Abschiebung zeigt groteskes Fremdenrecht auf
Von Martin Gantner
Sie ist 12 Jahre alt, Klassenbeste in Deutsch und sehr gut integriert – trotzdem soll Leonesa in den Kosovo abgeschoben werden. „Ich habe Angst. Ich will das alles nicht verlieren“, sagt Leonesa. „Was hab ich denn falsch gemacht?“ 500 Wienerinnen und Wiener – Schulkollegen und Bekannte, Lehrerinnen und Nachbarn – suchen seit zwei Monaten verzweifelt nach einer Antwort auf diese Frage. Sie alle sprechen sich mit ihrer Unterschrift gegen die Abschiebung des Mädchens aus.
Leonesa Mujaj, zwölf Jahre alt, in einem kleinen Dorf im Kosovo geboren und im Alter von sieben Jahren mit ihren Eltern nach Wien geflohen, muss das Land verlassen. Der Asylgerichtshof stellt in seinem Urteil vom 12. Oktober nüchtern fest, dass es im Falle des Mädchens „keine Hinweise auf substanzielle und nachhaltige Integrationsbestrebungen“ gebe.
Dieses Urteil überrascht. Dass Leonesa akzentfrei Deutsch spricht, dass sie in Wien ihre Freunde gefunden hat und im Kosovo niemanden mehr kennt, dass sie zu den fleißigsten Schülerinnen ihrer Klasse zählt – all das lässt die Behörden scheinbar unberührt. Familie Mujaj muss „innerhalb von 14 Tagen ausreisen“, heißt es in dem Vier-Seiten-Urteil.
Zweifelhaftes Vorgehen
Seit der ORF den Fall publik gemacht hat, ist die Entrüstung groß. „Ich bin zutiefst betroffen und fassungslos“, sagt Sylvia Floch, Leonesas Lehrerin an der Karl-Popper-Schule im 15. Bezirk. „Zu behaupten, das Mädchen sei nicht bestrebt, sich zu integrieren, ist absurd. Leonesa ist Klassenbeste in Deutsch. Wären alle meine Schüler wie sie, hätte ich weniger graue Haare.“
Der Anwalt der Familie, Andreas Lepschi, ist ebenfalls sauer. Nicht nur, dass beide Eltern fixe Jobzusagen haben, die Höchstrichter hätten sich in einer mündlichen Verhandlung auch ein persönliches Bild von der Integrationsbereitschaft des Kindes machen können. Taten sie aber nicht. „Es gab keine weitere
Beweisaufnahme, obwohl diese von mir beantragt wurde“, sagt Lepschi.
Der KURIER konfrontierte den Asylgerichtshof mit der Frage, warum keiner der Richter mit dem Kind gesprochen hat. Zum einen sei „in einer Gesamtabwägung“ festgestellt worden, dass bei den Eltern keinerlei politischer Fluchtgrund vorliege, sagt eine Sprecherin. „Und eine zwingende mündliche Verhandlung ist vom Gesetz nicht vorgesehen.“
Gesetzesänderung notwendig? „Dieser Fall zeigt deutlich, dass wir endlich mehr Rechtsstaatlichkeit brauchen“, kontert Caritas-Sprecher Klaus Schwertner. Er fordert die vollständige Verankerung der Kinderrechtskonvention in der Verfassung. Michael Genner von Asyl in Not ergänzt: „Auch beim Asylgerichtshof müssen mündliche Verhandlungen verpflichtend sein. Dann wäre ein solches Urteil nicht möglich.“
Das schwarze Innenministerium erklärt sich in der Sache nicht zuständig – der Asylgerichtshof ressortiere im roten Bundeskanzleramt. Auch dort hält man sich bedeckt. Ein konkretes Urteil unabhängiger Richter werde nicht kommentiert. Ob darüber hinaus aber nicht eine gesetzliche Änderung der Verfahrensordnung nötig wäre, damit Kinder wie Leonesa gehört werden? „Eine solche Änderung ist vorerst nicht geplant“, heißt es.
Lepschi hat beim Verfassungsgerichtshof Berufung eingelegt. Fällt auch die negativ aus, könnte die Stadt Wien der Familie das humanitäre Bleiberecht erteilen. Doch bis dahin wäre eine Abschiebung jederzeit möglich.