biegt man nach Ottakring ein, erreicht man innerhalb weniger Gehminuten den Brunnenmarkt. Auf den ersten Blick wirkt er durchaus einladend: Neben Kleidung in allen Farben und Formen türmen sich Obst, Gemüse und Käse. Doch auf den schmalen Gehsteigen zwischen den Marktständen und den Hausfassaden erblickt man sie auch hier: Männer, die trotz bitterer Kälte unablässig die Straße hinauf und hinunter marschieren.

An der Ecke liegt ein Blumengeschäft. Inhaberin Ilse Weiser ist verärgert: "Jeden Tag gehen hier Dealer auf und ab." Ab dem Vormittag seien sie unterwegs. "Ab zirka 16 Uhr sind es besonders viele", ergänzt ihr Ehemann Johann Weiser. Einmal habe ein Dealer gar Spritzen in den Blumenstöcken vor dem Geschäft versteckt: "Da bin ich narrisch geworden", sagt Ilse Weiser. Seitdem wende sie sich regelmäßig an die Polizei.

Tatsächlich kann man es durch die Glastür des Geschäfts beobachten: Ein Mann mit hellgrauer Jogginghose und ein anderer mit gelbgrüner Jacke gehen alle paar Minuten am Laden vorbei. Draußen wird es dunkel, der Jogginghosenträger ist schließlich erfolgreich: Ein junger Mann spricht ihn an, wie zufällig spazieren sie gemeinsam in eine der Seitengassen und verschwinden aus dem Blickfeld.

Wirklich gefährlich scheint es auf der Straße freilich nicht zu sein. Die Geschäftsfrau und der Student geben jedoch zu bedenken, dass es viele Menschen verunsichere, permanent angesprochen zu werden. "Drei bis vier Kunden beschweren sich täglich bei mir. Außerdem bieten sie auch jungen Menschen Drogen an", ergänzt die Blumenhändlerin.

"Priorität eins"

Bezirkschef Franz Prokop betont, dass die Aufwertung in Ottakring grundsätzlich sehr gut funktioniert habe – immerhin wurden 60 Millionen Euro investiert. Dennoch habe es "Priorität eins", das aktuelle Problem zu beheben. "Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen", betont Prokop. Er vermutet, dass eine Liberalisierung des Strafgesetzes mitunter zur derzeitigen Situation beitrug.

Hintergrund

Wurde ein Straßendealer nämlich früher mit Drogen erwischt, reichte das in der Regel für den Vorwurf der Gewerbsmäßigkeit aus. Nach der ersten Anhaltung verließen Drogendealer häufig freiwillig die Szene. Seit 1. Jänner gilt jedoch eine neue Gesetzeslage: Gewerbsmäßigkeit liegt erst dann vor, wenn nicht nur eine Tat, sondern auch zwei weitere konkret geplant oder begangen wurden. Anders formuliert: Ein Verdächtiger muss drei Mal angehalten werden, bevor Untersuchungshaft verfügt werden kann.

Die FPÖ etwa kritisiert via Aussendung das Versinken im "Drogen-Sumpf" und fordert eine dauernde Polizei-Präsenz an den Brennpunkten. Seitens der Polizei betont man, seit einem Jahr ohnehin "massiv verstärkt" im Grätzel präsent zu sein: "Beamte sind täglich vor Ort, und auch Suchtgiftspürhunde sind im Einsatz", erklärt Polizeisprecherin Michaela Rossmann.

Die Grünen wiederum betrachten "mehr Law-and-Order" als nicht zielführend: "Da verlagert sich die Szene nur an einen anderen Ort. Wir sind unter anderem für mehr Sozialarbeiter", sagt Joachim Kovacs.

Bezirksvorsteher Franz Prokop (SP) hat jedenfalls für Anfang Februar einen gemeinsamen Gipfel mit der Polizei angekündigt. Dort sollen weitere Strategien zur Lösung des Problems erarbeitet werden sollen.