Der Fall Alice Schwarzer: Die Last der hohen Moral
Nicht Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und auch nicht Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, sondern Frauenrechtlerin Alice Schwarzer (71) wurde von der Zeitschrift Cicero zur einflussreichsten intellektuellen Frau der vergangenen zehn Jahre im deutschsprachigen Raum gekürt. Eine, die gehört wird, die die Themen vorgibt, die sich ungefragt in den öffentlichen Diskurs einmischt, die mal treffsicher punktet und kräftig aneckt. Dieses Mal ganz und gar unfreiwillig füllt die „Ikone des Feminismus“ seit einer Woche wieder die Titelseiten – als Steuersünderin mit einem Geheimkonto in der Schweiz.
„Bruchlandung“
Noch viel böser wurden die Kommentare, als sich Schwarzer als Medien-Opfer des Spiegel stilisierte. Das deutsche Nachrichtenmagazin hatte ihre Steuersünde publik gemacht, obwohl diese bereits getilgt und das ominöse Konto aufgelöst war. Von ihrem „moralischen Abstieg“ war da die Rede, vom „tiefen Fall der Hochmütigen“, von einer „Bruchlandung“. Und manch einer giftete gar: Es sei wohl als ein Zeichen der Emanzipation anzusehen, dass Frauen nicht nur Vermögen wie Männer anhäuften, sondern auch genauso schwarze Schafe sein könnten.
Seither kam von der in den Medien omnipräsenten Schwarzer kein Wort mehr. Doch dass die wortgewaltige Frauenrechtlerin die Aufregung einfach aussitzen wird, wäre höchst ungewöhnlich. Seit Ende der 60er-Jahre, als sich die damals junge Journalistin in die Frauenbewegung einklinkte, ging sie keinem Konflikt mehr aus dem Weg.
Die Erlaubnis des Ehemannes
Mit über zwei Dutzend Büchern, darunter ihr Berühmtestes, „Der kleine Unterschied“, vor allem aber mit der von ihr gegründeten Zeitschrift Emma sorgt Alice Schwarzer für immer neue Angriffsthemen – und Gegenattacken. Mit Anfeindungen und Verunglimpfungen durch Männer, die ihr jede Weiblichkeit absprechen, kann Schwarzer umgehen.
Mit den Attacken ihrer Geschlechtsgenossinnen kommt sie weniger klar: „Mein Problem waren die Frauen“, sagt sie. Konkurrenzneid und tiefe weibliche Selbstzweifel, dafür hat eine vor Selbstbewusstsein strotzende Kämpferin wie Schwarzer wenig übrig. „Ich bin zu Frauen nicht härter als zu Männern“, sagte sie einmal, „aber wenn ich in der Sache etwas zu kritisieren habe, so halte ich mich nicht zurück, nur weil sie von einer Frau vertreten wird.“
Alt geworden, aber kein bisschen müde und noch weniger kompromissbereit führt Alice Schwarzer ihre Kreuzzüge fort – sei es für ein Verbot der Pornografie, sei es gegen das Kopftuchgebot für muslimische Frauen. Für ihre Kritiker bleibt sie eine Frau wie eine Dampfwalze: schonungslos, radikal und provozierend – ein regelrechter Macho.
Charlotte Roche, Autorin des umstrittenen Romans „Schoßgebete“ ließ Alice Schwarzer ausrichten, sie solle endlich „abdanken“. Die Feministin hatte die „verruchte Heimatschnulze über Sex und Liebe“ der jungen Starautorin in ihrem Blog bitterböse verrissen und ihrerseits gekontert: „Ich fürchte, ich muss meine GegnerInnen enttäuschen. So lange ich lebe, werde ich denken, reden, schreiben und handeln.“
Alice Schwarzer im Porträt
Was Feminismus-Propaganda doch abwirft: Schon früh bunkerte Schwarzer 2,4 Millionen Euro allein in der Schweiz. Ihre Begründung, das sei Vorsorge für ein Exil gewesen, weil sie sich hier nicht mehr sicher fühlte, ist eine der dreistesten: Damit macht sie noch das alte linke Klischee der angeblich so dumpfen Kohl-Jahre für ihren Fehltritt verantwortlich. Schwarzer hat ihr Feminismus-Monopol geschickt geschaffen und verwertet. Ihr oft militanter Alleinvertretungsanspruch für benachteiligte Frauen (und das sind für sie fast alle) war höchst wirksam, hat ihr aber den Neid anderer Linksintellektueller eingebracht, frühes Lob zu Wiedervereinigung und Merkel sie dem Milieu der Weltverbesserer weiter entfremdet. Sein Zorn konzentriert sich daher auf Schwarzer, die Verräterin. Viel mehr als etwa Zeit-Ex-Chefredakteur Theo Sommer, Meinungsführer einer Generation von Linksintellektuellen (der mehr Steuern hinterzog, sich nicht anzeigte und das dreist mit „Vergesslichkeit“ begründet), ist Schwarzer nun Beweis dafür, dass Umverteilung auch in der Fraktion der Moralisten zuerst gerne eine persönliche ist: Geld ist auch ihnen wichtig – wie den so profitgierigen Kapitalisten.
Für die der erfolgreichste Fußballmanager Europas Uli Hoeneß (Selbstanzeiger und CSU-Sympathisant) der SPD als „Paradebeispiel von Oberschichtenkriminalität“ dient. Ob auch Schwarzer das ist, sagt die SPD nicht.
Viel relevanter aber ist der Schaden des nun endenden Schwarzer-Monopols beim Subventions-Abgreifen. Ihr „Frauenturm“ in Köln bekam rund 3,5 Millionen Euro, nur 250 Nutzer hatte 2013 dieses immer umstrittene „Archiv neuer und neuester Frauengeschichte“. Dieses Eigen-Denkmal der Protzbischöfin des Feminismus ist damit ein weiterer Beweis für eklatante Steuergeldverschwendung. Die zu oft Steuersündern als moralische Selbstrechtfertigung dient: Wer, wie die Schweiz, sorgsam mit Steuergeld umgeht, braucht weniger – und hat kaum Steuersünder.
Ins Abseits hat sich Schwarzer aber erst mit ihrer Wehleidigkeit begeben: Kritik und Häme als „Rufmord“ und „Hexenjagd“ abzutun, zeigt, dass sie ihre moralische Fallhöhe als öffentliche Person nicht mehr begreift.
Ihre Eloquenz – und ihr Witz – werden uns fehlen.
Es ist noch keine Lichtjahre her, da hätten die meisten Väter nie einen Kinderwagen geschoben. Doch schon damals gab es eine Frau, die aus der Sicht ihrer Generation unerhörte Forderungen stellte: Das Recht auf Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau; auf Abtreibung; für ein Ende der sexuellen Bevormundung durch die Männer.
Alle diese Rechte sind für Frauen heute im deutschsprachigen Raum weitestgehend selbstverständlich. Und dass sie es sind, verdanken sie natürlich nicht einer Frau allein, aber einer eben besonders: Alice Schwarzer.
Seit über vierzig Jahren schiebt die streitbare Feministin die Themen an. Sie ist wie ein Schneepflug, der durch die Gesellschaft fräst. Sie provoziert, kämpft, poltert, schockiert und hat sich dabei bei mehreren Generationen von Männern, aber auch genauso Frauen, verhasst gemacht. Schwarzer, die „Emanze“, die „hässliche Hexe“, die „Schwanzabschneiderin“, all diese Beleidigungen waren früher und lauter über sie zu hören als das, was sie erreichen wollte. Aber sie hat mit konsequenter Hartnäckigkeit ihre Etappensiege errungen – und mit ihr Millionen von Frauen.
Seit die größten Schlachten der Frauenbewegung geschlagen sind, sieht man die Schwarzer durch die TV-Talkshows tingeln. Ob im selbst ernannten Kreuzzug gegen das Kopftuch im Islam oder die Pornografie – die Schwarzer mischt sich immer noch ein. Die Gründerin der legendären Emma darf sich zu Recht als „Ikone“ der Frauenbewegung“ feiern lassen – aber eines war sie nie: eine „moralische Instanz“. Sie kämpfte mitunter rücksichtlos. Wer sich gegen sie stellte, wurde gnadenlos von ihr niedergewalzt.
Aber ihr nun vorzuwerfen, sie sei von ihrem „moralischen Thron“ gestürzt, hört sich nur nach billiger Häme an. Steuerbetrug ist Steuerbetrug – daran gibt es nichts zu rütteln. Und auch wenn Alice Schwarzer sich selbst anzeigte, ihre Steuerschuld tilgte und damit nach deutschem Recht wieder ohne Schuld ist, bleibt das Vorgehen der Frauenrechtlerin inakzeptabel. Aber ihr nun Doppelmoral vorzuwerfen und damit indirekt ihre gesamte, gewaltige Lebensleistung infrage zu stellen, klingt verdächtig nach einem willkommenen Argument für alle jene, die es Alice Schwarzer einmal so richtig heimzahlen wollen.