Chronik/Welt

Jemengeisel: Bundesheer fädelte Befreiung ein

Das Martyrium während der 139 Tage dauernden El-Kaida-Geiselhaft im Jemen hat bei dem 26-jährigen Dominik N. tiefe Spuren hinterlassen. Er konnte zwar Freitagmittag das Heeresspital in Wien-Stammersdorf verlassen, bleibt aber weiterhin an einem geheimen Ort in psychologischer Behandlung.

Dominik N. war gemeinsam mit dem finnischen Ehepaar Atti und Leila K. aus einem Fotoshop in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa entführt worden. Es sickern nun erste Details über den verzweifelten Überlebenskampfes des Wiener Sprachstudenten und seiner beiden finnischen Leidensgenossen durch.

Fußfesseln

In den ersten Wochen lagen sie mit Fußfesseln in Räumen, die meistens zum aufrechten Stehen zu niedrig waren. Die Quartiere wurden zumindest wöchentlich gewechselt, manchmal auch im Tagesrhythmus. Bei den Transporten wurden ihnen Tücher über den Kopf gezogen. Obwohl Dominik N. über gute Ortskenntnis verfügt, wusste er nie, wo er sich gerade befand.

Schlafen mussten die Geiseln auf dem Boden. Es standen nur dünne, durchgelegene Matten zur Verfügung. Das „luxuriöseste“ Interieur war ein abgewetzter Gebetsteppich, den der Wiener und die Finnen mit Duftspray notdürftig desinfizierten. Ein Mal wurden sie in einen Drahtgitterverhau gesperrt.

Auch gegessen wurde auf dem Boden. Die Verpflegung war einseitig und höchst bescheiden. Schwebstoffe im Trinkwasser zeigten den Verschmutzungsgrad an. Fenster waren meistens mit Brettern vernagelt. Die Tageszeit konnten die Geiseln nur anhand der Gebete der Muezzine erahnen.

Als schließlich der tägliche Lärm-Terror mit Koranversen begann, erkannten die Geiseln, dass sie über einige Umwege bei einer berüchtigten El-Kaida-Gruppierung gelandet waren – religiöse Fundamentalisten, die einen Terrorfeldzug im Jemen und in Nordafrika führen.

Den ganzen Tag wurden sie mit Koranversen aus Lautsprechern beschallt. Dazu kamen ständige religiöse Indoktrinierungen – eine Art Dauer-Religionsunterricht.

Dominik N. versuchte mit den Geiselnehmern über ihre religiösen Dogmen zu diskutieren. Er musste sehr rasch feststellen, dass dies unmöglich ist.

Typisch für die religiösen Extremisten ist auch das gestörte Verhältnis zu Frauen. Sie verweigerten mit der finnischen Geisel Leila jedes Gespräch. „Was Sie wollen, bestimmt Ihr Mann.“ Ähnliche Erfahrungen musste eine österreichische Geisel während ihrer acht Monate dauernden El-Kaida-Haft in Mali machen.

Physisch haben alle Geiseln die Entbehrungen weitgehend unversehrt überstanden. Die psychologische Wirkung war aber unterschiedlich.

Am besten weggesteckt dürfte der Finne Atti den Terror haben. Als aktiver Oberleutnant der finnischen Armee und Ausbildner für Auslandseinsätze hat er eine umfangreiche militärische Ausbildung hinter sich. Da lernt man nicht nur schießen, sondern auch, wie man unerquickliche Situationen über einen längeren Zeitraum übersteht. Auch Ehefrau Leila kann als Reserve-Oberleutnant auf eine militärische Ausbildung bauen.

Nackte Angst

Der finnische Oberleutnant fühlte sich für den Österreicher verantwortlich. Denn der war schlichtweg „fertig“. Es kam auch zu Auseinandersetzungen in der Gruppe. Der Finne musste den verzweifelten Österreicher manchmal, wie er später meinte, „wieder in die Realität zurückholen“.

Die Geiseln vermuten, dass das auch der Grund war, warum das Erpresservideo nur mit Dominik N. angefertigt wurde. Denn dem war die nackte Angst am besten anzusehen.

Sie waren schon seit Stunden im benachbarten Sultanat Oman, doch die Geiseln realisierten noch immer nicht, dass sie längst befreit waren. Erst, als sie der Psychologin des österreichischen Heeresnachrichtenamtes gegenüberstanden, wussten sie, dass der Albtraum vorbei ist.

Im Hintergrund war eine klassische Befreiungsaktion über Militärgeheimdienste abgelaufen. Ähnlich wie in Mali – weil in diesen Regionen fast nur die Militärs das Sagen haben. Das Bundesheer hatte deshalb beim österreichischen Befreiungsteam in Sanaa einen Verbindungsoffizier des Heeresnachrichtenamtes postiert. Das HNA ist der Auslandsnachrichtendienst des Bundesheeres. Der HNA-Beamte hielt Verbindung zu den Kollegen aus Oman.

Diese organisierten die Übergabe im Jemen, die von den Geiseln als solche gar nicht realisiert wurde. Denn Übergaben an fremde Araber hatten sie schon erlebt – das waren vorher immer Komplizen der El Kaida. Warum sollte es diesmal anders sein?

Dann ging es 14 Stunden lang mit Fahrzeugen quer durch die Wüste. Die Fahrt endete bei einem Haus. Dass es sich um ein sogenanntes „Save House“ des omanischen Geheimdienstes in der Nähe der Hauptstadt Maskat handelt, realisierten sie noch immer nicht. Immerhin: Erleichternd empfanden sie, dass sie die Fahrt ohne sichtbehindernde Kapuzen machen konnten. Die Begleiter waren auch viel freundlicher als die vorher.

Kurze Zeit darauf wurden sie in ein Hotel in der Hauptstadt Maskat verlegt. Da kam erstmals der Verdacht auf: „Da läuft etwas Besonderes – aber was?“ Bis Dominik N. und das finnische Pärchen schließlich einer freundlichen Österreicherin gegenüberstanden. Das war die Psychologin des Heeresnachrichtenamtes .

HNA-Psychologin

Die Psychologin, ein Militärarzt und das HNA-Unterstützungsteam waren wenige Stunden vorher mit einem Lear-Jet einer brasilianischen Charterfirma aus Wien angereist. Und dann gab es den sprichwörtlich „großen Bahnhof“: Blaulichtkonvoi zum Flughafen in Maskat, wo der Learjet wartete. Vorher noch ein verordnetes Statement im VIP-Center, in dem sich alle beim Sultan von Oman und bei ihren Regierungen bedankten. Mit den Angehörigen durften sie erst später telefonieren.

Entscheidend für ein Geiselopfer sind die ersten Tage. „Dem Betroffenen muss ein Gefühl von Sicherheit gegeben werden. Das Wichtigste ist, dass er rasch vertraute Gesichter um sich hat“, erklärt Klaus Mihacek vom psychosozialen Zentrum ESRA in Wien. Deshalb haben auch die Eltern von Dominik N. in der Nacht auf Freitag bei ihm im Heeresspital übernachtet.

Stockholm-Syndrom

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Wer 139 Tage in der Hand von Entführern ist, leide eigentlich immer unter irgendeiner Form des Stockholm-Syndroms. Der Name stammt von einer sechstägigen Geiselnahme in der Stockholmer Kreditbank im August 1973. Am Ende hegten die Opfer so viele Sympathien für die Täter, dass sie ihre Kidnapper nachher im Gefängnis besuchten und beim Prozess um Gnade baten.

„Das ist eine Überlebensstrategie, das hat nach einer längeren Zeit jeder“, erklärt Mihacek. Allerdings müsse es dafür persönlichen Kontakt geben. „Taucht der Täter immer maskiert auf, dann passiert das nicht so.“

Relativ neu ist, dass es derartiges auch umgekehrt gibt. Das wurde durch einen Film über Geiselnehmer in Somalia bekannt. Ein Anführer berichtete von großen Sympathien, die er für den gekidnappten Kapitän eines Schiffes empfand.

Eine der ersten Übungen nach der Befreiung der Opfer ist eine, wo Betroffene versuchen, sich innerlich einen sicheren Ort zu schaffen. „Das wurde auch bei Holocaust-Überlebenden so gemacht“, sagt der ESRA-Experte. Denn Schlaflosigkeit, extreme Schreckhaftigkeit und Albträume seien meist die ersten Symptome nach einer Geisellage. Der behandelnde Arzt verschreibe dann vermutlich beruhigende Medikamente für die ersten Tage. Später kommen sogenannte „Flashbacks“ dazu, also immer wiederkehrende, kurze und extreme Erinnerungen.

„Während der Gefangenschaft hat man keine Kontrolle über sich und ein Gefühl von Ohnmacht“, erklärt Mihacek. Dies breche anschließend auf. „Auch dissoziative Zustände sind möglich. Das bedeutet, dass man sich selbst von außen erlebt“, sagt der Mediziner im Gespräch mit dem KURIER.

Im schlimmsten Fall kommt es zum PTBS, dem posttraumatischen Belastungssyndrom. „Dann ist es ein sehr langwieriger Prozess“, sagt Mihacek. Eine Therapie kann Monate und Jahre dauern.

Dass der Oman die tragende Rolle bei der Freilassung der österreichischen und finnischen Geiseln spielte, hat wohl auch mit den traditionell guten Beziehungen zwischen Maskat und Wien zu tun. Ein Gutteil davon geht auf die monarchische Freundschaft zwischen Sultan Qabus und dem verstorbenen Otto Habsburg zurück.

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Der Sohn des letzten österreichischen Kaisers hat den Oman mehrfach besucht. Und seine Enkelin Walpurga Habsburg war Mitte der 80-er Jahres bis 1992 für das Informationsministerium des Oman als Europa-Informationsbeauftragte tätig.

Der Oman ist mit zweieinhalb Millionen Einwohnern eines der am dünnsten besiedelten Länder der Erde. Die absolute Monarchie wird seit 1970 von Sultan Qabus regiert – der 73-jährige wurde in England ausgebildet und putschte sich gegen seinen Vater an die Macht (bei dem Staatsstreich schoss der Vater seinem Sohn zunächst mit einer Pistole ins Bein und schließlich sich selbst beim Nachladen in den Fuß, woraufhin er abdankte).

Weg in die Moderne

Qabus führte das Land, das sich bis dahin weitgehend abgeschottet hatte, aus dem tiefsten Mittelalter in die Moderne: Ein komplette Infrastruktur von Straßen über Spitäler (das Gesundheitswesen ist kostenlos), Schulen und Universitäten entstand, finanziert aus den Milliarden des omanischen Ölreichtums. Zudem sitzt das Land auf einem noch ungehobenen Gasschatz von mehreren Billionen Kubikmetern.

Qabus gilt als liberaler Muslim. Dennoch kam es im Zuge des arabischen Frühlings auch im Oman vor zwei Jahren zu Demonstrationen in der Hauptstadt t und im Süden des Landes – politische Parteien sind im Oman verboten, der Sultan ist Staatsoberhaupt und Regierungschef, Minister haben beratende Funktion, Gesetze erfolgen per Dekret. Qabus kündigte nach den Protesten den Übergang von einer absoluten zu einer konstitutionellen Monarchie an.

„Es war eine Operation des Omans“, sagt Außenamts-Sprecher Martin Weiss. Zu den Details rund um die Freilassung von Dominik N. und dem finnischen Paar will man offiziell wenig sagen. Betont wird, dass Österreich kein Lösegeld bezahlt hat.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unter Berufung auf hochrangige Quellen aus einer jemenitischen Sicherheitsbehörde, dass der Sultan des Omans die Rechnung bei El-Kaida beglichen habe.

Genannt wird aber von lokalen Medien auch immer wieder Qatar, das bei der Vermittlung von Gesprächen mitgeholfen habe. „Wenn man googelt, dann sieht man, welche Länder einem bei Geiselnahmen helfen: Qatar, Oman und Saudi-Arabien“, sagt Weiss dazu. Alle möglichen Quellen wurden dann vom Außenministerium für die Vermittlung auch genützt. Jemenitische Medien berichten, dass zunächst 50 Millionen Dollar von den Entführern gefordert worden sind. Bei den folgenden Verhandlungen sei dann um die Höhe gefeilscht worden.

Wenn tatsächlich Geld geflossen ist, versuchen die Beteiligten naturgemäß, die Höhe zu verschleiern. In Islamisten-Foren werden seit Jahren fünf Millionen Dollar pro Person als realistische Summe genannt, die auch bezahlt wird. „Durchaus glaubhaft ist, dass der Oman als Vermittler eingeschaltet wurde, um diesen Deal im Auftrag der österreichischen Regierung durchzuführen“, sagte auch der deutsche Terrorexperte Rolf Tophoven. „Regierungen können grundsätzlich nie zugeben, dass sie mit Terroristen verhandeln.“

Österreichs Außenminister Michael Spindelegger sprach hingegen von einer „humanitären Lösung“ der Geiselnahme.

Ersatzgeiseln

Dass das Geschäft auch weiterhin einträglich ist, beweisen zwei weitere Entführungen diese Woche. Erst am Montag wurden im Jemen zwei Ägypter gekidnappt, am Tag der Freilassung von Neubauer zwei Inder. „Der Trend, Ausländer zu entführen, bleibt erhalten“, titelte die Yemen Post deshalb in ihrer Freitagsausgabe. Obwohl die Yemen Post – ohne Details zu nennen – behauptet, die Entführer des Wiener Sprachstudenten seien im Gewahrsam der Regierung.

Während das finnische Paar am Freitag nach Helsinki ausgeflogen wurde, wechselte Dominik N. um 12.30 Uhr vom Heeresspital an einen geheimen Ort. In vielen Internetforen wird gefordert, er solle für den Einsatz bezahlen. Tatsächlich ist dies seit der Geiselnahme in Mali möglich. Damals wurde den beiden entführten Salzburgern auch Fahrlässigkeit unterstellt. So waren sie ohne Begleitfahrzeuge unterwegs gewesen. Auch dass sie eigene Klimaanlagen für die in der muslimischen Welt als unrein angesehene Hunde hatten, sorgte für Kopfschütteln. Deshalb wurde anschließend das Gesetz geändert. Bis zu 50.000 Euro könnten von Dominik N. zurückgefordert werden.

Ermessensspielraum

Auf Anfrage erklärt das Außenamt, dass dies in den kommenden Wochen „geprüft“ werde. Es gibt dabei aber einen weiten Ermessensspielraum. So sind Abzüge von der Höchstsumme bei „besonderer psychischer Belastung“ möglich. Auch die „Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Gefahr“ sei bei der Festsetzung eines Regresses wichtig. Da es in Sanaa zuvor keine Entführungen gegeben habe, schätzen Insider des Außenministeriums, die Chance gering ein, mit Schadensersatzforderungen durchzukommen.